“Ich schreibe, weil da
eine Stimme in mir ist
die nicht still sein will.“
— Sylvia Plath, “You Ask Me Why I Spend My
Life Writing”
Warum ich schreibe, steht im Grunde vollkommener ausgedrückt als ich es je sagen könnte in diesem Zitat einer Autorin, die ich bewundert habe, als ich noch jung
war, die mir immer noch etwas bedeutet. JETZT drückt es meine
Befindlichkeit dem Schreiben gegenüber aus. Aber das war nicht immer so. Der Weg zu dieser Erkenntnis war lang und manchmal ein wenig mühsam. Das haben Wege ja so an sich.
— Ich
begann zu schreiben als ich 12 Jahre alt war. Ich tat es, um meinem
unglücklichen Zuhause zu entfliehen. Es öffnete einen Raum für mich, in dem ich eine
andere sein konnte. Ich begann also zu schreiben, weil ich eine Autorin, eine
Schriftstellerin sein wollte, und das war im Grunde jemand oder vielleicht
sogar etwas, mit dem niemand in meiner Familie von Arbeitern, Alkoholikern,
Hausfrauen und Bauern jemals in Berührung gekommen war. Schriftsteller waren
eventuell nicht einmal Menschen, aber wenn sie es doch waren, dann lebten sie
sehr weit weg von unserem Zuhause und suhlten sich in einem faulen und
wertlosen Lebensstil. Ich liebte das und wollte genau das auch tun.
— Es gab kein Buch in unserem Zuhause außer
denjenigen, die ich zu kaufen begann von meinem Taschengeld. Ich gab mein
ganzes Taschengeld für Bücher aus. Ich verbrachte jeden Nachmittag in dem
Bücherladen in der Nähe meiner Schule. Das erste Buch, das ich
mir kaufte, war Anne Franks Tagebuch. Es gehört auf die Liste jener Bücher, die alle lesen sollten,
bevor sie sterben. Ihr Schreiben berührte mich so sehr, dass ich mein eigenes
Tagebuch begann, nachdem ich ihres gelesen hatte. Viele Jahre lang begann ich
jeden Eintrag darin mit „Liebe Anne“, so wie sie die ihren mit „Liebe Kitty“
begonnen hatte. In meiner Vorstellung war Anne Frank meine Seelenverwandte,
meine beste Freundin, die Person, der ich alles mitteilen konnte, meine
Sehnsüchte, meine Klagen. Ich begann zu schreiben, um zu fliehen und auch um
jemand zu werden der möglichst weit entfernt von meinem Zuhause war. Während ich immer noch in meiner Kindheit
gefangen war, und das sollte auch für die nächsten etwa sieben Jahre so
bleiben, mutierte ich allabendlich an meinem kleinen Schreibtisch in meinem
winzigen Zimmer mit der braunen Blümchentapete in eine berühmte und sehr kluge
Person. Es zeigte sich mir sehr schnell, dass ich es liebte, an einem
Schreibtisch zu sitzen und dass mich Bücher, Notizbücher, Stifte regelrecht süchtig
machten. Ich kann mich besoffen schnüffeln an dem Duft einer Buchhandlung,
wobei amerikanische Buchhandlungen anders riechen als deutsche. Manchmal
bestelle ich mir ein Buch bei Amazon aus Amerika und rieche daran, bis ich
Sternchen sehe.
—
Ich
verbrachte in der Oberstufe dann sehr viel Zeit in der Schulbibliothek, lesend,
und schreibend über das, was ich las und ich entschied dort, dass ich
Philosophie studieren würde um noch mehr lesen und schreiben zu können. In
meinen Träumen lebte ich in den 60er Jahren, zog nach Paris und wurde eine enge
Freundin von Camus, Sartre und de Beauvoir. Ich bin wirklich kein Freund von
Laptops oder Computern, obwohl ich sie jetzt benutze. Sie sind praktisch.
Besonders, wenn man viel schreibt. Aber im Grunde liebe ich Papier, Stifte, gebundene
leere Bücher, die ich füllen kann. Ich hatte
den Traum, veröffentlicht zu werden, berühmt zu werden, reich sogar. Ich wollte
wie Simone de Beauvoir, wie Ingeborg Bachmann sein, ich wollte wie ein Bohème
leben und bis ich fünfundzwanzig Jahre alt war, fand ich die Vorstellung noch
nicht einmal schlimm, mich umzubringen oder in meinem eigenen Bett zu
verbrennen, gerne in Rom, weil meine Zigarette aufs Kissen fällt, Feuer fängt
und ich zu betrunken bin, um es früh genug zu bemerken, bis ich tot bin, da merke
ich es vielleicht, aber es macht nichts mehr. Die Idee berühmt zu werden wegen
eines berühmten Todes machte mir nichts aus, im Gegenteil. Ich war total
verliebt in das Bild der weiblichen, verzweifelten Poetin, ich trank ihre
Biografien, Sylvia Plath, Anne Sexton….Ich war bereit, tief in die Materie der
menschlichten Traurigkeit einzutauchen und darüber zu schreiben. Ich glaube,
ich änderte meine Meinung über das tragische Sterben, als ich beinahe dreissig
war. Ich meine, ich habe nie wirklich etwas getan, das mich in Gefahr gebracht
hätte außer zu viel zu rauchen und ein bisschen
zu viel zu trinken. Es war mehr die Idee eines tragischen Lebens, die
mich ansprach, nicht es wirklich zu leben. Ich war niemals der Typ für Stress
und Leiden. Ich überlebte also total unbeschädigt und hatte dann meine erste
Begegnung mit dem Buddhismus, was ebenfalls letztlich durch das Schreiben
geschah. Ich fand in einer Buchhandlung ein Buch von Natalie Goldberg über
Schreiben und Buddhismus. An dem Tag, an dem ich begann es zu lesen, begann ich
auch zu meditieren. Ich tat es auf Anne-Maries Sofa in Richmond und ich saß
absolut unbequem und wackelig auf ihrem Sofakissen, aber ich hörte dort sofort
und auf der Stelle meine eigene Stimme. Ich meine, ich hörte meine eigene Stimme
zum ersten Mal wirklich, während ich dort saß, mit dem Kissen kämpfte, welches
viel zu weich war, um darauf zu sitzen.
Von da an saß ich oft, und ich lauschte dem
dummen Gerede meiner eigenen Stimme und ich entschied, dass ich auf keinen Fall
ein tragisches Leben wollte, sondern glücklich und zufrieden sein wollte. Ich
hörte auf zu schreiben, für eine Weile. Ich schrieb allerdings weiter Tagebuch,
das immer. Ich füllte bis heute einhundertsechsundvierzig Bände and werde sie
vermutlich bald zerstören, bevor meine Töchter sie finden und erkennen, dass
ich doch nicht so interessant, so tief und so klug bin wie ich möchte, dass sie glauben, dass
ich es bin. Natürlich wissen sie das sowieso längst, aber die Idee, dass sie
all dieses dumme Zeug lesen und Beweise für meine Fehler und Schwächen finden,
lässt mich von Kopf bis Fuß erröten.
Nach Jahren des Tagebuchschreibens kam es
zurück, das Schreiben in anderer Form, in allen möglichen Formen, und es wurde
mehr und mehr eine Synchronübersetzung meiner inneren Stimme. Je mehr ich
meditierte, desto mehr lauschte ich dieser Stimme und umso mehr hatte ich zu
schreiben. Ich glaube, dass Meditation nicht dazu da ist, unsere innere Stimme
zum Schweigen zu bringen, dass glaubte ich früher fälschlicherweise, ich glaubte,
irgendwann würde es still werden da oben und dann hätte ich es geschafft. Jetzt
glaube ich, dass ich meditiere, um die Stimme klar und deutlich zu hören. Sie
erzählt mir alles, was ich wissen muss über das Leben.
(c) Susanne Becker
Danke für Deine Offenheit. Noch ein bischen viel "November". Wie ist es heute?
AntwortenLöschenherzliche Grüße Anna N.
früher Oktober - stürmisch, gefühlsmäßig warte ich auf herunterfallendes Laub :-) aber es ist o.k., die sonne scheint. Danke für Dein Feedback, Anna! LG
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