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Corona Tagebuch (17)

Heute morgen bin ich mit dem Fahrrad zur Arbeit und es war so kalt, dass mir die Finger mit Handschuhen fast abgefroren sind. Irgendwann gegen Mittag begann es in riesigen Flocken zu schneien. Leere Busse fuhren an mir vorbei. Ich bewundere die Busfahrer.
Die Krähen zogen am grauen Himmel laut krakelend ihre Bahnen und ich fühlte mich wie im November.
Heute nachmittag wieder mit dem Fahrrad zurück. Die Straßen sind sehr leer. Aber die paar Autofahrer beschleunigen rasant und schneiden in Kurven die Radwege.
Im Edeka muss man draußen warten, bis der Security Mann einen herein lässt und ohne Einkaufswagen darf man gar nicht rein. Das Schlangestehen ist generell nicht so eine Berliner Königinnenqualität. Es gab also Gerangel, Leute, die später kamen, aber sich an der richtigen Seite der Schlange angestellt hatten und dies auch lauthals kundtaten ("es geht jetzt aber hier nicht, dass es zwei Schlangen gibt, du da hinten, stell dich mal an der richtigen Seite an" usw.) versuchten, sich vorzudrängeln. Man sah sogar welche, die versuchten, ohne Einkaufswagen reinzukommen!!!
Der Berliner ist an und für sich dünnhäutig. Das wird mir jetzt immer klarer. Kaum ein Tag, wo man nicht einen Ausraster oder etwas ähnliches beobachten kann im öffentlichen Raum. Der Berliner mag es nicht, wenn ihm etwas vorgeschrieben wird. Auf der anderen Seite kann er ganz streng werden, wenn andere sich nicht an die Regeln halten. Er möchte die Einschränkungen schon gerne selbst bestimmen, und dann auch bitteschön gleich für alle um ihn herum. Ich bewundere die ganzen Mitarbeiter von Edeka. Sie müssen sich ja ständig wie in einem Irrenhaus vorkommen. Klopapier und Nudeln waren wie immer seit circa drei Wochen nicht mehr da. Aber frisches Obst und Gemüse und alles andere auch.
Meine Freundin aus Hamburg hat einen Artikel gelesen, da wurde die Sucht nach Klopapier auf die Angst vor Kontrollverlust zurück geführt. Das klang für mich plausibel.
Während ich mich durch den vollen Supermarkt trollte und versuchte, niemanden zu berühren, musste ich an Moria denken, das Flüchtlingslager auf Lesbos, die Kinder dort, und an Indien, all die Menschen, die durch die Ausgangssperre nichts mehr haben, Tagelöhner, die keinen Pfennig verdienen und keine Unterkunft haben. Millionen, die jetzt auf der Straße in Neu Delhi sind und versuchen, irgendwie nachhause zu kommen.

Orban in Ungarn weitet seine Rechte aus. Jenny Holzer:



Eben hörte ich mir einen Dharma Talk von Joseph Goldstein an, der einer meiner liebsten buddhistischen Lehrer ist. In ihm ging es um die Leere und er erwähnte, dass wir die Dinge nicht kontrollieren können. Die Dinge geschehen nach ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten. Kontrolle ist eine Illusion. Unsere Aufgabe ist es im Grunde, diese Illusion zu erkennen und uns von ihr zu befreien. Dann erkennen wir die Leere all unserer Konzepte. Eine große Klarheit ist dann möglich. Ein großes Loslassen.

Gestern abend sah ich mir dann noch eine wunderbare Dokumentation über Künstlerinnen auf Arte an. Künstlerinnen - Jenny Holzer kuratiert. In ihr entdeckte ich so viele Frauen, deren Werke ich gerne weiter erforschen möchte: Joan Mitchell, Elfriede Jelinek, Alma Thomas, um nur einige zu erwähnen. Wer sich also für Kunst interessiert, dem kann ich diesen kurzen Film nur empfehlen. Er ist noch bis zum 26. Juni auf Arte zu sehen.

Ich hatte vor einer Weile schon einmal Maria erwähnt, das Restaurant aus meiner Nachbarschaft.
Sie hat jetzt Liefer- und Abholservice, täglich von 17 bis 22 Uhr. Ihr könnt also Euer Abendessen dort bestellen, falls Ihr in der Gegend wohnt. Wäre toll!!

Auf dem Heimweg kam ich an den Kinos am Hackeschen Markt vorbei. Dort hängt an der Stelle, wo sonst ein Plakat für den nächsten Film zu sehen ist, ein überdimensionierter Druck eines Gedichtes von John Donne:

No Man is an Island

No man is an island entire of itself; every man
is a piece of the continent, a part of the main;
if a clod be washed away by the sea, Europe
is the less, as well as if a prommontory were,
as well as any manner of thy friends or of
thine own were; any man's death diminishes me,
because Iam involved in mankind.
And therefore never send to know for whom
the bell tolls; it tolls for thee

John Donne (1572-1631)

Eben noch mit einer Freundin in Virginia telefoniert. Sie befürchten dort das Schlimmste. Viele viele Tote. Eine Freundin meiner Freundin arbeitet als Ärztin in einem Krankenhaus in Lynchburg und trägt als Schutzkleidung einen Müllsack, weil sie nichts anderes hat. Unvorstellbar? Ja, finde ich auch.

Passt auf Euch und alle um Euch herum auf. Seid sozial, nicht egoistisch, denkt ans Ganze.

#tuttoandràbene #stayathome #flattenthecurve May the force be with you all 💪

(c) Susanne Becker








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