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Corona Tagebuch (3)


Granada letzten Sommer, Spanien steht jetzt auch unter Quarantäne 

Gerade lese ich das Buch „Jakobsleiter“ von Ljudmila Ulitzkaya. Darin wird einer der Charaktere mehrfach verbannt, so dass er im Grunde kaum Zeit mit seiner Frau und seinem Sohn verbringen kann. An einer Stelle denkt er, er wird am nächsten Tag entlassen. Aber dann wird er gleich wieder verhaftet und zu weiteren drei Jahren Verbannung, in Sibirien, verurteilt. Es beeindruckt mich, wie positiv dieser Charakter bei all diesem Elend bleibt. Er ist fest entschlossen, selbst diesem Schicksal das möglichst beste abzuringen und es gelingt ihm. Jakow Ossetzky ist sein Name.

Gerade jetzt, in dieser verrückten Zeit, kann ich sofort zu diesem Charakter einen Bezug herstellen. Denn es wird nicht anders gehen, als dass man sich bemüht, auch dieser Situation das positive abzuringen. Auch, wenn die eigenen Wünsche, Sehnsüchte und Pläne sich zerschlagen und noch mehr zerschlagen, möglicherweise das ganze Leben sich gerade für immer verändert. Meine Tochter sagte heute, heute war ihr letzter Schultag und sie konnten das große Theaterstück, für das sie 4 Wochen geprobt haben und das in dieser Woche viermal ganz groß aufgeführt werden sollte, nicht zuende bringen. Alles steht in Frage. Bis hin zu ihrer Klassenfahrt im Juni. Sie sagte: "Alles schöne fällt gerade aus." Da verstand ich, dass ab jetzt ein großer Teil meiner Energie darauf gerichtet sein muss, ihr Schönes zu ermöglichen. Schöne Momente ermöglichen. Kleine Augenblicke von Freude. Auch für mich selbst. Zum Beispiel, und das mag banal klingen, bin ich unheimlich glücklich, ein eigenes Dach über dem Kopf zu haben. Ich bin dankbar, in einem Staat zu leben, in dem die Sozialsysteme noch funktionieren, einigermaßen. Ich bin glücklich und dankbar, dass ich genug zu essen und zu trinken habe. Während wir uns um Corona sorgen, zu Recht, sitzen an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland tausende im Schlamm fest und sie erscheinen noch nicht einmal mehr in den Medien. Und selbst unter ihnen werden solche sein, die dieser Situation, in der sie sind, etwas positives abgewinnen und damit den Menschen um sie herum helfen, es durchzustehen.
Aber im Grunde vergessen wir sie gerade, all jene in irgendwelchen Lagern und Auffangstationen und Zelten, die schon lange vor Corona alles verloren hatten. Wenn dort jetzt auch noch Corona ausbricht, dann ist es eine Art Massaker.

Teju Cole, letzten Sommer in Berlin 
There are no refugees
Only Fellow Citizens
Whose Rights we have failed to acknowledge
#TejuCole 
Seine Bücher würde ich Euch für die Quarantäne auch sehr sehr sehr empfehlen. Alle sind toll. Ich hatte auf dem Blog mal Open City besprochen 

Dies ist eine Zeit, in der man sich fragen kann, wer man ist. Wer man sein will.
Es ist eine Zeit, in der man heraus finden wird, zu was man in der Lage ist. Was kann ich verkörpern?
Diese Fragen sind nicht ganz allein auf meinem Mist gewachsen, sondern auf dem von Adrienne, meiner Yogalehrerin (YogawithAdrienne) . Das tolle ist, Adrienne lebt in Austin/Texas und jede/r kann ihre Schülerin werden. Klinkt einfach den Link oben an. Sehr inspirierend. Sehr motivierend. Und man muss nicht aus dem Haus. Ich schwöre, Adrienne und ihre Yogaprogramme haben mich bereits durch die größten Schwierigkeiten und schmerzhaftesten Phasen meines Lebens begleitet. Wer mich kennt, weiß dass die letzten sieben Jahre für mich hart waren. Aber ich war 3-7 Mal pro Woche auf der Matte, und viele Male davon mit Adrienne. Egal, was geschieht. Yoga werde ich weiter machen. Um klar in der Birne zu bleiben und natürlich um meinen unglaublichen Bikinikörper für den nächsten Strandurlaub, der kommen wird!!! zu formen ;-)

Apropos Yoga. Es kam in meiner Nachbarschaft mal ein Café, das hieß New Deli Yoga. Besitzerin war Maria, die aus dem gleichen kleinen Ort in Nordrheinwestfalen kommt wie ich. Das haben wir irgendwann zufällig festgestellt. Zu ihr bin ich manchmal abends zu kostenlosen Yogaklassen gegangen, die sie in ihrem Café angeboten hat. Mittlerweile bietet sie kein Yoga mehr an, dafür hat sie ihr Restaurant komplett umgemodelt und es heißt jetzt Maria.
Maria ist noch offen. Und wie alle kleinen Geschäfte ist diese Coronakrise der absolute Supergau für sie. Wenn Ihr also noch Lust habt, außerhalb Eurer vier Wände gepflegt und lecker und vegetarisch oder vegan
zu essen, dazu ein wirklich köstliches Glas Wein zu genießen, bitte geht hin oder aber fragt sie nach Vouchern. Die könnt Ihr dann verzehren, wenn der ganze Mist überstanden ist.

Und wenn Maria zu weit weg ist für Euch, dann denkt einfach heute an andere kleine Geschäfte oder Restaurants, die noch geöffnet haben. Es kann sein, dass sie schon morgen schließen müssen. Kauft Bücher (vorzugsweise aus unabhängigen Verlagen, weil die ebenfalls von so einer immensen Krise am krassesten getroffen werden), Wolle, Blumen, Essen, Kunst, Klamotten, Schuhe, noch schnell ein Fahrrad... und unterstützt die kleinen Läden, die Privatpersonen gehören und deren Existenzgrundlagen von Corona, bzw. den Maßnahmen zur Reduzierung des Infektionsrisikos, bedroht sind.
Grazie Ragazzi. #tuttoandràbene #flattenthecurve


(c) Susanne Becker

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