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Der Himmel über Namibia

Diesen Text schrieb ich vor zweieinhalb Jahren und habe nie etwas damit gemacht.
Da ich gerade an einer Kurzgeschichte arbeite, die in Namibia spielt, habe ich nach
Material gesucht und ihn wieder gefunden.

Ich bin ja Mutter, das erwähnte ich, glaube ich, schon das ein oder andere Mal am Rande. Meine Reisen waren also für viele Jahre geprägt von den Bedürfnissen der Kinder. Wir fuhren meist nicht weit, damit ihnen im Auto nicht schlecht wurde und damit uns vom Gequengele nicht die Ohren abfielen. Das ist von Berlin aus betrachtet nicht unbedingt in jeder Hinsicht ein Nachteil. Denn das Umland ist wunderschön und bietet unberührte Natur und Möglichkeiten, sich zu entspannen genug. Es ist insofern ein Nachteil, als die Sommer im Berliner Umland schon mal 14 Grad frisch und nieselig sein können. Das verleidet einem, also mir, den schönsten See. Das hat mich aber sehr viele Jahre nicht weiter gestört. Denn zu allem Überfluss hatte ich auch noch eine veritable Flugangst entwickelt. Schon der Gedanke, in ein Flugzeug zu steigen, löste bei mir das Gefühl aus, durchs Universum zu fallen, ohne Sicherheitsvorrichtungen. Dabei hatte ich vor den Kinderjahren mein gesamtes Geld in Flugtickets investiert. Ich liebte es, zu reisen. Wenn ich mal ein Jahr nirgendwo hin geflogen war, bekam ich heftige Reiseentzugssymptome, von denen schlechte Laune nur das  kleinste Übel war. Dennoch hatte ich mich mittlerweile mit dem Gedanken angefreundet, nur noch die Orte zu besuchen, die man ohne Flugzeug erreichen konnte: Ostsee, Polen, Skandinavien, Bayern, ich meine, da gab es Möglichkeiten genug. Kein Mensch muss in der Gegend herum fliegen. Sollten doch die anderen all die Orte und Leute nerven, an denen sie nichts zu suchen hatten.

Ich hatte dabei meine Freunde vergessen, die seit einigen Jahren in Namibia lebten und eines Tages besuchten sie uns. Sie wohnten fast eine Woche lang bei uns und ich erwähne jetzt nicht, dass ihr Gepäck etwa 90 unserer 120 qm großen Wohnung füllte. Das ist klar, dass man viele Taschen hat, wenn man aus Namibia anreist und mehrere Wochen in Deutschland bleiben will. Ich wäre die Allerletzte, die für so was kein Verständnis hat. Sie zeigten uns Dias und luden uns zu einem Vortrag ein, den sie über ihr Leben dort hielten. Danach gab es ein Komplott meiner elfjährigen Tochter (denn sie hatte durch die Berichte der beiden und einige Bücher (Die weiße GiraffeDie Nacht der Dephine) die ich ihr unvorsichtigerweise geschenkt hatte, festgestellt, dass sie dringend nach Afrika musste) und dieser Freunde gegen mich und bevor ich mich versah, hatte ich einen Reiseführer gekauft. Nur so, um mal ein bisschen was zu lesen über das Land. War ja eine Wahnsinnsidee, hinzufliegen, wo ich doch gar nicht flog, nie, und sowieso mit der Ostsee und der Uckermark, also im Grunde ausgelastet war. Da gab es noch jede Menge zu entdecken. Das würde für mein Leben ausreichen. Ich war Zen-Buddhistin, da hatte man sowieso nicht so den Drang,  also, da dringt man einfach tiefer in das, was man schon hat, ein, da muss man nicht...
In den Sommerferien brachen wir wieder mit unserem vollbeladenen Opel Astra in die Uckermark auf. In meinem Nachttisch zuhause lagen zwei Tickets für unsere Flüge über London und Johannesburg nach Windhoek. Im Oktober, in zwei Monaten also! Direktflüge waren für uns leider zu teuer. Ich sah dies, theoretisch, als wunderbare Möglichkeit, mich meiner Flugangst mal so richtig zu stellen. Ich meine ist doch klar, je öfter man startet und landet, desto öfter kann man sich damit auseinandersetzen. Logisch, oder? Aber bereits in jenem friedlichen Sommerurlaub, in dem ich kein einziges Flugzeug zu Gesicht bekam, hatte ich regelmäßige Albträume, in denen ich mit einem Flugzeug geradewegs vom Himmel fiel. Ich wurde schweißgebadet wach und starrte meine neben mir friedlich schlafende vierjährige Zweittochter an. Ich war zu allem Überfluss auch noch eine Rabenmutter, denn ich wollte ohne sie weg. Manchmal sagte ich laut zu mir selbst: "Ich fliege nach Namibia." Meistens wurde mir davon schwarz vor Augen. Manchmal sagte ich es laut zu anderen: "Ich fliege nach Namibia." Meistens wurde mir auch dann schwarz vor Augen, aber die anderen riefen dann so begeisterte Sachen wie: "Echt!!!??? Oh mein Gott, ist das aber TOLL!" Das half. 

Die Reise begann für uns an einem Samstag im Oktober. Ich hatte bis dahin noch viele Abstürze erlebt, im Traum, und diverse Male mit dem Gedanken gespielt, das Ganze abzublasen. Besonders ermutigend fand ich den Anruf meiner Freundin kurz vor unserer Abreise, in dem sie mich darüber informierte, voller Euphorie, dass wir gar nicht die ganze Zeit in Windhoek bleiben würden. Nein nein, Überraschung! wir würden eine Woche durch die Wüste fahren, mit Zelten!!! Ich hatte noch nicht erwähnt, dass ich nicht zeltete, niemals. Also, wenn ich überhaupt verreiste, dann in nette kleine Ferienwohnungen (in der Uckermark, an der Ostsee). Ich fuhr mit meinem Rücken auch nicht stundenlang in einem Land Rover über holperige Wüstenpisten. Nachher hatte ich da mitten in der Wüste einen Bandscheibenvorfall. Das malte ich mir aus. Das war nicht sehr beruhigend. Garantiert gab es da doch dann weit und breit kein Krankenhaus. Aber ich konnte das ja nicht laut sagen. Damit hätte ich mich total blamiert. Außerdem hätte ich allen den Spaß verdorben.
Wir bestiegen nach tränenreichem Abschied von der vierjährigen und ihrem Vater in Berlin Tegel ein Flugzeug, wir stiegen zweimal um (ich lutschte Bachblütenpastillen, bis ich Muskelkater in den Wangen hatte, um meine Angst in den Griff zu bekommen, erfolgreich, möchte ich  allerdings hinzufügen!! Spätestens ab dem zweiten Flug war ich nicht total aber immerhin einigermaßen entspannt). Wir saßen viele Stunden in diversen Flughäfen und warteten auf unsere Anschlüsse, tranken Capuccinos, versuchten, auf Flughafenbänken ein wenig zu dösen, knabberten an getrocknetem Antilopenfleisch (ich fands, naja, ok, Holly kotzte praktisch), weil "when in Rome do as the Romans" oder so ähnlich und landeten wohlbehalten am Sonntagnachmittag auf dem internationalen Flughafen von Windhoek. Vorher waren wir schwebend über die namibische Landschaft geflogen. Der Himmel über Namibia schien riesig, denn er wölbt sich über einem unendlich weiten und leeren Land. Man sieht den Flughafen eigentlich erst, wenn man praktisch auf dem Rollfeld aufsetzt. Denn er liegt, klein, inmitten dieser riesigen Leere. Die Silhouette Windhoeks bleibt unsichtbar. 
Unser Flugzeug der Southafrican Airlines parkte neben zwei weiteren Maschinen. Ansonsten war der Flughafen leer. Vor noch gar nicht langer Zeit hatten wir im überfüllten Luftraum über London fast eine Stunde lang „im Stau gesteckt“ (ich hatte währenddessen sehr sehr viele Bachblütenpastillen gelutscht; weil ich mit meiner Tochter unterwegs war, konnte ich mir schließlich nicht die Kante mit Bloody Maries geben! Hat schon mal jemand im Luftraum über Heathrow im Stau gesteckt und kennt Ihr das Gefühl, wenn die Maschine in Schräglage geht, gefühlt auf dem Kopf steht? Das spielte sich ab, zwei Stunden lang. Nachdem ich das überlebt hatte, lachte ich bei ein paar Turbulenzen beim Flug von Johannesburg nach Windhoek und tröstete souverän eine neben mir sitzende Schweizerin. Ich bot ihr sogar meine Bachblütenbonbons an. Denn, Triumph auf ganzer Linie, ich brauchte sie nicht mehr.) Es war herrlich, einen Flughafen zu erreichen und einfach landen zu können. Schwups und unten ist man. Fand ich nachahmenswert. Hallo Heathrow, hörst Du mich!!! Es war auch schön auszusteigen, hinein in eine Wärme, die es so in Brandenburg nicht gibt, und zu wissen, dass man jetzt erstmal zwei Wochen nicht mehr fliegen muss.
Wir marschierten über das Rollfeld zur Halle. Der warme Wind zerrte an unseren Haaren und es roch nach Afrika: erdig und intensiv. Immer wieder warfen wir uns begeisterte Blicke zu, weil wir es kaum fassen konnten, dass wir in Afrika waren. Ich meine, in Afrika, in diesem Afrika, das ich persönlich bislang nur durch den Reiseführer und Meryl Streep und Robert Redford kannte. Unglaublich!
Nach den angenehm reibungslos verlaufenden Einreiseformalitäten und dem Einsammeln unserer Gepäckstücke stürzten wir in die Damentoilette, um Jeans und Pulli gegen Röckchen, T-Shirt und Flipflops einzutauschen.
In Namibia hatte der Frühling begonnen, 30 Grad Celsius.
Das Haus unserer Freunde in Windhoek erreichten wir nach einer etwa vierzigminütigen Autofahrt. Affenfamilien am Straßenrand winkten uns zu. Das Haus lag direkt in der Love Street, nicht weit vom Tintenpalast entfernt. Der Jacarandabaum im Garten betäubte uns mit seinen lila Blüten und einem intensiven Duft nach Süße und Wärme. Der kleine Pool schillerte hellblau darunter und ich hätte nichts dagegen gehabt, meine zwölf Ferientage genau dort zu verbringen, ein kühles Getränk in der Hand und meine nackten Zehen abwechselnd in der warmen Luft und im kühlen Wasser baumelnd, gleich neben meiner Seele, die sich erholte von der Kälte und Nässe Berlins.
Aber meine Freunde hatten ja, ich erwähnte es, glaube ich, schon mal, höheres mit uns im Sinn. Sie wollten uns die Wüste zeigen und ihre Lieblingsplätze bevor sie selbst im Dezember nach Malawi umzogen.
Also wurden ein Landrover und ein Toyota Pick up gepackt mit allem, was zehn Menschen so brauchen, wenn sie eine Woche in der Natur unterwegs sind: Wasser, Lebensmittel, Weingläser, mehrere Flaschen Gin Tonic, noch mehr Wasser, Geschirr, Besteck, eine solarbetriebene tragbare Dusche, Toilettenpapier, Sonnencreme, Zelte, Schlafsäcke, noch etwas mehr Wasser, vorsichtshalber noch eine Flasche Gin Tonic, halbe Antilopen zum Braten, Brot und vieles vieles mehr, was ich jetzt nicht aufzählen kann, es würde den Rahmen hier sprengen.
Spät am Abend kroch ich in mein Gästebett und genoss es noch einmal so richtig, in einem Bett zu liegen. Das Lachen von Nachbarn teilte sich die nächtliche Stille mit unzähligen Grillen. Ab und an fuhr sehr weit weg ein Auto durch die Hauptstadt Namibias in unserer ersten Nacht und am nächsten Morgen ging es weiter und ich zeigte mit keinem Wimpernschlag, dass es mir schon vor meiner ersten Nacht im Zelt graute.

Das Ziel für diesen ersten Tag war das Khan Rivier, ein trockenes Flussbett westlich von Windhoek, das in den Swakop mündet und bis zum Atlantik bei Swakopmund führt.
Wir fuhren ein paar Stunden auf einer der wenigen gut asphaltierten Straßen Namibias Richtung Swakopmund. Plötzlich bog Edgar scharf nach links ab „Hier ist es“ und fuhr auf einer Sandpiste weiter. Nur wenige Meter nach der Abbiegung stand uns allerdings eine rostige Tonne im Weg, auf die jemand mit weißer Farbe geschrieben hatte: „Go back. Own Risk.“ Edgar umfuhr die Tonne und einige im Weg liegende Felsbrocken nach einer kurzen Denkpause und zwei Meter später gab es einen lauten Knall und die Luft zischte aus unserem rechten Hinterreifen.
Ein fingerdicker Metallstab hatte sich hineingebohrt. Edgar wechselte den Reifen aus, wir fuhren weiter und wenige Meter später zischte die Luft aus unserem linken Vorderreifen.
während die anderen Reifen wechselten, posierte ich in der Landschaft
Edgar wechselte den Reifen, „das ist unser letzter Ersatzreifen“ und wir berieten, ob wir weiterfahren sollten. Wir fuhren weiter und dann platzte einer der Reifen am Toyota. Wieder wurde ausgewechselt. 
Irgendwer hatte offensichtlich etwas dagegen, dass wir oder sonst jemand in diese scheinbar unberührte Natur fuhr. Nach längerer Beratung entschieden wir, dennoch weiter zu fahren, neben der Piste.  War es gefährlich? Würden wir womöglich nachts in unserem einsamen Lager überfallen werden? Kopfschütteln der Männer: „Typen, die Metallkrampen im Sand verbuddeln, kommen nicht nachts ans Zelt und bedrohen Menschen. Das ist eine vollkommen andere Persönlichkeitsstruktur.“ Ich kannte mich da nicht so gut aus und beschloss, meinen Freunden zu vertrauen. 
Vier Zebras galoppierten neben uns her, die Landschaft war rot. Roter Sand, rote Hügel, dazwischen wenige grüne Sträucher, vereinzelte Bäume. Am Boden lagen Kristalle herum. So wie ich am Strand stundenlang nach Muscheln suche und alles um mich herum vergesse, lief ich mit gesenktem Haupt nun durch die Wüste Namib und suchte nach besonders schönen Steinen. Es lassen sich Rosenquarze dort finden, oder auch ganz durchsichtige Kristalle, die aussehen wie zerbrochenes Glas.
Unser Camp schlugen wir am Nachmittag in einem gigantischen Canyon auf. Rote Felswände ragten zu beiden Seiten in den Himmel und unsere Wagen und Zelte schmiegten sich wie Spielzeuge in diese Landschaft. Es war leicht sich vorzustellen, wie am Beginn der Regenzeit die Wassermassen durch diesen Canyon toben und ihre Fährte durch den Fels jedes Jahr aufs Neue nachzeichnen. Die Kinder kletterten, während wir Erwachsenen die Zelte aufbauten, ein Feuer entfachten und das Abendbrot vorbereiteten.
In dieser ersten Nacht, die ich seit zwanzig Jahren im Freien verbrachte, lauschte ich den ungewohnten Tierstimmen Afrikas. Rufende, lockende, neckende Laute, die ich Vögeln oder auch Affen zuordnete, ansonsten absolute Stille. Der Sternenhimmel glitzerte zwischen den Felswänden, ansonsten absolute Dunkelheit. Es gab nichts und niemanden, vor dem man Angst hätte haben müssen. Man war in einem unendlichen Universum eingebettet. Ich hatte diese Tatsache in der Vergangenheit manches Mal vergessen. Und was ich noch unbedingt erwähnen muss: die Zelte waren großartig, weil meine Freunde nämlich Matratzen für dieselben hatten und mit Daunen gefüllte Kopfkissen. Das war Zelten der Luxusklasse. Man musste nur immer alles zu und dicht halten, die Schuhe ausschütteln, bevor man wieder hinein stieg, weil es Skorpione gab und Schlangen und die wollte man natürlich nicht im eigenen Zelt treffen. Aber daran gewöhnte man sich schnell.
Am zweiten Tag erreichten wir Swakopmund nach einer langen und wunderschönen Fahrt durchs Khan und Swakop Rivier. Zebras, Springböcke und jede Menge Strauße kreuzten und begleiteten unseren Weg. Wir legten eine kurze Rast im Schatten von Flintstones Höhle ein (die heißt wirklich so!) .
Nur einmal wurde es gespenstisch, als wir durch das Gebiet der größten Tagebau-Uranmiene der Welt fuhren. Pro Tonne Urangewinnung wird in diesem trockensten der trockenen Länder 280 l Wasser verbraucht. Es wird sich durch den Fels gefressen, der wund und verletzt da liegt. Nach der friedlichen Nacht im Canyon war die Fahrt durch diese von Industrie aufs brutalste berührte Landschaft mitten in der vermeintlich unberührten Natur ein unangenehmes Erwachen in eine Realität, der ich so gerne entfliehen wollte. Am Wegrand ein Zeltlager der Minenarbeiter. Strommasten im Nirgendwo. Ein Stoppschild mitten im Nichts. In die Privatstraße zur Mine links dürfen wir nicht abbiegen.

Je näher wir Swakopmund kamen, desto mehr fiel das Thermometer. Am Meer waren es dann nur 20 Grad und ein heftiger Wind wehte. Aus der Hitze der Wüste kommend, fror ich und genoss es. Denn am nächsten Tag würden wir wieder zurück in die flirrende Hitze fahren.
Wir schlenderten in Fleecejacken und langen Hosen hinunter zum Tug,  einem direkt an der Seebrücke gelegenen Kultrestaurant, das um einen alten Schlepper herum gebaut wurde. Wenn man dort essen will, empfiehlt es sich, ein paar Wochen vorher einen Tisch zu reservieren. Seafood Kebap und Cherries Jubilee, aber auch der Wein, waren eine wahre Gaumenfreude. Der Sonnenuntergang direkt über dem Ozean ist fantastisch. Als wir das Restaurant verließen, brandete das Meer wild an den Strand und die Seebrücke, weiße Gischtberge durchbrachen das makellose Dunkel dieser afrikanischen Nacht.
Am nächsten Morgen, wanderten Holly und ich noch einmal, vor der Abfahrt in den Namib Naukluft Park, am Strand entlang bis zum Leuchtturm.
vor einer Palme in der Nähe des Leuchtturms
Wir waren die einzigen Weißen weit und breit. Gerade hatte ein Bus eine Gruppe südafrikanischer Frauen ausgespuckt, die mit bunten Gewändern den Strand zwischen Tug und Leuchtturm belebten. Holly sprach sie an, und mit leuchtenden Augen erzählten die ihre bunten, wehenden Kleider gehüllten Frauen ihr, dass Namibia das Wunder Gottes sei und sie gekommen wären, es mit eigenen Augen zu sehen.
Ich war in der Stimmung, alles zu glauben. Ich hätte diese Frauen, jede einzelne, küssen und umarmen können. Es war fantastisch zu sehen, wie mutig meine Tochter war und wie gut sie englisch sprach, und dass ihr überall mit dieser herzlichen Freundlichkeit begegnet wurde. Sie lief durch die Straßen und Flughäfen, grüßte jeden, der sie anlächelte und freute sich darüber, dass jeder zurück lächelte. Wenn man aus Deutschland kam, war man daran nicht unbedingt gewöhnt.
Von einem Straßenhändler ließen wir uns unsere Namen in Makalaninüsse schnitzen, Holly bekam eine Nuss, auf der all die Tiere eingeschnitzt waren, die wir bislang gesehen hatten: Zebra, Strauß, Springbock und Oryx Antilope. Er machte das vor unseren Augen und brauchte keine fünf Minuten dafür.
Unser nächstes Ziel war die Blutkuppe. Dieser Granitberg liegt mitten in der Wüste und scheint Teil eines riesigen, roten Granitgebirges zu sein.
Zum Sundowner hatten wir unser Lager schon wieder aufgebaut und kletterten hinauf in eine der von unserem Camp aus gut sichtbaren Höhlen. Von dort hatten wir einen grandiosen Blick in die Namib.

Am nächsten Morgen kletterte ich mit Holly noch eine Weile auf den brüchigen roten Felsen herum und es war, als bewege man sich als einziger Mensch in einer Urlandschaft, die so schon vor Millionen von Jahren existiert hatte und niemals enden würde, egal wie weit wir gingen. Es hätte uns nicht gewundert, wenn plötzlich ein Dinosaurier um die Ecke gekommen wäre. Stattdessen fanden wir ein komplettes Tierskelett, vielleicht von einer Antilope. Die Knochen schimmerten auf dem roten Boden, der Schädel lag etwas abseits. Georgia O'Keeffe in der Wüste Namib.
Nach einer Nacht an der Blutkuppe, die sich im Licht der untergehenden Sonne blutrot verfärbt, fuhren wir weiter nach Mirabib, wo wir zwei Nächte verbringen wollten.
Auch Mirabib ist ein riesiger Granitkegel mitten in der unendlichen Ebene der Namib, die sich vor unserem Camp bis zum Horizont hin ausbreitete.
Beim Sonnenuntergang verfärbte sich der Himmel rosa, blau, lila, orange und rot. Am nächtlichen Himmel sah man deutlich das Sternbild des Skorpion, das Kreuz des Südens und die Mondsichel lag abends auf dem Rücken wie eine Wiege um sich morgens zu wölben, wie ein kleiner Baldachin. Die ganze Nacht hindurch lachten die Geckos in der Ebene und es klang wie das schadenfrohe Triumphieren derer, die dieses Paradies nicht wieder verlassen müssen.
Von Mirabib aus machten wir einen Tagesausflug ins nahe gelegene Wüstenforschungszentrum Gobabeb. Es liegt am Kuiseb Rivier und in direkter Nachbarschaft unendlicher aprikosenfarbener Sanddünen. Nachdem wir diese erklommen hatten, stürzten wir uns in den Pool und einige von uns schliefen dort ein. Eine weitere Nacht in Mirabib. Ein Wüstenfuchs hatte uns bereits am ersten Abend entdeckt und schlich sich auch in dieser Nacht wieder in unser Lager. Offensichtlich war er von früheren Campern gefüttert worden. Er wagte sich bis auf Nasenlänge an unser Lagerfeuer heran und schmiss die Waschschüssel um, nachdem er laut schlürfend aus ihr getrunken hatte.
Die Rückfahrt führte uns noch einmal durch das Kuiseb Rivier.
Im Kuiseb Canyon lebte der Autor des Buches „Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die Wüste“ und bei der Durchfahrt kann ich mir nur schwer vorstellen, wie man in dieser kargen Landschaft zweieinhalb Jahre überleben kann.
Im Rostock Ritz, das eigentlich Rotstock Ritz heißen sollte, wegen der nahe gelegenen Berge gleichen Namens, aber von einem unaufmerksamen Beamten kurzerhand nach einer Stadt in Mecklenburg Vorpommern benannt wurde, badeten Holly und ich im coolsten Pool Afrikas. 
Leider hatten wir nur wenig Zeit (und Geld! Wir hätten es uns nicht leisten können, dort zu übernachten) und nach Mittagessen, Schwimmen und Kaffee am Pool fuhren wir weiter zum ebenfalls traumhaft schönen Camp Gecko, das von zwei Schweizer Aussteigern geführt wird und mit seinem Slogan „the real Out of Africa feeling“ nicht zuviel verspricht.  Wir bauten unsere Zelte auf dem Hilltop Campingplatz direkt neben der Lapa und genossen, nach Tagen in der freien Natur, eine Toilette mit Wasserspülung und eine Dusche, aber mehr noch den märchenhaften Sonnenuntergang mit Blick in die endlose Savanne zur einen Seite und dem Spreetshoogte Pass auf der anderen. Hier war es auch, wo ich meinen ersten Skorpion und meine erste Puffotter traf: im Terrarium der Lapa.
Als wir in Windhoek wieder eintrafen, zeigt uns der Tacho, dass wir genau 1006 Kilometer zurück gelegt hatten.
Es hatte sich nicht so angefühlt. Wenn man mit dem Land Rover durch diese sich stetig wandelnde Wüstenlandschaft gleitet, gibt es ständig so viel zu sehen, dass einem hundert Kilometer wie einer vorkommen.

Wir hätten uns eine solche Reise, das sei gesagt, niemals leisten können. Wenn man normalerweise für zwei Wochen nach Namibia fliegt, ein Auto mit Dachzelt mieten muss, und eine solche Rundreise unternehmen möchte, dann kostet einen das locker mehrere tausend Euro. Wir hatten die Infrastruktur und das KnowHow unserer Freunde und weil wir uns benahmen, als wären wir eine riesige WG, die in zwei Autos umherfährt, wurde es eine finanziell lachhaft überschaubare Sache. Ich bin meinen Freunden bis heute unendlich dankbar, dass sie uns mitgenommen haben, dass sie all dies so großzügig mit uns geteilt haben und Holly könnte ich immer noch dafür knutschen, dass sie mich motiviert hat, diese Reise zu wagen. 
Wieder zurück in Berlin schaue ich manchmal nachts in den Himmel, in dem die Mondsichel keine Schale mehr ist und auch kein Dach. Wenn er sternenklar ist, sehe ich zwischen den Häuserschluchten meiner Straße den großen Wagen glitzern. Es ist derselbe Himmel, den ich über der Wüste Namib sah und unter dem ich mich auf dieser ganzen Reise zuhause und geborgen fühlte. Ein riesiges Universum, in dem wir alle zuhause sind.

Wer nun Interesse an diesem Land bekommen hat, dem seien hier noch zwei Bücher empfohlen. Namibia ist ein Land, das einen als Deutsche berührt, nicht nur wegen der Schönheit seiner Landschaft.

Uwe Timm, Morenga
Gerhard Seyfried, Herero




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