„Was willst du tun
in dem Jahr
das kommt?“
Ein zartes Buch.
Ein poetisches Buch.
Ein Buch über die Liebe.
Ein brutales Buch.
Ein wunderschönes Buch.
Ein Buch über den Tod.
Ein schonungsloses Buch.
Ein Buch wie ein Gedicht.
Ein Buch über ein Jahr.
Das Jahr von Tomas Espedal.
Vor ein paar Monaten sah ich ihn hier in Berlin im Rahmen des ilb zusammen mit seinem großartigen Übersetzer Hinrich
Schmidt-Henkel. Eine Stunde unterhielten sich die beiden wie beste Freunde über
das Leben und dieses Buch, seine Entstehung, seine Übersetzung, die eine
Herausforderung war, da Espedal in diesem Buch andere Dichter, in teils
veränderter Form, zitiert. Vor allem Petrarca.
Ein Buch, das niemandem etwas schenkt. Der Übersetzer musste damals Petrarcas Original studieren, dann das, was Espedal daraus auf Norwegisch gemacht hat und es dann möglichst genau ins Deutsche übertragen. Man merkte ihm an, wie sehr er diese Herausforderung, vor welche der Autor ihn gestellt, genossen hatte.
Eine Art Meditation in Buchform. Nein, in Versform.
„Die Frage ist,
wenn du wirklich geliebt hast: Wie lange Zeit
dauert es bis die Liebe vergeht?“
Auf den Spuren der Canzoniere von Petrarca reist der Autor
nach Frankreich, in die Vaucluse. Er besucht das Haus, in dem Petrarca gelebt und über Laura geschrieben hat, die er zum ersten Mal an inem 6. April erblickte. Das Buch Espedals beginnt an einem 6. April.
Dass er ein Reisender ist, ein Wanderer, einer, der gerne
trinkt, einer, der Janne liebt, das kann man wissen, wenn man seine früheren
Bücher gelesen hat.
In Berlin sagte er: Alle diese Bücher Wider die Natur, Wider die Kunst, Gehen, Bergeners, Biografie Tagebuch Briefe, sind eigentlich ein Roman in
mehreren Teilen. Der Versuch, schonungslos über das eigene Leben zu schreiben,
die Wahrheit über das eigene Leben zu schreiben, dies in verschiedenen Formen
zu tun: als Brief, als Essay, als Gedicht. Aber alles zusammen ergibt einen
großen Roman.
Diese Idee hat mich damals sehr beeindruckt, und nachdem ich
jetzt zunächst einmal den letzten Band gelesen habe, in Versform, bin ich
überzeugt, dass es eine großartige Idee ist, mit der Espedal mich vollkommen auf seine Seite ziehen konnte.
Die Form sprengen. Alles ausreizen, was möglich ist mit
Worten. Sich an keine Regeln halten. Schonungslos in der Wahrheit verharren.
Die Themen: Liebe und Tod.
Wie kann man leben, wenn die eine große Liebe einen
verlassen hat?
Wie kann man seinen eigenen, einen guten Tod, sterben?
Der Tod hat in all seinen Büchern eine große Rolle gespielt.
Denn die Mutter seiner Tochter und seine eigene Mutter sind im gleichen Jahr verstorben. Zwei große Verluste, die er immer wieder schreibend bearbeitet. Aber in diesem Buch scheint der Autor dem Tod oder umgekehrt, der Tod dem Autor, noch näher zu kommen. Der Tod scheint ihn viel direkter zu betreffen. Die Lebensmüdigkeit durch den Verlust der Geliebten, sowie das Altern machen ihm sehr zu schaffen.
Er geht mit seinem Vater auf eine Kreuzfahrt im
Mittelmeer, um diesen Vater, der kaum noch seine Wohnung verlässt und immer schwächer wird, dem Tode zu entreißen. Dabei spürt er, wie der Tod ihnen beiden näher kommt. Espedal hat große Angst davor,
auch noch seinen Vater zu verlieren. Diesen Vater, der immer nur Espedals
Mutter geliebt hat. Auch noch siebzehn Jahre nach deren Tod liebt er sie. Genau
wie Petrarca seine Laura. Genau wie Espedal seine Janne? Ist ewige Liebe
möglich? Auch das eine der Fragen, die im Buch eine Rolle spielen.
Das Buch ist privat und enthält doch klare Hinweise darauf,
wie das aktuelle Geschehen: Klimawandel, Flüchtlinge die im Mittelmeer
ertrinken, die Attentate in Paris, in diese Abgeschiedenheit, die er für sich
wünscht und wählt, hier sind Petrarca und Augustinus seine Inspiration, eindringt.
„Der Nachrichtensprecher sagt das Meer sei ein Friedhof
für die Flüchtlinge geworden ich höre es fast nicht beim
Lärm
der Kaffeemaschine das Wasser gurgelt einen strömenden
Bach oder ein schäumendes Meer wenn man das Ohr dicht
an den Apparat legt kann man die Toten fast hören.“
„Ein Jahr kann ein ganzes Leben enthalten und kann völlig
leer sein,“
Beides ist nachvollziehbar in diesem dünnen, nur 196 Seiten
langen Werk, erschienen 2019 bei Matthes & Seitz, das Cover illustriert von
Judith Schalansky, deren Verzeichnis einiger Verluste zufälligerweise nun mein
nächstes Buch ist.
Mich hat das Buch sehr berührt. Ich finde es in sprachlicher,
formaler und inhaltlicher Hinsicht einen großen Wurf und sicher ein
Lesehighlight 2020, obwohl das Jahr gerade erst begonnen hat.
Hier noch ein Link zu meiner Besprechung von Wider die Natur von 2016.
(c) Susanne Becker
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