Direkt zum Hauptbereich

Buch der Woche - Summer von Ali Smith

 So here's another fragment of moving image from across time.




Man nennt es den ersten Coronaroman und auf jeden Fall ist es ein Coronaroman. Aber Summer ist auch ein Brexit Roman und ein Buch, welches all das, was gerade jetzt geschieht, mit dem verknüpft, was im Verlauf des zweiten Weltkrieges geschehen ist. Es verknüpft die Gegenwart mit der Vergangenheit, die Klimakatastrophe mit der Verlorenheit eines englischen Teenagers, das obsessive Spielen von Videogames mit einem Gefühl unendlicher Sehnsucht in dieser Komplexität, die niemand von uns verstehen kann, und es verknüpft das Verhalten von Schwalben mit der Situation eines afrikanischen Menschen, der seit drei Jahren in England in Abschiebehaft sitzt, wo er den ganzen Tag nichts tun kann und auch nicht hinaussehen kann, da sein Fenster oval geformt ist. Er steht damit in direkter Verbindung zu den deutschen Juden, die im Verlauf des zweiten Welkrieges in England interniert wurden und unter furchtbaren Bedingungen wie Feinde behandelt wurden. Das war zum Beispiel ein Teil der Geschichte, den ich nicht kannte.

Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass dieses Buch leichte Kost ist. Aber das waren auch die drei Vorgänger Autumn, Winter und Spring nicht. Weil sie es nicht sein können. Wenn man unsere Zeit porträtieren möchte, dann darf man nicht allzu ängstlich sein. Man muss hinschauen wollen und dahin gehen, wo der Schmerz kaum zu ertragen ist. Das tut sie. In allen vier Büchern. 

Die vier Bücher ergeben zusammen eine Art Collage unserer Zeit. Eine Art Mind Map.

Es ist so faszinierend zu lesen, weil Ali Smith so viele verschiedene Dinge miteinander zu verknüpfen wagt und es erfolgreich tut. Barbara Hepworth und Einstein, Liebe und Schmerz, Folter und politischen Protest. Sie zeigt, ohne dass sie es ausdrücklich sagt, wie sehr wir Menschen miteinander verbunden sind und wie sehr ein ganz großer Teil dessen, was unsere Leben so traurig macht, damit zusammen hängt, dass wir nicht in der Lage sind, in den Schuhen eines anderen zu gehen und seinen Schmerz zu fühlen. Und wäre es nur für eine Viertel Stunde. Es zeigt, dass Liebe immer alles verändert. In dem Augenblick, in dem sie aufleuchtet, ist das Leben immer ein Wunder.

Summer ist noch sehr neu und leider als einziges der vier Bücher noch nicht auf Deutsch erschienen. Aber ich habe keinen Zweifel, dass dies im frühen Verlauf von 2021 geschehen wird. Die Bücher sind alle bei Luchterhand erschienen und ich würde jedes einzelne aus vollem Herzen empfehlen.

Hier meine frühere Besprechung von Spring, bevor es auf Deutsch erschienen ist. 

Nein, diese Bücher sind keine leichte Kost, aber sie sind ein mehr als gelungener Versuch, unser Hier und Jetzt und seinen seelischen Raum in Literatur zu verwandeln. Da in dem vierten Band wieder ein paar der Charaktere auftauchen, die auch schon in früheren Bänden eine Rolle spielten, möchte ich über die Feiertage alle vier Bücher noch einmal lesen. Denn ich habe das Gefühl, dass mir das Gesamtbild noch entgangen ist. Für mich sind diese vier Bücher ein gemeinsames Meisterwerk. Wirklich große Literatur. Danke Ali Smith!

(c) Susanne Becker

Kommentare

Kommentar veröffentlichen

Beliebte Posts aus diesem Blog

100 bemerkenswerte Bücher - Die New York Times Liste 2013

Die Zeit der Buchlisten ist wieder angebrochen und ich bin wirklich froh darüber, weil, wenn ich die mittlerweile 45 Bücher gelesen habe, die sich um mein Bett herum und in meinem Flur stapeln, Hallo?, dann weiß ich echt nicht, was ich als nächstes lesen soll. Also ist es gut, sich zu informieren und vorzubereiten. Außerdem sind die Bücher nicht die gleichen Bücher, die ich im letzten Jahr hier  erwähnt hatte. Manche sind die gleichen, aber zehn davon habe ich gelesen, ich habe auch andere gelesen (da fällt mir ein, dass ich in den nächsten Tagen, wenn ich dazu komme, ja mal eine Liste der Bücher erstellen könnte, die ich 2013 gelesen habe, man kann ja mal angeben, das tun andere auch, manche richtig oft, ständig, so dass es unangenehm wird und wenn es bei mir irgendwann so ist, möchte ich nicht, dass Ihr es mir sagt, o.k.?),  und natürlich sind neue hinzugekommen. Ich habe Freunde, die mir Bücher unaufgefordert schicken, schenken oder leihen. Ich habe Freunde, die mir Bü...

Und keiner spricht darüber von Patricia Lockwood

"There is still a real life to be lived, there are still real things to be done." No one is ever talking about this von Patricia Lockwood wird unter dem Namen:  Und keiner spricht darüber, übersetzt von Anne-Kristin Mittag , die auch die Übersetzerin von Ocean Vuong ist, am 8. März 2022 bei btb erscheinen. Gestern tauchte es in meiner Liste der Favoriten 2021 auf, aber ich möchte mehr darüber sagen. Denn es ist für mich das beste Buch, das ich im vergangenen Jahr gelesen habe und es ist mir nur durch Zufall in die Finger gefallen, als ich im Ebert und Weber Buchladen  meines Vertrauens nach Büchern suchte, die ich meiner Tochter schenken könnte. Das Cover sprach mich an. Die Buchhändlerin empfahl es. So simpel ist es manchmal. Dann natürlich dieser Satz, gleich auf der ersten Seite:  "Why did the portal feel so private, when you only entered it when you needed to be everywhere?" Dieser Widerspruch, dass die Leute sich nackig machen im Netz, das im Buch immer ...

Gedanken zu dem Film Corsage von Marie Kreutzer mit Vicky Krieps

  When she was home, she was a swan When she was out, she was a tiger. aus dem Song: She was von Camille   (s.u.) Ich kenne so viele Frauen, die sich ein Leben lang nicht finden, die gar nicht dazu kommen, nach sich zu suchen, die sich verlieren in den Rollen, die die Welt ihnen abverlangt.  Es gibt so viele Orte, an denen Frauen nicht den Schimmer einer Wahl haben, zu entscheiden, wie sie leben, wer sie sein möchten. Diese Orte werden mehr. Orte, an denen Frauen einmal ein wenig freier waren, gehen uns wieder verloren. Die meisten Frauen leben gefährlich. Gefährlicher als Soldaten in Kriegen.  Aber dennoch hatte ich kein Mitleid mit der Kaiserin, den ganzen Film über nicht ein einziges Mal, weil sie eigentlich nicht als sympathische Person gezeigt wurde. Was ich gut fand. Denn welche Frau kann sich etwas davon kaufen, dass sie bemitleidet wird? Elisabeth ist in diesem Film selbstzentriert, rücksichtslos, narzisstisch. Besessen von ihrem Körper, seinem Gew...