Lisa Taddeo, die für Magazine wie Elle oder New York schreibt, hat Frauen in ihren ganz normalen Leben beobachtet und nun ein Buch darüber geschrieben. Die kleinen Einzelheiten dieser Frauenleben sind das Futter des Buchs. Sie ist teilweise in die Orte gezogen, um diesen Frauen so nah wie möglich zu sein. Sie hat deren Nachbarn, Freunde, Familienmitglieder interviewt. Sie hat ein je detailliertes Bild von drei einzelnen Frauenleben gezeichnet und sie miteinander verwoben.
"Its the quotidian minutes of our lives that will go on forever, that will tell us who we were, who our neighbors and our mothers were, when we were too diligent in thinking they were nothing like us."
Ihr besonderes Interesse galt dabei Themen wie Begehren und Sex. Wie gehen Männer mit Frauen um? Wie lassen Frauen sich behandeln? Wie lieben Frauen? Was wollen sie wirklich? Wonach sehnen sie sich.
"Throughout history, men have broken women's hearts in a particular way. They love them or half-love them and then grow weary and spend weeks and months extricating themselves soundlessly, pulling their tails back into their doorways, drying themselves off, and never calling again. Meanwhile, women wait."
Dieses Buch hat mich auf manchen Seiten so wütend gemacht, dass ich es gegen die Wand werfen wollte. Ich fragte die Frauen im Buch laut: Habt Ihr das wirklich nötig? Euch so klein zu machen, Euch benutzen und beschmutzen zu lassen?
Die Antwort war im Grunde einfach, denn wie vermutlich viele Frau hatte ich ähnliches am eigenen Leib erlebt und vor mir selbst und der Welt verborgen. Also das Gefühl, gedemütigt, benutzt oder missachtet zu werden. Und hätte ich es nicht erlebt, und ich habe es nicht in diesem Ausmaß erlebt, wie die Frauen in dem Buch, dann hätte ich diese Demütigung, die einen dazu bringt, sich klein zu machen, dennoch in den Genen gehabt: also ja, sie haben es offensichtlich nötig. Weil, und das macht dieses Buch glasklar, Frauen in einer Welt leben, die immer noch um Männer und deren Bedürfnisse herum gebaut ist, deren männliches Begehren die Regeln vorgibt. Weshalb das weibliche Selbstwertgefühl in nicht wenigen Fällen nicht wirklich mehr Raum einnimmt als derjenige in dieser kleinen 0 hier, das wird einem bei der Lektüre körperlich klar. Eine gewisse Übelkeit ist beim Lesen manchmal kaum zu vermeiden.
Maggie, die in einem Alkoholikerhaushalt lebt und sich einem Lehrer anvertraut, der ihr Vertrauen ausnutzt und eine Affäre mit der Minderjährigen beginnt und Jahre später, in einem Verfahren, mittlerweile ist er Lehrer des Jahres im Staat North Dakota, alles ableugnet und vor den Augen der Öffentlichkeit, die lieber ein junges Mädchen der Lüge und der Verführung bezichtigt, als einen Mann anzuzweifeln, der ist, wie sie alle sein möchten, frei gesprochen wird. Er hat ein scheinbar erfolgreiches Leben, während sie mit der Zerstörung klar kommen muss, die sein Vertrauensbruch und sein mieses Verhalten bei ihr verursacht haben.
Sloane, die ihren Mann liebt und er sie. Aber er möchte, dass sie vor ihm mit anderen Männern Sex hat. Sie tut es. Sie genießt es sogar ein Stückweit. Aber tief in ihrem Inneren sitzt die Gewissheit, dass sie seine Dienerin ist, und es niemals darum geht, was sie wirklich will. Dass sobald es darum gehen würde, alles zerbrechen würde.
Lina, die in einer unbefriedigenden Ehe lebt, ihr Mann möchte sie noch nicht einmal mehr küssen, und wieder Kontakt zu einem Jugendfreund aufnimmt, die als junges Mädchen auf einer Party von drei Jungs mit einer Droge lahmgelegt und von allen dreien mehrfach vergewaltigt wurde. Sie lässt sich auf eine Affäre mit diesem Jugendfreund ein, in der verzweifelten Hoffnung, endlich um ihrer selbst willen geliebt zu werden.
Vielleicht ist es das, was einen so tief verletzt bei der Lektüre, dass man erkennt, wie sehr jede einzelne dieser Frauen sich danach sehnt, um ihrer Selbst willen geliebt zu werden und wie wenig sie dieses Gefühl kennen. Sie würden ihre Seele dafür verkaufen, geliebt zu werden.
Wenn ich also frage, Habt Ihr das nötig? Dann kenne ich die Antwort nur allzu gut, weil ich selbst eine Frau bin und weil ich unendlich viele Frauen kenne, denen es genauso geht: Wir würden unsere Seele verkaufen, wenn wir einmal für das geliebt werden würden, was uns ausmacht. Wenn wir nicht in einer Welt aufgewachsen wären, in der uns Achtung für uns selbst ausgeredet wurde, nicht selten von den eigenen Müttern. In der wir sie uns mühsam zurück erobern müssen.
Das Selbstwertgefühl von Frauen ist verschwindend klein. Jahrelang dachte ich, dass jede einzelne Frau selbst dafür verantwortlich wäre, es zu heilen. Bis mir irgendwann klar wurde, dass es ein systemischer Fehler ist. In einer patriarchalen Gesellschaft, in der alles von den Bedürfnissen weißer Männer aus strukturiert ist, kann das Selbstwertgefühl von Frauen nicht wachsen oder heilen. Das geht nur, wenn die ganze Gesellschaft sich verändert.
Dieses Buch predigt nicht. Es erzählt nur. Es ist wunderbar geschrieben, so dass man lesend durch die Sprache gleitet und diese die Gefühle wie durch ein Brennglas fühlbar macht. Die minutiösen Einzelheiten aus drei ganz normalen Frauenleben, von Frauen, die von anderen Frauen gerne als Huren oder Schlampen bezeichnet werden, weil sie Sex haben oder öffentlich etwas begehren, das ihnen systemisch gesehen, nicht zusteht.
Das Buch zeigt so vieles. Bei der Lektüre habe ich einiges über mich selbst gelernt, über Frauen im allgemeinen, aber auch über Männer und über unser System.
Es hat mir noch einmal gezeigt, was ich schon lange weiß, dass Mütter und Töchter oftmals die besten Werkzeuge im Dienste der Gesellschaft sind und alles darein setzen, die Frauen in ihrer Familie auf Linie zu halten.
Wie es die Mutter der Autorin auf dem Sterbebett so schön sagte: Zeig ihnen niemals, dass du glücklich bist. Anderen Frauen. Sie werden versuchen, dich runter zu ziehen.
Es ist ein Buch über Feminismus und kann einem dafür die Augen öffnen, was unter Frauen nötig ist, damit Feminismus wirklich möglich wird. Eine Lektüre, die die Augen öffnet und einem große Klarheiten verschafft. Während der Lektüre war ich oft sauer oder sehr traurig. Nach Beendigung des Buches habe ich das Gefühl, der Wahrheit umso vieles näher gekommen zu sein. Eines der wichtigsten Bücher, die ich in 2019 gelesen habe. Weil ich beim Lesen für mich verstand, dass Emanzipation nur möglich ist, wenn auch auf den Schmerz der Frauen geschaut wird. Auf das, was sie tun, und wofür sie von anderen oder sich selbst zutiefst verachtet werden. Ihre Schwäche, ihr Flehen, ihr Wimmern um Liebe. Wenn verstanden wird, dass dies nicht eine Schwäche der einzelnen Frau ist und Verachtung verdient, sondern dass genau dieses Verhalten der drei von Taddeo vorgestellten Frauen ein Produkt des patriarchalen, frauenverachtenden Systems ist.
Das Buch wird am 13.1.2020 bei Piper auf Deutsch erscheinen.
(c) Susanne Becker
"Its the quotidian minutes of our lives that will go on forever, that will tell us who we were, who our neighbors and our mothers were, when we were too diligent in thinking they were nothing like us."
Ihr besonderes Interesse galt dabei Themen wie Begehren und Sex. Wie gehen Männer mit Frauen um? Wie lassen Frauen sich behandeln? Wie lieben Frauen? Was wollen sie wirklich? Wonach sehnen sie sich.
"Throughout history, men have broken women's hearts in a particular way. They love them or half-love them and then grow weary and spend weeks and months extricating themselves soundlessly, pulling their tails back into their doorways, drying themselves off, and never calling again. Meanwhile, women wait."
Dieses Buch hat mich auf manchen Seiten so wütend gemacht, dass ich es gegen die Wand werfen wollte. Ich fragte die Frauen im Buch laut: Habt Ihr das wirklich nötig? Euch so klein zu machen, Euch benutzen und beschmutzen zu lassen?
Die Antwort war im Grunde einfach, denn wie vermutlich viele Frau hatte ich ähnliches am eigenen Leib erlebt und vor mir selbst und der Welt verborgen. Also das Gefühl, gedemütigt, benutzt oder missachtet zu werden. Und hätte ich es nicht erlebt, und ich habe es nicht in diesem Ausmaß erlebt, wie die Frauen in dem Buch, dann hätte ich diese Demütigung, die einen dazu bringt, sich klein zu machen, dennoch in den Genen gehabt: also ja, sie haben es offensichtlich nötig. Weil, und das macht dieses Buch glasklar, Frauen in einer Welt leben, die immer noch um Männer und deren Bedürfnisse herum gebaut ist, deren männliches Begehren die Regeln vorgibt. Weshalb das weibliche Selbstwertgefühl in nicht wenigen Fällen nicht wirklich mehr Raum einnimmt als derjenige in dieser kleinen 0 hier, das wird einem bei der Lektüre körperlich klar. Eine gewisse Übelkeit ist beim Lesen manchmal kaum zu vermeiden.
Maggie, die in einem Alkoholikerhaushalt lebt und sich einem Lehrer anvertraut, der ihr Vertrauen ausnutzt und eine Affäre mit der Minderjährigen beginnt und Jahre später, in einem Verfahren, mittlerweile ist er Lehrer des Jahres im Staat North Dakota, alles ableugnet und vor den Augen der Öffentlichkeit, die lieber ein junges Mädchen der Lüge und der Verführung bezichtigt, als einen Mann anzuzweifeln, der ist, wie sie alle sein möchten, frei gesprochen wird. Er hat ein scheinbar erfolgreiches Leben, während sie mit der Zerstörung klar kommen muss, die sein Vertrauensbruch und sein mieses Verhalten bei ihr verursacht haben.
Sloane, die ihren Mann liebt und er sie. Aber er möchte, dass sie vor ihm mit anderen Männern Sex hat. Sie tut es. Sie genießt es sogar ein Stückweit. Aber tief in ihrem Inneren sitzt die Gewissheit, dass sie seine Dienerin ist, und es niemals darum geht, was sie wirklich will. Dass sobald es darum gehen würde, alles zerbrechen würde.
Lina, die in einer unbefriedigenden Ehe lebt, ihr Mann möchte sie noch nicht einmal mehr küssen, und wieder Kontakt zu einem Jugendfreund aufnimmt, die als junges Mädchen auf einer Party von drei Jungs mit einer Droge lahmgelegt und von allen dreien mehrfach vergewaltigt wurde. Sie lässt sich auf eine Affäre mit diesem Jugendfreund ein, in der verzweifelten Hoffnung, endlich um ihrer selbst willen geliebt zu werden.
Vielleicht ist es das, was einen so tief verletzt bei der Lektüre, dass man erkennt, wie sehr jede einzelne dieser Frauen sich danach sehnt, um ihrer Selbst willen geliebt zu werden und wie wenig sie dieses Gefühl kennen. Sie würden ihre Seele dafür verkaufen, geliebt zu werden.
Wenn ich also frage, Habt Ihr das nötig? Dann kenne ich die Antwort nur allzu gut, weil ich selbst eine Frau bin und weil ich unendlich viele Frauen kenne, denen es genauso geht: Wir würden unsere Seele verkaufen, wenn wir einmal für das geliebt werden würden, was uns ausmacht. Wenn wir nicht in einer Welt aufgewachsen wären, in der uns Achtung für uns selbst ausgeredet wurde, nicht selten von den eigenen Müttern. In der wir sie uns mühsam zurück erobern müssen.
Das Selbstwertgefühl von Frauen ist verschwindend klein. Jahrelang dachte ich, dass jede einzelne Frau selbst dafür verantwortlich wäre, es zu heilen. Bis mir irgendwann klar wurde, dass es ein systemischer Fehler ist. In einer patriarchalen Gesellschaft, in der alles von den Bedürfnissen weißer Männer aus strukturiert ist, kann das Selbstwertgefühl von Frauen nicht wachsen oder heilen. Das geht nur, wenn die ganze Gesellschaft sich verändert.
Dieses Buch predigt nicht. Es erzählt nur. Es ist wunderbar geschrieben, so dass man lesend durch die Sprache gleitet und diese die Gefühle wie durch ein Brennglas fühlbar macht. Die minutiösen Einzelheiten aus drei ganz normalen Frauenleben, von Frauen, die von anderen Frauen gerne als Huren oder Schlampen bezeichnet werden, weil sie Sex haben oder öffentlich etwas begehren, das ihnen systemisch gesehen, nicht zusteht.
Das Buch zeigt so vieles. Bei der Lektüre habe ich einiges über mich selbst gelernt, über Frauen im allgemeinen, aber auch über Männer und über unser System.
Es hat mir noch einmal gezeigt, was ich schon lange weiß, dass Mütter und Töchter oftmals die besten Werkzeuge im Dienste der Gesellschaft sind und alles darein setzen, die Frauen in ihrer Familie auf Linie zu halten.
Wie es die Mutter der Autorin auf dem Sterbebett so schön sagte: Zeig ihnen niemals, dass du glücklich bist. Anderen Frauen. Sie werden versuchen, dich runter zu ziehen.
Es ist ein Buch über Feminismus und kann einem dafür die Augen öffnen, was unter Frauen nötig ist, damit Feminismus wirklich möglich wird. Eine Lektüre, die die Augen öffnet und einem große Klarheiten verschafft. Während der Lektüre war ich oft sauer oder sehr traurig. Nach Beendigung des Buches habe ich das Gefühl, der Wahrheit umso vieles näher gekommen zu sein. Eines der wichtigsten Bücher, die ich in 2019 gelesen habe. Weil ich beim Lesen für mich verstand, dass Emanzipation nur möglich ist, wenn auch auf den Schmerz der Frauen geschaut wird. Auf das, was sie tun, und wofür sie von anderen oder sich selbst zutiefst verachtet werden. Ihre Schwäche, ihr Flehen, ihr Wimmern um Liebe. Wenn verstanden wird, dass dies nicht eine Schwäche der einzelnen Frau ist und Verachtung verdient, sondern dass genau dieses Verhalten der drei von Taddeo vorgestellten Frauen ein Produkt des patriarchalen, frauenverachtenden Systems ist.
Das Buch wird am 13.1.2020 bei Piper auf Deutsch erscheinen.
(c) Susanne Becker
Kommentare
Kommentar veröffentlichen