Es gibt eine große Auswahl an Büchern von Ali Smith auf Deutsch. Sie sind bei Luchterhand erschienen.
Spring ist das neueste ihrer Bücher und noch nicht auf Deutsch erschienen.
Ich möchte es trotzdem hier besprechen, weil es ein Buch ist, das mich vom ersten Satz an nicht mehr losgelassen hat.
Dieser erste Satz lautet: "Now what we don't want is Facts." weiter geht es dann so: "What we want is bewilderment. What we want is repetition. What we want is repetition. What we want is people in power saying the truth is not the truth. What we want is elected members of parliament saying knife getting heated stuck in her front and twisted things like bring your own noose we want governing members of parliament shouting kill yourself at opposition members of parliament we want powerful people saying they want other powerful people chopped up in bags in my freezer..."
Da wusste ich, dass ist mein Buch.
Wovon handelt dieses Buch: Vom Leben in Großbitannien jetzt, Brexit Zeit, Johnson Zeit, Fremdenfeindlichkeit, rechte Populisten. Der Umgang mit Menschen, die als Schutzsuchende nach Großbitannien kommen, dort aber wie Kriminelle behandelt werden. Eingesperrt. Weggesperrt. Misshandelt. Es ist nicht schwierig, zu verstehen, wie sich das alles anfühlt, denn vieles von dem, was in England geschieht, geschieht auch in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern, und sowieso in den USA Die Ressentiments, die Befindlichkeiten, der Hass, die Angst, die Selbstgerechtigkeit, die Brutalität, sie haben eine beängstigende Allgemeingültigkeit erhalten.
Der Roman spiegelt diese Wirklichkeit wider, poetisch.
Der Roman fängt die Atmosphäre so wunderbar ein, diese Atmosphäre von nahendem Untergang, lauernder Gefahr, dem Ende der Vernunft, der Demokratie möglicherweise.
Es handelt auch vom Frühling, und somit von der Hoffnung.
Richard arbeitet beim Film. Er macht nicht unbedingt selbst Filme, sondern ist eher der Assistent von Filmemachern. Jahrelang war er der Assistent von Paddy, die ungemein klug war und belesen und von der so viel lernen konnte, die viele Jahre seine beste Freundin war. Aber Paddy ist vor kurzem gestorben und sein aktuelles Projekt macht er mit einem anderen Regisseur. Es handelt von einem fiktiven Nebeneinanderherleben der beiden Schriftsteller Rainer Maria Rilke und Katharine Mansfield in der Schweiz, am selben Ort, beide arbeiten an einem Lebensprojekt, ihre Wege verlaufen parallel, aber sie treffen sich nie. In dem Film allerdings, der sich nicht an den zugrundeliegenden Roman handelt, treffen sie sich und haben eine wilde Affäre. Richard findet das alles unerträglich und sucht nach der tieferen Bedeutung dieser fiktiven Begegnung. Vielleicht könnte man sogar sagen, er sucht nach der tieferen Bedeutung seines Lebens.
Brit arbeitet in einer Haftanstalt für Immigranten. Sie befinden sich in Haft, obwohl sie keine Kriminellen sind. Sie dürfen dort vom Gesetz her eigentlich nur höchstens 72 Stunden festgehalten werden. Viele befinden sich seit Jahren dort. Sie wissen nicht, ob sie jemals, wann sie wieder frei kommen. Willkür. Brutalität. Absolute Hoffnungslosigkeit. Brit verhärtet zusehends durch ihre Arbeit dort, die sie als Job anzusehen versucht.
Florence ist ein zwölfjähriges Mädchen. Sie trägt eine Schuluniform. Sie ist manchmal unsichtbar. Sie hat eine magische Wirkung auf Menschen und bringt Brit dazu, die eigentlich auf dem Weg zur Arbeit ist, mit ihr im Zug nach Schottland zu fahren.
Dort treffen sie an einem Frühlingstag an einem Bahnhof auf Richard.
Warum liebe ich dieses Buch so sehr? Vermutlich, weil es Elemente enthält und miteinander verbindet, die ich an Büchern unwiderstehlich finde: Politik, Zeitgeschehen, aber auf einer seelischen, beinahe poetischen Ebene, Kunst, die Sensibilität des Künstlers, der auf die Realität trifft und diese nicht mit dem Verstand analysiert, sondern fühlend bis auf den Grund durchdringt und enttarnt. Ihre Bücher tauchen tief, sie plätschern nicht einen Satz lang an der Oberfläche. Es ist eine Magie in ihnen.
Ich habe davor Autumn (welches bei Luchterhand unter dem Titel Herbst bereits auf Deutsch erhältlich ist und ich möchte es Euch sehr ans Herz legen) gelesen, den ersten Brexit Roman, wie er auch genannt wird, und für den Ali Smith den Booker Prize 2017 gewonnen hat.
Auch dort tut sie es, das Durchdringen dieser schmerzhaften Gegenwart, auf einer Ebene jenseits des Verstandes, auf einer Seelenebene, auf der die Gefühle, die die beispielsweise fast schon Normalität von fremdenfeindlichen Äußerungen angenommen hat, der Selbstgerechtigkeit der rechten Populisten, der Selbstverständlichkeit, mit der Lügen als Wahrheit und Wahrheiten als Lügen proklamiert von Menschen, die Staatsoberhäupter oder hohe Politiker in einer Demokratie sind. Sie hat die Gefühle, die all das in einem auslöst, auf subtile, auf poetische Weise geschildert. Ihre Bücher sind zugleich ein Bad in der Befindlichkeit des Heute, als auch eine Hoffnungsspur hinaus aus der katatonischen Starre, die die Situation einem zu Zeiten aufbürdet. Schockstarre. Ali Smiths Bücher verwandeln die Schockstarre in eine innere Bewegung, die darauf hinweist, dass Kunst alles aufzulösen vermag. Das Kunst eine Lösung ist. Ein Trost. Magie. Ein Wegweiser. Nein, nicht ist, sie kann es sein. Wenn man die Entscheidung trifft, sich auf diese Tiefe einzulassen und sich ihr zu öffnen.
Ich habe mir bereits Winter (gibt es auch schon auf Deutsch: Winter) gekauft und erfahren, dass Summer im August 2020 erscheinen wird. Die vier Bände kann man unabhängig voneinander lesen. Sie hängen nicht miteinander zusammen, vom Personal her oder von der Geschichte. Der Zusammenhang ist die zugrundeliegende Stimmung. Ein in Jahreszeitenbänden präsentiertes Panorama von Heute. Hier. Jetzt.
Bevor ich schließe, möchte ich noch darauf hinweisen, wie wunderschön die englischen Bücher sind. Selbst wenn ich sie nicht lesen würde, hätte ich sie gerne in meinem Regal stehen, aber mit dem Cover zum Betrachter, alle vier nebeneinander.
Ich freue mich, wenn Ihr sie alle lest 💙💚💛💜
(c) Susanne Becker
Spring ist das neueste ihrer Bücher und noch nicht auf Deutsch erschienen.
Ich möchte es trotzdem hier besprechen, weil es ein Buch ist, das mich vom ersten Satz an nicht mehr losgelassen hat.
Dieser erste Satz lautet: "Now what we don't want is Facts." weiter geht es dann so: "What we want is bewilderment. What we want is repetition. What we want is repetition. What we want is people in power saying the truth is not the truth. What we want is elected members of parliament saying knife getting heated stuck in her front and twisted things like bring your own noose we want governing members of parliament shouting kill yourself at opposition members of parliament we want powerful people saying they want other powerful people chopped up in bags in my freezer..."
Da wusste ich, dass ist mein Buch.
Wovon handelt dieses Buch: Vom Leben in Großbitannien jetzt, Brexit Zeit, Johnson Zeit, Fremdenfeindlichkeit, rechte Populisten. Der Umgang mit Menschen, die als Schutzsuchende nach Großbitannien kommen, dort aber wie Kriminelle behandelt werden. Eingesperrt. Weggesperrt. Misshandelt. Es ist nicht schwierig, zu verstehen, wie sich das alles anfühlt, denn vieles von dem, was in England geschieht, geschieht auch in Deutschland oder in anderen europäischen Ländern, und sowieso in den USA Die Ressentiments, die Befindlichkeiten, der Hass, die Angst, die Selbstgerechtigkeit, die Brutalität, sie haben eine beängstigende Allgemeingültigkeit erhalten.
Der Roman spiegelt diese Wirklichkeit wider, poetisch.
Der Roman fängt die Atmosphäre so wunderbar ein, diese Atmosphäre von nahendem Untergang, lauernder Gefahr, dem Ende der Vernunft, der Demokratie möglicherweise.
Es handelt auch vom Frühling, und somit von der Hoffnung.
Richard arbeitet beim Film. Er macht nicht unbedingt selbst Filme, sondern ist eher der Assistent von Filmemachern. Jahrelang war er der Assistent von Paddy, die ungemein klug war und belesen und von der so viel lernen konnte, die viele Jahre seine beste Freundin war. Aber Paddy ist vor kurzem gestorben und sein aktuelles Projekt macht er mit einem anderen Regisseur. Es handelt von einem fiktiven Nebeneinanderherleben der beiden Schriftsteller Rainer Maria Rilke und Katharine Mansfield in der Schweiz, am selben Ort, beide arbeiten an einem Lebensprojekt, ihre Wege verlaufen parallel, aber sie treffen sich nie. In dem Film allerdings, der sich nicht an den zugrundeliegenden Roman handelt, treffen sie sich und haben eine wilde Affäre. Richard findet das alles unerträglich und sucht nach der tieferen Bedeutung dieser fiktiven Begegnung. Vielleicht könnte man sogar sagen, er sucht nach der tieferen Bedeutung seines Lebens.
Brit arbeitet in einer Haftanstalt für Immigranten. Sie befinden sich in Haft, obwohl sie keine Kriminellen sind. Sie dürfen dort vom Gesetz her eigentlich nur höchstens 72 Stunden festgehalten werden. Viele befinden sich seit Jahren dort. Sie wissen nicht, ob sie jemals, wann sie wieder frei kommen. Willkür. Brutalität. Absolute Hoffnungslosigkeit. Brit verhärtet zusehends durch ihre Arbeit dort, die sie als Job anzusehen versucht.
Florence ist ein zwölfjähriges Mädchen. Sie trägt eine Schuluniform. Sie ist manchmal unsichtbar. Sie hat eine magische Wirkung auf Menschen und bringt Brit dazu, die eigentlich auf dem Weg zur Arbeit ist, mit ihr im Zug nach Schottland zu fahren.
Dort treffen sie an einem Frühlingstag an einem Bahnhof auf Richard.
Warum liebe ich dieses Buch so sehr? Vermutlich, weil es Elemente enthält und miteinander verbindet, die ich an Büchern unwiderstehlich finde: Politik, Zeitgeschehen, aber auf einer seelischen, beinahe poetischen Ebene, Kunst, die Sensibilität des Künstlers, der auf die Realität trifft und diese nicht mit dem Verstand analysiert, sondern fühlend bis auf den Grund durchdringt und enttarnt. Ihre Bücher tauchen tief, sie plätschern nicht einen Satz lang an der Oberfläche. Es ist eine Magie in ihnen.
Ich habe davor Autumn (welches bei Luchterhand unter dem Titel Herbst bereits auf Deutsch erhältlich ist und ich möchte es Euch sehr ans Herz legen) gelesen, den ersten Brexit Roman, wie er auch genannt wird, und für den Ali Smith den Booker Prize 2017 gewonnen hat.
Auch dort tut sie es, das Durchdringen dieser schmerzhaften Gegenwart, auf einer Ebene jenseits des Verstandes, auf einer Seelenebene, auf der die Gefühle, die die beispielsweise fast schon Normalität von fremdenfeindlichen Äußerungen angenommen hat, der Selbstgerechtigkeit der rechten Populisten, der Selbstverständlichkeit, mit der Lügen als Wahrheit und Wahrheiten als Lügen proklamiert von Menschen, die Staatsoberhäupter oder hohe Politiker in einer Demokratie sind. Sie hat die Gefühle, die all das in einem auslöst, auf subtile, auf poetische Weise geschildert. Ihre Bücher sind zugleich ein Bad in der Befindlichkeit des Heute, als auch eine Hoffnungsspur hinaus aus der katatonischen Starre, die die Situation einem zu Zeiten aufbürdet. Schockstarre. Ali Smiths Bücher verwandeln die Schockstarre in eine innere Bewegung, die darauf hinweist, dass Kunst alles aufzulösen vermag. Das Kunst eine Lösung ist. Ein Trost. Magie. Ein Wegweiser. Nein, nicht ist, sie kann es sein. Wenn man die Entscheidung trifft, sich auf diese Tiefe einzulassen und sich ihr zu öffnen.
Ich habe mir bereits Winter (gibt es auch schon auf Deutsch: Winter) gekauft und erfahren, dass Summer im August 2020 erscheinen wird. Die vier Bände kann man unabhängig voneinander lesen. Sie hängen nicht miteinander zusammen, vom Personal her oder von der Geschichte. Der Zusammenhang ist die zugrundeliegende Stimmung. Ein in Jahreszeitenbänden präsentiertes Panorama von Heute. Hier. Jetzt.
Bevor ich schließe, möchte ich noch darauf hinweisen, wie wunderschön die englischen Bücher sind. Selbst wenn ich sie nicht lesen würde, hätte ich sie gerne in meinem Regal stehen, aber mit dem Cover zum Betrachter, alle vier nebeneinander.
Ich freue mich, wenn Ihr sie alle lest 💙💚💛💜
(c) Susanne Becker
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