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Es werden Posts vom 2018 angezeigt.

In altre parole/In other words/Mit anderen Worten - Jhumpa Lahiri

Dann las ich in diesen letzten Tagen noch In altre parole /In other words von Jhumpa Lahiri zuende. Es war wie eine Reise zurück für mich in vielerlei Hinsicht. Wo beginnen? Eine Reise zurück in eine Zeit, als ich begann, mich vollkommen in eine andere Sprache zu stürzen und auch in dieser anderen Sprache zu schreiben: Englisch. Das ist dreißig Jahre her und geschah in Virginia. Als ich dort ankam, konnte ich nicht sehr gut Englisch, obwohl ich es neun Jahre lang in der Schule gelernt hatte. In den ersten Wochen verstand ich kaum etwas. Ich schwieg. Was jemandem wie mir, die sich immer darüber definiert hatte, wie lustig sie labern konnte, extrem schwer fiel. Ich stürzte mich, sobald ich ein paar Wochen in Virginia war, so vollkommen in diese andere Sprache, dass ich darin auf der Stelle eine andere Person fand, die aber auch ich war. Das war beglückend, befreiend, euphorisierend. Alles auf einmal. Auch beängstigend war es, denn ich wusste nicht, ob ich die Susanne, die

Lucy Fricke, Töchter

Natürlich habe ich ein Faible für lange, sehr lange, komplizierte, sehr komplizierte Bücher. Gerade noch schwelgte ich am Weltenrand des Österreichers Philipp Weiss herum, da flog mir zu Weihnachten Töchter ins Haus. Geschrieben ist es von Lucy Fricke, die, wenn ich mich nicht sehr täusche, bei mir um die Ecke wohnt. Jedenfalls beschreibt sie meinen Kiez mit präziser Kenntnis der Sachlage und berichtet sogar von Bizim Kiez , unserem Kampf für den Türkischen Gemüseladen und ja, ich kann mich erinnern, sie dort ein paar Mal gesehen zu haben. Es muss in einem Roadmovie nicht ständig etwas passieren, aber es macht Spaß, wenn es doch so ist. Dies ist ein normales Buch, nicht zu lang, nicht zu kompliziert. Eine spannend und schnell erzählte Geschichte, ein Pageturner der besten Sorte: voller Tiefe und voller Witz. Es geht um zwei Frauen, die ihren Vätern, bzw. Ersatzvätern, nachspüren und sich gleichzeitig von ihnen verabschieden müssen. Es geht nebenbei natürlich auch um die Mütter un

Philipp Weiss, Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen

Ein Roman ist dies, der alle Regeln sprengt, leichtfüßig, selbstverständlich und nicht einmal dachte ich: so geht das nicht, sondern ununterbrochen, bei der Lektüre der gesamten über 1000 Seiten, aufgeteilt auf insgesamt fünf verschiedene Bände, dachte ich immer nur: ja, genau so geht es. Nur so geht es ab jetzt, dass einer einen Roman schreibt. Alles ist erlaubt und das muss auch so sein. Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen war vielleicht die befriedigendste Lektüre im gesamten Jahr 2018 für mich und sie fand mich erst zum Ende hin. Da kam meine Freundin aus dem Burgenland und brachte mir dieses wunderbare Buch mit. Ein Schuber, fünf Bände, jedes eine andere Farbe, jedes ein anderer Erzähler. Ich schreckte zunächst zurück und dachte mir, höflicherweise würde ich es nicht ablehnen, aber lesen würde ich es erst so um 2024 herum, oder sogar später. Dann blätterte ich noch am gleichen Abend den ersten Band im Schuber auf, der schwarz ist und las die ersten Seiten und dana

Buch der Woche - Rücken an Rücken von Julia Franck

„Zucker? Ella starrte auf den Teewagen. Zucker. Käthe reichte ihr nicht die Hand, keine herzliche Geste deutete sie an, keinen Glückwunsch sprach sie aus, sie drehte sich auf dem kaum vorhandenen Absatz ihrer mongolischen Schuhe um und verschwand… Sie denkt bestimmt, sie macht dir eine Freude. Sollte das ein Trost sein? Glaubte Thomas wirklich, Käthe wollte Ella mit dem Zucker eine Freude machen?“ Die Geschichte der Geschwister Ella und Thomas, die im Haus ihrer Mutter, der Bildhauerin Käthe aufwachsen. Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre, Ostberlin. Der Müggelsee. Käthe hat noch zwei weitere Kinder, aber sie leben in einem Heim und kommen nur sehr selten zu Besuch. Die Väter sind im Leben dieser Familie nicht mehr anwesend. Dafür gibt es einen Untermieter, der sich an Ella heran macht und sie missbraucht, regelmäßig. Der ihr droht, wenn sie nicht Informationen weiter gibt, über die Lehrer, die Mutter, die Freunde der Mutter, dann könne er ihr Leben zerstören. Rücken a

This week was no work without an author

This week was, and I do not mean to sound pathetic, but it was not much of a great week. Nothing happened. Nothing beautiful, at least. The week was not showered in love or even in random acts of kindness.  I feel a little disappointed and tired about this week. You might call me a person with a very low threshold to boredom, and you would be right. I sit and think about all this. I mean, I could be grateful. Nothing happened, after all, also includes: nothing bad happened. My children are well. I am well. I have great friends, a more than o.k. job, I have an apartment in the middle of Berlin, where tons of people would like to live, I am going to Rome next week. But  I am not grateful. I feel a little bit sorry for myself, while I sit and think about the week, and than, I have an idea, which instantly makes it impossible to continue feeling sorry for myself: maybe, this is exactly the point. Me waiting for whatever greatness to happen is the problem. Has been the problem all m

Anke Stelling, Schäfchen im Trockenen

"Wir sind Opfer. Und unseres Glückes Schmied! Wir machen uns gut in egal welcher Kulisse, sind die Protagonisten unseres Lebens." Anke Stellings neues Buch Schäfchen im Trockenen habe ich verschlungen. Es ist großartig geschrieben und mit seiner Handlung so nah am Leben dran, wie man es selten findet, an dem Hier und Jetzt von mir und vielen meiner Freunde, die mit Kindern und der existentiellen Unsicherheit mitten in Berlin, mitten in einer großen Stadt in Europa leben, wo Neoliberalismus und Kapitalismus die Werte vorgeben und man, plant man schlecht, auch sehr leicht unter die Räder kommen kann. Vielleicht vor allen Dingen dann, wenn man sich dem Leben mit Chuzpe und offenen Armen, voller Vertrauen, ein wenig ausliefert. Hier springe ich vom Zehnmeterbrett, mach' mit mir, was Du willst, Du verrücktes Leben! Resi ist Schriftstellerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin und hat ein Buch über ihre Freunde geschrieben, die im Rahmen einer Baugruppe ein tolle

Travelling Home

You are like a foreign country. I do not speak your language. Drowning in your eyes, which I can not read. What you do, goes right through me, cuts me open, I think, I might lose myself in you, which is a story about you, which is myself? The first time we sat in a train, you sat across from me & told me about your life. I knew, I would rather not leave the  train again, ever. What feels like home? Is it home? Riding around Berlin in a train, listening to your story, swimming in your eyes away from what I knew as home, but was not. Never could be, because I moved in, when I was a stranger to myself. Every plastic flower on the table, in the vietnamese restaurant, remember? was the most beautiful thing, I ever laid my eyes on. Of course you. The shabby plastic table itself. The pho was very good! Best soup, I ever tasted, while locking myself into your universe. You are like a foreign country. I travel you, a

Asymmetrie von Lisa Halliday

"He called her mermaid. She didn't know why." Gerade habe ich Asymmetrie von Lisa Halliday beendet und vielleicht ist es eines der Bücher, das mich am stärksten aus meiner „comfort zone“ katapultiert hat. Weil eine amerikanische, weiße, im Grunde privilegierte Frau, die in der Literaturwelt arbeitet, ihren Horizont so derart transzendiert, dass es sie in die Lage versetzt, mit der Stimme eines irakisch-amerikanischen Mannes zu schreiben, der am Londoner Flughafen davon abgehalten wird, in Großbritannien einzureisen. Dabei möchte er dort nur zwei Tage bleiben, seinen Freund Alastair, einen Kriegsjournalisten, treffen und dann, über Istanbul, weiter in den Irak reisen. Aber man lässt ihn nicht. Er hat zwei Pässe. Er ist auch Iraker. Irakisch ist eine der verdächtigen Nationalitäten. Terroristen sind Iraker. Die Geschichte dieses Mannes, seiner Familie, ein Teil der Geschichte des Irak macht aber erst den zweiten Teil dieses wunderbaren Buches aus. Im ersten Tei

Buch der Woche - Fegefeuer von Sofi Oksanen

"Aliide zog die Gardinen zurecht. Der regnerische Hof schniefte grau, die Zweige der Hofbirken zitterten nass, die Blätter platt vom Regen, die Gräser schwankten, und von den Spitzen fielen Tropfen herab. Und da unter ihnen war etwas. Irgendein Bündel. Aliide zog sich hinter die Gardine zurück. Wieder spähte sie hinaus, zog die Spitzengardine vor sich, um vom Hof aus nicht gesehen zu werden, und hielt den Atem an." Jetzt hat es mich doch ergriffen, dieses Buch der Finnin Sofi Oksanen, Fegefeuer . Das Fegefeuer ist der Ort der Läuterung für jene Seelen, die noch nicht heilig sind, also nicht gleich in den Himmel dürfen. Tröstlich am Fegefeuer ist, dass die, die hinein kommen, nach ihrer Läuterung sicher in den Himmel aufsteigen werden. Also eine sehr schmerzhafte, verwandelnde Katharsis. Aber sind Verwandlungen nicht immer schmerzhaft?  Ich habe es schon so lange im Regal liegen, dass ich es nur aus einer Art Pflichtgefühl heraus in die Hand nahm. So viel gutes h

Buch der Woche - Im Winter von Karl Ove Knausgård

„2. Dezember. Den ganzen Sommer und ganzen Herbst hast du in ihrem Bauch gelegen. Umgeben von Wasser und Dunkelheit bist du durch die verschiedenen Entwicklungsphasen des Fötus gewachsen, die von außen der Evolution unserer menschlichen Art gleichen, ….“ Diese erste Satz des Buches „ Im Winter “ von Karl Ove  Knausg å rd  enthält schon so viel von all dem, was im Grunde alle seine Bücher ausmachen. In fast lockerem Plauderton, ich nenne es privat für mich auch oft „Gelaber“, aber in einem freundlichen Sinn, erzählt er der Leserin privates und verknüpft es auf der Stelle mit einer Öffnung hin zu philosophischen Erkenntnissen, die uns noch auf der ersten Seite zum Thema "Regenjacken" führen werden "eine Art Haut, die wir anziehen".  Beides durchdringt sich bei ihm beständig: das private und das Allgemeingültige, die Verbindung zu einem Lebensganzen, die er zu finden versucht. Diese Suche hat oft einen leicht verzweifelten Unterton, als wolle er durch mögli

Buch der Woche - Jasper und sein Knecht von Gerbrand Bakker

„Gestern habe ich das erste Stück Terrasse gepflastert, und das ist nicht einfach, weil die Steine unterschiedlich groß sind. Heute wieder ein Stückchen, und morgen und übermorgen. Nicht zu eilig, es darf alles nicht zu schnell fertig werden, immer soll etwas liegen bleiben. In gewisser Hinsicht wie beim Schreiben eines Romans: nie am Ende eines Schreibvormittags zu einem glatten Abschluss kommen; lieber ein paar Fäden lose lassen, um am nächsten Tag dort anzuknüpfen.“ Ein niederländischer Schriftsteller, der sich selbst als jemand beschreibt, der mit einer sehr langen Bedienungsanleitung geliefert wird. Ein empfindlicher, verletzlicher Mann, der gerne allein ist und noch nie eine feste Beziehung hatte. Ein Mensch, der sich, so kann man es bei ihm immer wieder lesen, ausgiebig an den anderen Menschen reibt, aufreibt. Aber daraus entstehen vielleicht seine wunderbaren Bücher? Er kauft 2012 ein Haus in der Eifel, zwischen Bitburg und Prüm. Er findet einen Hund, Jasper, der ursp

Leseliste August

Irgendwie habe ich das Gefühl, in der Leseliste für den August so ein wenig Resistance, Widerstand, Widerborstigkeit versammeln zu wollen. Es geht mir auf den Geist, wie durch Worte allein, und #Asyltourismus ist nur ein ausgelutschtes Beispiel dafür, die Grenzen dessen, was wir akzeptieren, immer weiter nach rechts verschoben werden. Und lasst mich klar sein: mit rechts meine ich menschenverachtend, rassistisch, Sündenböcke produzierend, homophob, antifeministisch, misogyn, #younameit, #youknowwhatImean. Wenn ich Widerstand sage, dann meine ich einen offenen Geist, Menschlichkeit, Freundlichkeit, eine Übereinkunft über die Grundwerte. Mir reicht es wirklich schon, wenn alle sich an die Zehn Gebote halten. Damit wären wir im Grunde schon in einer idealen Zukunft. 1. August Untertauchen von Lydia Tschukowskaja, ein Buch gegen die Diktatur Stalins, und ja, ich würde sagen, Stalin war ein geistiger Bruder von Hitler, nichts an diesem Regime war links 2. August Hannah Arendt, die Fr

Lydia Tschukowskaja, Untertauchen

Die Schriftstellerin Nina Sergejewna fährt für vier Wochen aufs Land, in eine Art Schriftstellerkolonie, um in Ruhe, weit weg vom Alltag, schreiben zu können. Dort trifft sie unter anderem den Schriftsteller Bilibin und den Lyriker Weksler, einen Juden. Nach und nach erfährt man, dass Nina Sergejewnas Mann vor ein paar Jahren mitten in der Nacht abgeholt worden ist und sie kurz darauf die Nachricht erhalten hatte, dass er zu zehn Jahren Lager mit Kontaktverbot verurteilt worden ist. Nie wieder hat sie von ihm gehört. Sie lebt allein mit der Tochter in einer Wohnung mit im Grunde Fremden. So war es. Eine große Wohnung musste man teilen.  Wie die anderen Schwestern, Frauen, Mütter, deren Brüder, Männer, Söhne im Zuge von Stalins Säuberungen spurlos verschwunden sind, und vollkommen grundlos, willkürlich, stand sie schon im Morgengrauen vor dem Gefängnis an, frierend, stundenlang, um irgendwann, wie alle anderen Frauen, die Auskunft zu erhalten, dass der Fall ihres Mannes noch

Sasha Marianna Salzmann, Ausser sich

Immer wenn ich merke, dass es für Menschen eine Vorstellung von Welt gibt, auf die sie ohne Zweifel bauen, fühle ich mich allein. Ausgeliefert. Sie sprechen davon, Dinge mit Sicherheit zu wissen, sie erzählen, wie etwas gewesen ist oder sogar wie etwas sein wird, und ich merke dann immer, wie sehr ich nichts weiß von dem, was als nächstes passieren könnte. Das Buch Ausser sich von Sasha Marianna Salzmann , 2017 im Suhrkamp Verlag erschienen, lag relativ lange angelesen auf meinem SuB und ich konnte mich nicht aufraffen, es zu beenden. Seite 20 oder so, weiter kam ich nicht. Ein wenig ging ich vermutlich anfangs in den Wirren der Geschichte verloren, die zwischen Russland und der Türkei, zwischen Deutschland, der Gegenwart und der Vergangenheit hin und her zu springen scheint. Ali kommt nach Istanbul, um ihren Bruder Anton zu suchen. Sie schläft auf der Couch eines Onkels, Cemal und wird dort von Wanzen gebissen. Aber eigentlich kommen Ali und Anton aus Russland. Sie sind Ju