Es gibt ein kleines Stück von Yoko Ono, das ich vor geraumer Zeit irgendwo im Netz gefunden habe.
Map Piece
Draw a map to get lost.
Spring 1964 Yoko Ono
Es hat mich von Anfang an gepackt und ich habe es mir abgeschrieben und an die Wand über meinem Schreibtisch gehängt. Ich habe es auf die Collage geschrieben, an der ich gerade arbeite und in mindestens zwei der kleinen, collagenartigen Bücher, die ich mache. Ich habe es in mein Tagebuch geschrieben und in Manuskripten verwendet.
Ich denke, es ist seine Bedeutung, die eine unglaubliche Weite und Freiheit, fast anarchisch, zum Ausdruck bringt, die mich so mit Energie erfüllt.
Mache einen Plan um verloren zu gehen.
Mache einen Plan, damit er sich nicht erfüllt. Erhalte dir die Offenheit, dass immer alles möglich ist und du nicht verhärtest in einer Erwartungshaltung, die nur noch mit einem Ausgang für egal welche Situation zufrieden sein kann.
Zeichne deinen Weg auf der Landkarte ein, um dann davon abzukommen. Erwarte, davon abzukommen.
Du kannst planen, akribisch und sehr genau, und die Dinge werden doch anders kommen. In 99% aller Fälle ist das so, oder?
Also es ist kein Fehler, Pläne zu machen. Denn wir müssen Pläne machen, um dann verloren gehen zu können in all den Ablenkungen, die uns begegnen, während wir den Plan verfolgen.
Das Verlorengehen, das sich verlaufen, als Normalzustand akzeptieren. Nicht verkrampft darauf bestehen, dass nur die Erfüllung des Plans Gültigkeit besitzt. Einsehen, dass dies nur selten geschieht. Die Norm ist, dass wir einen Plan machen, und verloren gehen. Also können wir auch gleich einen Plan machen, um verloren zu gehen. Das gibt uns unsere Souveränität zurück.
Das öffnet einen weiten Raum von Möglichkeit, den wir jederzeit aktiv ergreifen dürfen.
So wie gerade jetzt. Die ganze Welt weicht von all ihren Plänen ab. Die ganze Welt geht gerade verloren, verläuft sich auf den Landkarten, die gezeichnet wurden, um uns auf vorgezeichneten, verlässlichen Wegen durch 2020 zu manövrieren. Wirtschaftspläne, Geschäftspläne, Stundenpläne, Urlaubspläne, Bundesligapläne, Verkehrpläne, Bettenbelegungspläne, Konzerthallenpläne, Pausenpläne, Ernährungspläne, Vertretungspläne, ....alles obsolet. Jede einzelne Landkarte ist gerade wertlos geworden.
Das eröffnet einen riesigen Raum an Freiheit. Als würden die Würfel in der Luft hängen und wir können noch einmal von vorne beginnen.
Heute kam mit der Post ein Buch aus den USA, das ich bereits vor einem Monat (VOR CORONA!!!) bei einem Antiquariat dort bestellt hatte. A Field Guide of Getting Lost von Rebeca Solnit.
Darin heißt es unter anderem: "Lass die Tür zum Unbekannten offen, die Tür zur Dunkelheit. Das ist der Ort, wo die wichtigsten Dinge ihren Ursprung haben, wo du selbst herkommst, und wohin du zurückkehren wirst."
Wenn das kein Buch für diesen Moment ist, dann weiß ich keins. Jedes zweite Kapitel darin heißt "Das Blau der Ferne". Das ist auch wieder so ein Ausdruck, der mich völlig beglückt. Ich denke an all das Blau und die Ferne, die ich in meinem Leben schon sehen durfte und an das Blau und die Ferne, zu denen ich mich sehne. Ich sehe das Ende dieser Coronazeit, und auch es liegt im Blau der Ferne, irgendwo am Horizont. Alles ist vollkommen undeutlich, eine Mischung aus Sehnsucht und Erinnerung. Diese Erinnerung und diese Sehnsucht zusammen kreieren einen riesigen Raum in meinem Inneren. Ich glaube, das ist Inspiration, das ist der Raum, aus dem alle meine Worte kommen.
Das Buch ist auch auf Deutsch erschienen, und heißt hier, Die Kunst sich zu verlieren. Es ist 2009 im Pendo Verlag erschienen und vergriffen. Aber ich habe geschaut, gebraucht ist es noch auf vielen Seiten erhältlich, falls es jemanden von Euch interessiert.
Der Text, den ich gestern für die Seite des Indischen Bloggers geschrieben habe (thedelhiwalla)
wurde heute übrigens dort veröffentlicht. Der Blogger hat es auf Twitter mit folgenden Worten geteilt: "Ich gestehe, dies ist das bizarrste, aufregendste, musikalischste, surrealste Corona Tagebuch, das ich bisher bekommen habe...ein must read...von einer Frau aus Berlin..."
Wow! Ich war danach noch circa zwei Stunden total geflasht, weil es mein allergrößtes Lob für irgendeinen Text war in diesem Monat. Also natürlich abgesehen, von all den Antworten und Nachrichten, die ich für dieses Corona Tagebuch hier von euch jeden Tag bekomme. 🙋 Ich danke Euch dafür.
Aber mal ehrlich: Würde Mayank Austen Soofi einen Literaturpreis vergeben, vielleicht hätte ich eine Chance, ihn zu gewinnen. Solche Gedanken mache ich mir gerade, ich hab ja Zeit, zu träumen. Ich glaube, er vergibt keinen Literaturpreis. Egal. Ich wollte auch nie nach Indien. Aber nach dieser Erfahrung, und nachdem ich seinen Blog durchgestöbert habe, möchte ich unbedingt nach Indien. Es fängt schon an. Die Freiheit öffnet sich mit Ideen und bestimmt fange ich bald an, Pläne zu schmieden. Die sich dann erfüllen oder nicht.
Draw a map so you can get lost.
In diesem Sinne, verliert Euch in den Abgründen Eurer Wünsche und träumt von all dem, was für Euch möglich ist. Geht verloren in den Tiefen Eurer eigenen Euphorie. Es hat niemand gesagt, dass hinterher wie vorher sein muss.
#tuttoandràbene Bleibt gesund. Aber auch zuhause.
Hattet Ihr übrigens auch von der Frau gelesen, die heute auf einem Kassenband in einem Supermarkt im Schneidersitz in eine Art Sitzstreik ging, weil ihr untersagt wurde, mehr als ein Paket Klopapier zu kaufen? Sie ließ sich von niemandem dazu bewegen, ihren Platz auf dem Kassenband aufzugeben. Man rief die Polizei. Auch die konnte die Frau nicht bewegen, ihren Sitzstreik zu beenden. Zum Schluss wurde sie in Handschellen abgeführt. Ich kann nicht aufhören, mich zu fragen: war sie nun verrückt oder fühlte sie sich als politische Aktivistin? Oder habe ich das Ganze gar nicht gelesen sondern nur geträumt?
Ich weiß es nicht. Ich bin verloren im Wirrwarr meiner Gedanken. Gute Nacht!
(c) Susanne Becker
Map Piece
Draw a map to get lost.
Spring 1964 Yoko Ono
Es hat mich von Anfang an gepackt und ich habe es mir abgeschrieben und an die Wand über meinem Schreibtisch gehängt. Ich habe es auf die Collage geschrieben, an der ich gerade arbeite und in mindestens zwei der kleinen, collagenartigen Bücher, die ich mache. Ich habe es in mein Tagebuch geschrieben und in Manuskripten verwendet.
Ich denke, es ist seine Bedeutung, die eine unglaubliche Weite und Freiheit, fast anarchisch, zum Ausdruck bringt, die mich so mit Energie erfüllt.
Die Oberbaumbrücke und ein Himmel ganz ohne Flugzeuge oder Kondensstreifen |
Mache einen Plan, damit er sich nicht erfüllt. Erhalte dir die Offenheit, dass immer alles möglich ist und du nicht verhärtest in einer Erwartungshaltung, die nur noch mit einem Ausgang für egal welche Situation zufrieden sein kann.
Zeichne deinen Weg auf der Landkarte ein, um dann davon abzukommen. Erwarte, davon abzukommen.
Du kannst planen, akribisch und sehr genau, und die Dinge werden doch anders kommen. In 99% aller Fälle ist das so, oder?
Also es ist kein Fehler, Pläne zu machen. Denn wir müssen Pläne machen, um dann verloren gehen zu können in all den Ablenkungen, die uns begegnen, während wir den Plan verfolgen.
Das Verlorengehen, das sich verlaufen, als Normalzustand akzeptieren. Nicht verkrampft darauf bestehen, dass nur die Erfüllung des Plans Gültigkeit besitzt. Einsehen, dass dies nur selten geschieht. Die Norm ist, dass wir einen Plan machen, und verloren gehen. Also können wir auch gleich einen Plan machen, um verloren zu gehen. Das gibt uns unsere Souveränität zurück.
Das öffnet einen weiten Raum von Möglichkeit, den wir jederzeit aktiv ergreifen dürfen.
So wie gerade jetzt. Die ganze Welt weicht von all ihren Plänen ab. Die ganze Welt geht gerade verloren, verläuft sich auf den Landkarten, die gezeichnet wurden, um uns auf vorgezeichneten, verlässlichen Wegen durch 2020 zu manövrieren. Wirtschaftspläne, Geschäftspläne, Stundenpläne, Urlaubspläne, Bundesligapläne, Verkehrpläne, Bettenbelegungspläne, Konzerthallenpläne, Pausenpläne, Ernährungspläne, Vertretungspläne, ....alles obsolet. Jede einzelne Landkarte ist gerade wertlos geworden.
Das eröffnet einen riesigen Raum an Freiheit. Als würden die Würfel in der Luft hängen und wir können noch einmal von vorne beginnen.
Heute kam mit der Post ein Buch aus den USA, das ich bereits vor einem Monat (VOR CORONA!!!) bei einem Antiquariat dort bestellt hatte. A Field Guide of Getting Lost von Rebeca Solnit.
Darin heißt es unter anderem: "Lass die Tür zum Unbekannten offen, die Tür zur Dunkelheit. Das ist der Ort, wo die wichtigsten Dinge ihren Ursprung haben, wo du selbst herkommst, und wohin du zurückkehren wirst."
Wenn das kein Buch für diesen Moment ist, dann weiß ich keins. Jedes zweite Kapitel darin heißt "Das Blau der Ferne". Das ist auch wieder so ein Ausdruck, der mich völlig beglückt. Ich denke an all das Blau und die Ferne, die ich in meinem Leben schon sehen durfte und an das Blau und die Ferne, zu denen ich mich sehne. Ich sehe das Ende dieser Coronazeit, und auch es liegt im Blau der Ferne, irgendwo am Horizont. Alles ist vollkommen undeutlich, eine Mischung aus Sehnsucht und Erinnerung. Diese Erinnerung und diese Sehnsucht zusammen kreieren einen riesigen Raum in meinem Inneren. Ich glaube, das ist Inspiration, das ist der Raum, aus dem alle meine Worte kommen.
Das Buch ist auch auf Deutsch erschienen, und heißt hier, Die Kunst sich zu verlieren. Es ist 2009 im Pendo Verlag erschienen und vergriffen. Aber ich habe geschaut, gebraucht ist es noch auf vielen Seiten erhältlich, falls es jemanden von Euch interessiert.
Der Text, den ich gestern für die Seite des Indischen Bloggers geschrieben habe (thedelhiwalla)
wurde heute übrigens dort veröffentlicht. Der Blogger hat es auf Twitter mit folgenden Worten geteilt: "Ich gestehe, dies ist das bizarrste, aufregendste, musikalischste, surrealste Corona Tagebuch, das ich bisher bekommen habe...ein must read...von einer Frau aus Berlin..."
Wow! Ich war danach noch circa zwei Stunden total geflasht, weil es mein allergrößtes Lob für irgendeinen Text war in diesem Monat. Also natürlich abgesehen, von all den Antworten und Nachrichten, die ich für dieses Corona Tagebuch hier von euch jeden Tag bekomme. 🙋 Ich danke Euch dafür.
Aber mal ehrlich: Würde Mayank Austen Soofi einen Literaturpreis vergeben, vielleicht hätte ich eine Chance, ihn zu gewinnen. Solche Gedanken mache ich mir gerade, ich hab ja Zeit, zu träumen. Ich glaube, er vergibt keinen Literaturpreis. Egal. Ich wollte auch nie nach Indien. Aber nach dieser Erfahrung, und nachdem ich seinen Blog durchgestöbert habe, möchte ich unbedingt nach Indien. Es fängt schon an. Die Freiheit öffnet sich mit Ideen und bestimmt fange ich bald an, Pläne zu schmieden. Die sich dann erfüllen oder nicht.
Draw a map so you can get lost.
In diesem Sinne, verliert Euch in den Abgründen Eurer Wünsche und träumt von all dem, was für Euch möglich ist. Geht verloren in den Tiefen Eurer eigenen Euphorie. Es hat niemand gesagt, dass hinterher wie vorher sein muss.
#tuttoandràbene Bleibt gesund. Aber auch zuhause.
Hattet Ihr übrigens auch von der Frau gelesen, die heute auf einem Kassenband in einem Supermarkt im Schneidersitz in eine Art Sitzstreik ging, weil ihr untersagt wurde, mehr als ein Paket Klopapier zu kaufen? Sie ließ sich von niemandem dazu bewegen, ihren Platz auf dem Kassenband aufzugeben. Man rief die Polizei. Auch die konnte die Frau nicht bewegen, ihren Sitzstreik zu beenden. Zum Schluss wurde sie in Handschellen abgeführt. Ich kann nicht aufhören, mich zu fragen: war sie nun verrückt oder fühlte sie sich als politische Aktivistin? Oder habe ich das Ganze gar nicht gelesen sondern nur geträumt?
Ich weiß es nicht. Ich bin verloren im Wirrwarr meiner Gedanken. Gute Nacht!
(c) Susanne Becker
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