"Wir haben mehr als ein Leben. Wir haben zwar oft das Gefühl, wir könnten manche Ereignisse nie vergessen und über bestimmte Dinge nie hinwegkommen. Aber wir tun genau das - wir tun es die ganze Zeit, in der Regel, ohne dass wir uns dessen bewusst sind, und manchmal, ohne es uns einzugestehen." aus Daniel Schreiber, Zuhause
Am Abend klingelte dann noch der Mann meiner Wiener Freundin, der vor seiner Rückfahrt ein paar Bücher von mir für sie abholen wollte. Anstatt die Bücher im Hof zu übergeben, haben wir dann spontan beschlossen, extrem wagemutig zu sein und er kam hoch und wir saßen, mit anderthalb Metern Abstand und einer Flasche Wein zwischen uns im Wohnzimmer. Wenn man im Grunde fast nie mehr Freunde trifft, hat man sich, wenn man sich dann trifft, so viel zu erzählen. Das ist schon irre, wie man da sozial ausblutet. Das ist mir gestern Abend bewusst geworden. Obwohl ich eigentlich sogar vergleichsweise oft Menschen sehe, sowieso durch meine Arbeit, meine Kinder, aber dieses sich treffen, eine Flasche Wein leeren, über tote Mütter, die Verhältnisse in Amerika, Architektur und Fotografie sprechen, von Hölzchen auf Stöckchen kommen, entspannt, das hat man ja nur noch sehr selten. Ich weiß auch im Grunde nicht, ob wir jetzt mit unserem spontanen, ungeplanten Treffen eine Coronaregel gebrochen haben (2 Personen aus 2 Haushalten müsste eigentlich okay sein, oder?). Aber was ich weiß, ist dass ich jetzt unsicher bin. Was? Wenn sich morgen rausstellt, dass ich Corona positiv bin und er muss wegen mir in Quarantäne? Solche Gedanken hat man plötzlich.
Ich habe das Buch gestern beendet. Aber das war eher nicht der Grund, das ich nicht zum Schreiben kam. Eigentlich wollte ich den ganzen Tag Yoga machen, vielleicht mal einen kurzen Spaziergang unternehmen, lesen und natürlich schreiben. Aber dann entwickelte der Samstag eine Art Eigendynamik, wie ich es an einem harmlosen Tag, mitten in einer Pandemie zumal, selten erlebt habe und ich lag leicht angetrunken im Bett, halb 12, bevor ich mich versah, obwohl es eben gerade erst 9 Uhr morgens gewesen war und ich war glücklich. Denn der Tag war von A-Z klasse gewesen. Ich war halt nur nicht dazu gekommen, zu schreiben, oder Yoga zu machen. Was solls. Deshalb gibt es das Corona Tagebuch von gestern heute Mittag und vielleicht dann heute Abend noch eines. Das verspreche ich aber nicht. Wer weiß, wie sich dieser Tag wieder entwickeln wird 😁
Gestern habe ich zwei sehr lange Telefonate geführt. Zum einen mit meiner wunderbaren Schwägerin, die Geburtstag hatte und in NRW an einer Schule als Lehrerin arbeitet, wo sie seit dem Sommer täglich ihre Frau gestanden hat und teilweise vier unterschiedliche Klassen an einem Tag unterrichten musste, eine Referendarin betreut, Noteinsätze stemmte, weil so viele andere Lehrer*innen krank waren, Atteste hatten, einfach nicht mehr konnten. Ich war so voller Bewunderung für sie und weiß gar nicht, ob irgendjemand all diesen Lehrer*innen, die hier seit März den Laden zusammen halten, mal eine Parade organisiert oder sich angemessen bei ihnen bedankt. Ist das in Planung? Sie waren die ganze Zeit, und werden es nach dem Lockdown auch wieder sein, einem großen Risiko ausgesetzt und machen es einfach und ich habe bislang von ihnen noch keine Klagen gehört. Für die Kinder letztlich. Die dankenswerterweise trotz Pandemie zur Schule gehen konnten und eine Stabilität und auch Normalität erleben durften in all dem Wahnsinn. Ich sehe das ja auch an der Schule meiner Tochter, was dort geleistet wird. Das macht mich seit Monaten sprachlos und noch viel sprachloser macht es mich dann, wenn ich wieder irgendwelche Eltern treffe, die das alles im Grunde viel besser hinkriegen würden und sich ständig beschweren. Dieses Gemeckere produziert soviel negative Energie, die das System in meiner Wahrnehmung nur unnötig schwächt. Meistens drehe ich mich mittlerweile dann einfach um und beende solche Gespräche kommentarlos. Ich bin irre kompromisslos darin geworden, mir Sachen vom Leib zu halten, die mir meine Energie rauben. Auch das ein Resultat von Corona, für das ich im Grunde nicht undankbar bin.
Das andere Telefonat war mit meiner Freundin in Wien, die dort seit Sommer lebt. Wir haben über unsere Arbeiten gesprochen, über Bücher, darüber, wie wir die letzten Monate empfinden und was es mit uns macht. Eigentlich hatte ich sie und meine Freunde im Burgenland in den Herbstferien besuchen wollen. Aber das ging ja schon nicht mehr.
Dann war ich noch mit einer anderen Freundin zwei Stunden im Park und im Wald spazieren.
Als wir an der Spree ankamen, machte sich gerade ein Mann mit schwarzem Schwimmanzug bereit, in die Fluten zu steigen. Er verstaute seine Sachen in einem kleinen orangen Rucksack und zog sich Handschuhe, eine Haube, Kapuze und eine Art Schuhe an, so dass schlussendlich nur noch sein Gesicht zu sehen war und dann stapfte er über die Wiese an den Rand des Wassers und stieg hinein. Er schwamm mit kräftigen, sehr ruhigen Zügen Richtung Insel der Jugend, parallel zu unserem Spazierweg, so dass wir eine Weile mit ihm mit liefen. Sein oranger Rucksack war an einem Band um seine Hüfte befestigt und schwamm wie eine kleine Boje hinter ihm her.
Dieser Mann erinnerte mich daran, dass ich mir eigentlich in jedem Sommer, wenn ich regelmäßig in den Seen hier schwimme vornehme, das den ganzen Winter über durchzuhalten. Diesen Sommer las ich sogar ein Buch (Turning von Jessica J. Lee), das mich in meinem Unterfangen inspirieren sollte. Bei 28 Grad leger im Wasser treibend, kann ich mir immer sehr gut vorstellen, auch noch bei 2 Grad anstandslos alle Kleider fallen zu lassen, und unter den bewundernden Augen frierender Passanten wie selbstverständlich ins Wasser zu steigen. Kaum beginne ich zu frieren, was bei ca. 20 Grad einsetzt, halte ich die sommerlichen Phantasien alljährlich für überambitioniert und im Grunde absurd. Ich war in diesem Jahr folgerichtig das letzte Mal am 23. September in einem See und dieser Tag war auch der letzte heiße Sommertag hier in Berlin. Umso beglückender fand ich diesen Mann. Ich finde es einfach toll, dass Menschen so etwas tun, was ich offensichtlich nicht hinkriege, und ich fand es noch toller, dass ich ihn gesehen habe dabei. Sein Mut hat mich irgendwie mit Energie gefüllt. Kann ich nicht anders erklären. Ich werde jetzt trotzdem nicht morgen früh schwimmen gehen, aber ich werde bestimmt etwas anderes tun, was mir offensichtlich mehr entspricht, als im Winter zu schwimmen. Grenzen, die er weiter stecken kann, hat schließlich jeder.
Meine Freundin und ich liefen dann durch den Plänterwald und sprachen über die Auswirkungen der Pandemie auf unsere Kinder, auf uns und wie wir uns fühlen. Es war unglaublich schön und ich merkte, wie ich nach solchen Begegnungen gerade doch lechze und sie viel zu selten habe. Als wir aus dem Wald wieder an die Insel der Jugend kamen, schipperten gerade circa zwanzig Weihnachtsmänner und -frauen auf Standup Paddelbrettern über die Spree. Nach dem Schwimmer war das für mich das zweite Geschenk des Tages. Es war noch nicht zwei Uhr und ich fühlte mich schon total beschert.
Danach ein paar Kleinigkeiten einkaufen, unter anderem Lorbeerblätter und Aperol Spritz. Habe ich noch nie besessen. Aber irgendwie dachte ich, wo jetzt ab Mittwoch (und das war ja irgendwie gestern schon klar, auch wenn es heute erst bekannt gegeben wird) harter Lockdown kommt, kann man ruhig ein paar leckere Getränke auf Vorrat kaufen. Ein Aperol Spritz im richtigen Moment kann auch mal die Lösung sein.
Dann kochte ich mir weiße Bohnen. Ebenfalls ein First. Ich habe noch nie weiße Bohnen gekocht. Aber in einem älteren Zeitmagazin fand ich ein superlecker klingendes Rezept von Laila Gohar.
Hier kommt es: Man kocht die Bohnen, die man vorher, wenn sie getrocknete Bohnen waren, über Nacht in Wasser eingelegt hat, ca. 30 Minuten lang in Wasser mit einer halbierten Zwiebel und einer halbierten Knoblauchzehe, also beide Hälften kommen jeweils mit ins Wasser, ist klar, oder? Dazu etwas Salz, Olivenöl, zwei Lorbeerblätter, etwas Weißweinessig. Zum Servieren überstreut man sie mit entweder Liebstöckel oder Petersilie, nochmal etwas Olivenöl und abgeriebene Schale einer Biozitrone.
Also ich hatte auch noch einen Brokkoli und habe die Knöllchen für die letzten zehn Minuten mit rein geschmissen, und Sumak habe ich ebenfalls ins Wasser gegeben, weil es mein Lieblingsgewürz ist und ich es praktisch in alles gebe.
Das war eine Mahlzeit und genau so hatte Laila Gohar es im ZeitMagazin auch angepriesen: Wer Bohnen hat, hat eine Mahlzeit. Ich habe nichts anderes dazu gegessen und verstand: weiße Bohnen sind immer eine Lösung. Merken!
Aperol Spritz kann eine Lösung sein |
Weiße Bohnen sind eine Lösung |
Am Abend klingelte dann noch der Mann meiner Wiener Freundin, der vor seiner Rückfahrt ein paar Bücher von mir für sie abholen wollte. Anstatt die Bücher im Hof zu übergeben, haben wir dann spontan beschlossen, extrem wagemutig zu sein und er kam hoch und wir saßen, mit anderthalb Metern Abstand und einer Flasche Wein zwischen uns im Wohnzimmer. Wenn man im Grunde fast nie mehr Freunde trifft, hat man sich, wenn man sich dann trifft, so viel zu erzählen. Das ist schon irre, wie man da sozial ausblutet. Das ist mir gestern Abend bewusst geworden. Obwohl ich eigentlich sogar vergleichsweise oft Menschen sehe, sowieso durch meine Arbeit, meine Kinder, aber dieses sich treffen, eine Flasche Wein leeren, über tote Mütter, die Verhältnisse in Amerika, Architektur und Fotografie sprechen, von Hölzchen auf Stöckchen kommen, entspannt, das hat man ja nur noch sehr selten. Ich weiß auch im Grunde nicht, ob wir jetzt mit unserem spontanen, ungeplanten Treffen eine Coronaregel gebrochen haben (2 Personen aus 2 Haushalten müsste eigentlich okay sein, oder?). Aber was ich weiß, ist dass ich jetzt unsicher bin. Was? Wenn sich morgen rausstellt, dass ich Corona positiv bin und er muss wegen mir in Quarantäne? Solche Gedanken hat man plötzlich.
Der Mann meiner Freundin heißt übrigens Ralf und hat auch einen Blog und macht ziemlich tolle Fotos.
Naja, ich war also, dank Aperol Spritz vor den Bohnen (Aperitif halt!) und Weißwein (spanisch) mit dem Freund zwar nicht direkt betrunken, aber ich hatte die nötige Bettschwere. Passenderweise griff ich dann zum nächsten Buch von Daniel Schreiber, es heißt Nüchtern. Haha.
Gut soviel für jetzt. Später mehr. Haltet durch. Es ist der dritte Advent und schon sehr sehr bald werden auch die Tage wieder länger.
I love you 💗
(c) Susanne Becker
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