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Buch der Woche - Lügnerin von Ayelet Gundar-Goshen

Das Buch Die Lügnerin von Ayelet Gundar-Goshen, 2017 bei kein & aber erschienen,  ist die Geschichte der siebzehnjährigen Nuphar, die keine wirklichen Freunde hat, den Sommer über in einem Eisladen jobbt und darunter leidet, dass ihre Schwester Maya die Hübschere ist und ihre Freundin Schiri nichts mehr mit ihr zu tun haben möchte. All das hört sich zunächst an, wie eine Teenagergeschichte. Am Anfang las es sich für mich auch so. Ich hatte ein wenig Probleme, Nuphars Verhalten so interessant zu finden, dass ich weiter lesen wollte. Es schien so weit weg von mir.

Am letzten Tag im Eisladen kommt ein alternder Sänger, der seine besten Jahre längst hinter sich hat, in den Salon. Nuphar lässt ihn für sein Gefühl zu lange warten, so dass er sie stinksauer und brutal zusammen faltet, als sie endlich auftaucht und ihn bedient.
Sie rennt verletzt in den Hinterhof. Er folgt ihr und beschimpft sie weiter. Nachdem der gesamte Sommer nicht eine von Nuphars Erwartungen erfüllt hat, und dies im Grunde auch auf ihr bisheriges Gesamtleben zutrifft, macht sie ihrem Frust darüber mit einem Mark und Bein durchdringenden Schrei Luft.
Dieser Schrei führt schnell zu einem Missverständnis. Der Sänger landet im Gefängnis und für Nuphar beginnt ein vollkommen neues, ein wunderbares Leben, mit Freunden, Fernsehauftritten, und einem Freund, dem ersten Kuss... Wie lange schafft sie es, diese Lüge aufrecht zu erhalten und was ist der Preis dafür?
Was für mich begann wie eine harmlose Geschichte über ein Mädchen im Alter meiner Töchter entpuppt sich bei der weiteren Lektüre als ein vielschichtiges Buch, das so viel mehr enthält: es ist ein Beitrag zur #metoo Debatte, ein Buch über die israelische Gesellschaft, eine Liebesgeschichte, ein Buch über das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern und über das Verhältnis von Medien zur Wahrheit.
In der Mitte taucht dann noch ein zweiter Handlungsstrang auf, der die über achtzigjährige Raymonde im Mittelpunkt hat. Auch sie lügt und baut sich auf einer Lüge ein vollkommen neues Leben auf. Auch sie lernt noch einmal einen Mann kennen. So fragt man sich als Leserin gleich zweimal: Was wird geschehen? Wie werden diese Lügen aufgelöst und was wird danach sein?

Nachdem ich mich ein wenig hindurchgearbeitet hatte durch die ersten 50 Seiten habe ich das Buch zunehmend verschlungen und kann es an dieser Stelle nur empfehlen. Es hat so großen Spaß gemacht, mit Nuphar und den anderen zu fiebern und sich zu fragen, wie lange sie durchhalten wird.

Es war für mich auch spannend zu sehen, wie leicht die Lektüre einen zu einer Freundin des Lügens machen kann, oder zu einer, die einer (oder sogar zwei) Lügnerinnen die Daumen drückt. Mögen sie mit ihren Lügen möglichst weit kommen und die Liebe finden. Aber das Buch holt einen auch immer wieder heraus aus dieser Idee, Lügen sei nicht einfach nur normal, sondern vollkommen in Ordnung. Ohne die Heldinnen je zu verurteilen, wird einem klar gemacht: Natürlich ist es normal. Alle Menschen lügen. Aber es wird einem auch bewusst, wie ein Leben auf Lügen aufgebaut die Lügnerin von innen zerfressen wird. Ergo: Nicht empfehlenswert als Lebensstrategie ist.
Das Buch ist sehr empfehlenswert und nicht nur wegen dem wunderbaren Cover eine perfekte Sommerferienlektüre.

(c) Susanne Becker

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