"Es ist nicht so gekommen, wie ich es mir vorgestellt hatte, sagt der Geschmack der Pflaume, und nun ist es zu spät. Heute ist der achte August, und an dem alten Pflaumenbaum mitten im Garten, .... sind fast alle Pflaumen, ..., reif. Ich habe heute, im frischen, kühlen Wind auf dem Rasen stehend, zwei Stück gegessen, und in der Melancholie, die ihr Geschmack in mir erweckte, lag auch etwas Gutes, der Gedanke an das alltägliche Leben, das bald beginnen wird, mit seinen Grenzen und seiner Routine, mit Herbst und Winter, die kein Versprechen in sich bergen."
Es beginnt wie, man könnte fast sagen, immer, mit kurzen
Texten über alltägliche Dinge wie Rote Johannisbeeren, Mücken oder
Campingplätze, Dinge, die jeder mit Sommer assoziiert und in deren Verlauf er schon sehr viel über seine Art zu denken und
die Welt zu sehen preisgibt. In denen auch hier und dort intimere Einblicke in
sein Leben, vergangen und gegenwärtig, einfließen.
Dann wird diese Dynamik der kurzen Texte unterbrochen durch den Beginn eines
Tagebuchs des Monats Juni 2016. Dieser Teil hat eine ganz andere Tonlage und
die Leserin wird näher herangezogen. In diesem Juni-Tagebuch erwähnt er bereits
eine Norwegerin, eine alte Frau, die sein Großvater kannte, möglicherweise auch
seine Großmutter. Die im Norden Norwegens im gleichen Ort gelebt hat wie die
beiden. Es gibt zu dieser Frau eine Geschichte, die zur Zeit der deutschen
Besatzung Norwegens spielte. Mitten im Tagebuch, nur für ein paar Seiten,
wechselt Knausgård den Erzähler: das Ich der vorherigen Seiten, von dem wir
annehmen dürfen, dass es sich um ihn selbst handelt, wird ohne Übergang
plötzlich diese alte Frau, die herum tastend nach einer Stimme für ihre offensichtlich schockierende Geschichte sucht.
Genauso übergangslos wechselt Knausgård zurück zum Ich des norwegischen Mannes,
der er sein könnte.
Aber die alte Frau taucht zwischendurch immer mal wieder
auf.
Im Juli-Tagebuch dann übernimmt sie einen großen Teil der
Erzählung und wir erfahren ihre Geschichte.
Dieser beinahe poetologisch zu nennende Einblick in das
Entstehen einer Geschichte, während sie entsteht, während er in seinem
Schreibschuppen am Rande seines Gartens sitzt, gegenüber im Haus schlafen die
Kinder, eben noch hat er den Rasen gemäht und für Gäste gegrillt, das hat mich wirklich umgehauen, weil es mutig ist. Es zwingt den Leser
dazu, in einem einzigen Buch drei verschiedene Bücher zu akzeptieren, sowie
zwei verschiedene Erzähler. Das ist insofern gewagt, als eine Leserin sofort
abspringt, wenn sie sich irritiert fühlt oder den Faden verliert. Er muss diese
drei Teile also auf eine Weise aufs Papier weben, die die Leserin die gesamte
Zeit über festhält, auch bei abrupten oder weniger abrupten Wechseln der
Perspektive. Zwischen den so unterschiedlichen Abschnitten können, das weiß vermutlich jede, die selbst schreibt, jene Abgründe entstehen, in die
einem eine Leserin Aufnimmerwiedersehen verloren geht. Aber meiner Meinung nach
gelingt es ihm, eben solche Abgründe gar nicht erst entstehen zu lassen. Ich
war wie gebannt von dem Text, von allen drei Texten. Ich las immer weiter und
weiter, weil ich wissen wollte, was Knausgård sonst noch erlebt, aber auch,
welches Geheimnis die Frau umgibt. Wird er es lösen? Oder wird er die Leserin
mit einem ungelösten Geheimnis zurück lassen? Auch das wäre ihm zuzutrauen. Ich
hätte es ihm sogar abgenommen. Wenn dann plötzlich wieder über Eiscreme oder
Regenwürmer geschrieben wird, ist es wie ein Nachhausekommen. Ich glaube, ich habe ihm alle drei Teile als dieses ganze, wunderbare Buch abgenommen, weil sie alle drei von etwas geprägt sind, was, das wird mir plötzlich erst jetzt, bei der Lektüre meines sechsten Buches von ihm, bewusst, alle seine Bücher durchzieht: eine beinahe naiv erscheinende Unschuld, eine Verletzbarkeit, die sich in keinster Weise schützt oder verbirgt. Das führt dazu, dass man dem Buch vertraut, Es gibt keinen Grund, sich vor ihm in Acht zu nehmen. Es steht offen und ehrlich vor einem.
dat Rosa Miel apibus, Anselm Kiefer, 2013 |
Dieses Buch, wie alle Jahreszeitenbände, ist illustriert mit
den Bildern eines Künstlers. In diesem Fall handelt es sich um den vielleicht
höchst bezahlten Künstler der Welt: Anselm Kiefer. Die Bilder sind von zarter
Schönheit und Intensität, das Gegenteil von allem, was ich bislang mit Kiefer assoziiert hatte. Sie tragen Titel wie „Ich bin der ich bin“ oder „Les
extases féminines“.
Eine der wunderbarsten Episoden für mich in diesem Buch,
das ehrlich gesagt voller wunderbarer Episoden steckt, ist der Moment, als Karl
Ove Knausgård Anselm Kiefer in seinem Studio nahe Paris besucht. Zwei geniale
Künstler, die sich im Grunde nichts zu sagen haben. Herrlich!
Nun bin ich fast fertig mit der Jahreszeiten Reihe, nur noch
circa vierzig Seiten liegen vor mir und sie fehlt mir schon jetzt. Ich mag Knausgårds Art, sich das Leben zu erschreiben, sehr.
Herzlich danke ich dem Luchterhand Verlag für das
Rezensionsexemplar.
Bereits besprochen auf dem Blog habe ich Im Frühling sowie Im Herbst und Im Winter und hier noch ein Link zu allen Texten auf dem Blog, in denen Knausgård vorkommt.
(c) Susanne Becker
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