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Buch der Woche - Rücken an Rücken von Julia Franck


„Zucker? Ella starrte auf den Teewagen.
Zucker. Käthe reichte ihr nicht die Hand, keine herzliche Geste deutete sie an, keinen Glückwunsch sprach sie aus, sie drehte sich auf dem kaum vorhandenen Absatz ihrer mongolischen Schuhe um und verschwand…
Sie denkt bestimmt, sie macht dir eine Freude.
Sollte das ein Trost sein? Glaubte Thomas wirklich, Käthe wollte Ella mit dem Zucker eine Freude machen?“

Die Geschichte der Geschwister Ella und Thomas, die im Haus ihrer Mutter, der Bildhauerin Käthe aufwachsen. Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre, Ostberlin. Der Müggelsee. Käthe hat noch zwei weitere Kinder, aber sie leben in einem Heim und kommen nur sehr selten zu Besuch. Die Väter sind im Leben dieser Familie nicht mehr anwesend. Dafür gibt es einen Untermieter, der sich an Ella heran macht und sie missbraucht, regelmäßig. Der ihr droht, wenn sie nicht Informationen weiter gibt, über die Lehrer, die Mutter, die Freunde der Mutter, dann könne er ihr Leben zerstören.

Rücken an Rücken, ein Buch von Julia Franck aus dem Jahre 2011, ist eine Lektüre, die wirklich weh tut. Gleichzeitig entwickelt das Buch von der ersten Seite an einen Sog, dem ich mich nicht widersetzen kann. 
Käthe scheint sich für ihre Kinder nicht im Geringsten zu interessieren. Doch obwohl sie der unempathischste und irgendwie auch unsympathischste Mensch ist, den ich mir vorstellen kann, gelingt es Franck doch, sie in einer Weise zu schildern, die auch Interesse an ihr erweckt. Sie arbeitet an ihren Skulpturen, aber vor allem predigt sie eine neue Gesellschaftsordnung, in der der Arbeiter studieren darf, und der Bourgeois in die Fabrik geht. In dieser neuen Gesellschaft haben Kinder und ihre Bedürfnisse keinen Raum, nur die Aufgabe, die neue Ordnung in die Welt zu tragen. 
Manchmal, als die beiden noch kleiner waren, hat sie sie wochenlang allein gelassen, ohne vorher Nahrung vorzubereiten. Thomas, obwohl der Jüngere, war immer derjenige, der dann das Essen organisiert hat. Thomas, der gerne Journalist werden möchte und dafür von seiner Mutter nur Verachtung erntet. Sie möchte, dass er in die Fußstapfen des eigenen Vaters tritt, der Professor gewesen ist. Erst soll er zwei Jahre im volkseigenen Betrieb arbeiten und danach Geologie studieren. Auf seine Idee, Ostdeutschland zu verlassen, um das noch keine Mauer gebaut war, erntete er ebenfalls nur Verachtung von Käthe, die jeden, der ging, für einen Verräter hielt.

Mit aller Kraft versuchen die Kinder, diese Käthe, die auf keinen Fall Mutter oder gar Mami genannt werden möchte, zu beeindrucken.
Diese Geschichte ist emotional so intensiv, dass es manchmal schwer auszuhalten ist. Man möchte diese Kinder retten. Man möchte diese Frau schlagen, aber natürlich hat auch sie, als Halbjüdin im dritten Reich geboren, eine traumatische Geschichte.
Wie Trauma Trauma reproduziert in den Menschen, das ist eine Sache, die dieses Buch schmerzhaft und unausweichlich spürbar macht.

Noch habe ich nur knappe 200 Seiten gelesen. Aber ich möchte es Euch unbedingt empfehlen.
Eine Geschichte, die einen aufreißt und einem vieles erzählt über die Anfänge der DDR, was seelisch mit den Menschen geschieht, wenn sie den Faschismus erlebt  haben und um sie herum eine Mauer gebaut wird.

(c) Susanne Becker

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