Direkt zum Hauptbereich

Corona Tagebuch (53)

The Art of Disappearing

When they say Don't I know ?
Say no

When they invite you the party
remember what parties are like
before answering.
Someone is telling in a loud voice
they once wrote a poem.
Greasy sausage balls on a paper plate.
Then reply.

If they say We should get together.
say why?

It's not that you don't love them anymore.
You're trying to remember something
too important to forget.
Trees. The monastery bell at twilight.
Tell them you have a new project.
It will never be finished.

When someone recognizes you in a grocery store
nod briefly and become a cabbage.
When someone you haven't seen in ten years
appears at the door,
don't start singing him all your new songs.
You will never catch up.

Walk around feeling like a leaf.
Know you could tumble any second.
Then decide what to do with your time.

Dies ist mein liebstes Gedicht einer meiner liebsten Dichterinnen. Ich kann es diesmal nicht übersetzen, es ist so lang, aber es ist nicht schwierig, vielleicht könnt Ihr es lesen? Ich finde, es passt so gut in diesen Moment.
Gehe umher und fühle dich wie ein Blatt.
Wisse, dass Du jede Sekunde fallen könntest.
Dann entscheide, was du tun willst mit deiner Zeit.

Für mein Gefühl war und bin ich nie so nah an der Erkenntnis gewesen, dass ich jede Sekunde fallen könnte, wie in diesen letzten Wochen und auch jetzt. Was will ich mit meiner Zeit tun?
Unbequeme Wahrheit, Kreuzberg Style

Heute fuhr ich durch einen Park. Ein Teil des Geländes war mit rot-weißem Flatterband abgesperrt und mein allererster Gedanke war: Spielplatz, abgesperrt, schade. Sowas in der Art. Bis mir einfiel, dass die Spielplätze ja wieder offen sind und dort auch gar kein Spielplatz ist, sondern nur Wiese und Bäume sind. Dann erst, ich war längst vorbei geradelt, kapierte ich, dass das Flatterband dort ist, um frisch ausgesäte Wiese vor Füßen, die sie gleich zertrampeln, zu bewahren.
Diese siebeneinhalb Wochen des Ausnahmezustands machen Dinge mit einem.
Sie programmieren uns um. Meine Kollege sagte heute, wie er langsam merkt, dass die durch Corona entstandenen Veränderungen unseres gesamten Lebens bei ihm Wirkung zeigten. Mein Kollege, dem es seit Jahren immer "glänzend" geht, "ganz wunderbar", sagt das schon seit ein paar Tagen nicht mehr. Er schläft schlechter. Er träumt intensiver. Er fühlt sich unruhig, frustriert. Als er mir davon erzählte, merkte ich, dass es mir zwar anders geht, aber ich dennoch auch Wirkungen spüre, die ganz subtil sind. Ich weiß noch gar nicht, was sie mit mir machen.
Rot-weißes Flatterband, früher assoziierte ich es mit Baustelle, heute mit einem Spielplatz, der leer in der Sonne liegt und den niemand betreten darf wegen einer Pandemie.

Was noch?
Wenn man jemanden trifft, diese Unsicherheit, wie man mit dem Abstand umgeht.
Die Überraschung, wenn man irgendwo zwei Leute sieht, die sich umarmen.
Die Überraschung, wenn man irgendwo eine Gruppe von mehr als drei Leuten sieht. Sofort rattert es bei mir: Familie? Selber Haushalt? Dürfen die das?
Dass man niemanden mehr berührt: keine Hände schüttelt, keine Umarmungen (außer ganz selten mal, manchmal).
Die Überforderung, wenn mir jemand zu nahe kommt und ich nicht weiß: kann ich dieser Person jetzt sagen, dass sie bitte Abstand halten soll oder belastet das dann gleich den ganzen Kontakt?
Selbstverständlich immer eine Maske in der Tasche, sie aufsetzen, bevor man einen Laden betritt.
All das wird nicht in drei Wochen vorüber sein.
Als die Maßnahmen begannen, dachte ich, wir würden jetzt einen überschaubaren Zeitraum betreten.
Wie es langsam einsickerte und immer noch einsickert, dass dieser Zeitraum eben nicht einschätzbar ist. Wenn ich gestern schrieb, dass ich mich auf ein Jahr einstelle, ist das ja auch ein Hilfskonstrukt. Ich bin jemand, der auch gut mit langen Zeiträumen umgehen kann, selbst wenn ich mich darin beschränken, zurücknehmen, quasi fasten muss. Aber die Unendlichkeit fände ich nicht hinnehmbar. Also, wenn jetzt vieles für immer so bliebe und sich als unsere Art zu leben etablierte. Das könnte ich nicht. Glaube ich. Aber was weiß ich schon. Es verändert einen und die Veränderungen sind so subtil, so filigran, sie fallen einem erstmal kaum auf.

Die Straßen sind eigentlich nicht mehr leer. Es sind wieder viel mehr Autos unterwegs. Das stört mich, wenn ich ehrlich bin.
Ich habe heute mehrere Kinder mit Schulranzen gesehen. Vereinzelt. Sie sahen aus wie Aliens. Auch da  der erste Gedanke: ? Wo geht dieses Kind hin? Dann: ah ja, die Schulen öffnen ja wieder schrittweise.
In dem Kindergarten, der sein Außengelände unter meinen Bürofenstern hat, sind mittlerweile wieder  mehr als zwei Kinder. Sie spielen wieder ganz toll. Aber jedes für sich. Sie singen auch. Sie reden miteinander. Ich könnte den ganzen Tag das Fenster offen lassen, nur um sie zu hören. Erst jetzt fällt mir auf, wie traurig diese wochenlange Stille dort unten war.

Ich schaue mir gerade, weil er ein Feindbild zu sein scheint, auch in meinem Umfeld, also bei einigen, und die Art, wie dieses Feindbild gepflegt wird, für mich absonderliche Züge annimmt, eine Netflixserie über Bill Gates an. Der Mensch Bill Gates. Ein Blick in seinen Kopf, in den Kopf eines  womöglich Genies. In die soziale Arbeit, die er tut mit seiner Frau in der Bill & Melissa Gates Foundation. Toiletten in Slums bringen, als Beispiel. Ich habe überhaupt keine Meinung zu diesem Mann. Ich weiß nichts über ihn. In meinem Hinterkopf aber hatte ich eigentlich ein relativ positives Bild von ihm. So oft stolperte ich in Artikeln z.B. der New York Times über Dinge, die er in Bewegung gebracht wo er geholfen hat: Armen, Kindern. Dennoch gehe ich relativ unvoreingenommen an die Serie heran. Naja, eigentlich möchte ich ihn wirklich gut finden, mich faszinieren lassen. Der Grund hierfür sind zum einen die wirklich brutalen und menschenverachtenden Dinge, die ich Menschen in den letzten Wochen über ihn habe sagen hören und die mich alle nicht überzeugt haben. Allein wegen der Attitüde. Tja, deshalb my next mission: Mir mein eigenes Urteil über ihn bilden. Weil, zum anderen hat meine ältere Tochter die Serie schon geschaut und war ziemlich angetan.

Randnotiz: Mein kostenloses Netflixprobeabo läuft schon in acht Tagen aus und ich bin noch nicht mal annähernd durch die Serien und Filme auf meiner Liste durch. Das machen sie mit Absicht, dass die Zeit während einer Pandemie so schnell vergeht, und dass sie so viele interessante Serien und Filme haben. Und jetzt wird es noch dazu kommen, dass ich Netflix bezahle, für einen Monat. 😕

P.S. Vor sieben Jahren habe ich schon einmal hier einen Text geschrieben, der von dem Gedicht oben aus ging.

Ich schaue jetzt weiter Bill Gates. Schlaft gut, bleibt gesund, may the force be with you 💪

(c) Susanne Becker

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

100 bemerkenswerte Bücher - Die New York Times Liste 2013

Die Zeit der Buchlisten ist wieder angebrochen und ich bin wirklich froh darüber, weil, wenn ich die mittlerweile 45 Bücher gelesen habe, die sich um mein Bett herum und in meinem Flur stapeln, Hallo?, dann weiß ich echt nicht, was ich als nächstes lesen soll. Also ist es gut, sich zu informieren und vorzubereiten. Außerdem sind die Bücher nicht die gleichen Bücher, die ich im letzten Jahr hier  erwähnt hatte. Manche sind die gleichen, aber zehn davon habe ich gelesen, ich habe auch andere gelesen (da fällt mir ein, dass ich in den nächsten Tagen, wenn ich dazu komme, ja mal eine Liste der Bücher erstellen könnte, die ich 2013 gelesen habe, man kann ja mal angeben, das tun andere auch, manche richtig oft, ständig, so dass es unangenehm wird und wenn es bei mir irgendwann so ist, möchte ich nicht, dass Ihr es mir sagt, o.k.?),  und natürlich sind neue hinzugekommen. Ich habe Freunde, die mir Bücher unaufgefordert schicken, schenken oder leihen. Ich habe Freunde, die mir Bü...

Und keiner spricht darüber von Patricia Lockwood

"There is still a real life to be lived, there are still real things to be done." No one is ever talking about this von Patricia Lockwood wird unter dem Namen:  Und keiner spricht darüber, übersetzt von Anne-Kristin Mittag , die auch die Übersetzerin von Ocean Vuong ist, am 8. März 2022 bei btb erscheinen. Gestern tauchte es in meiner Liste der Favoriten 2021 auf, aber ich möchte mehr darüber sagen. Denn es ist für mich das beste Buch, das ich im vergangenen Jahr gelesen habe und es ist mir nur durch Zufall in die Finger gefallen, als ich im Ebert und Weber Buchladen  meines Vertrauens nach Büchern suchte, die ich meiner Tochter schenken könnte. Das Cover sprach mich an. Die Buchhändlerin empfahl es. So simpel ist es manchmal. Dann natürlich dieser Satz, gleich auf der ersten Seite:  "Why did the portal feel so private, when you only entered it when you needed to be everywhere?" Dieser Widerspruch, dass die Leute sich nackig machen im Netz, das im Buch immer ...

Gedanken zu dem Film Corsage von Marie Kreutzer mit Vicky Krieps

  When she was home, she was a swan When she was out, she was a tiger. aus dem Song: She was von Camille   (s.u.) Ich kenne so viele Frauen, die sich ein Leben lang nicht finden, die gar nicht dazu kommen, nach sich zu suchen, die sich verlieren in den Rollen, die die Welt ihnen abverlangt.  Es gibt so viele Orte, an denen Frauen nicht den Schimmer einer Wahl haben, zu entscheiden, wie sie leben, wer sie sein möchten. Diese Orte werden mehr. Orte, an denen Frauen einmal ein wenig freier waren, gehen uns wieder verloren. Die meisten Frauen leben gefährlich. Gefährlicher als Soldaten in Kriegen.  Aber dennoch hatte ich kein Mitleid mit der Kaiserin, den ganzen Film über nicht ein einziges Mal, weil sie eigentlich nicht als sympathische Person gezeigt wurde. Was ich gut fand. Denn welche Frau kann sich etwas davon kaufen, dass sie bemitleidet wird? Elisabeth ist in diesem Film selbstzentriert, rücksichtslos, narzisstisch. Besessen von ihrem Körper, seinem Gew...