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Corona Tagebuch (14)

Heute gab es so mehrere Begegnungen oder auch Momente, wo ich mich fragte, wie lange es noch dauert, bis die Hälfte der Bevölkerung komplett abdreht? Und ob wir wirklich darauf vorbereitet sind?
Also ist nicht böse gemeint, aber ich erwähnte, glaube ich, schon öfter, dass ich finde, die Coronakrise bringt die Wahrheit hervor. Man sieht die Leute plötzlich ohne Maske und kann erkennen, wie sie mit einer wirklich krassen Belastungssituation umgehen. Ihre Strategien sozusagen.

Ein entfernter Cousin von mir, nur als Beispiel, hat sich über seine Firma eine ganze Palette !!!!! Klopapier besorgt, sie sich liefern lassen !!!! und die lagert jetzt in seinem Keller.
Ich wette, wie ich ihn kenne, dass es auch noch vierlagig ist und farbig, oder mit farbigem Aufdruck, extra weich.
Ich weiß das nur, weil er es erzählt, und wahnsinnig stolz darauf ist. #ohneWorte

Gegen halb 10 radelte ich auf der Wrangelstraße Richtung Mariannenplatz. weil ich ins Büro in Mitte musste,  und mir begegneten mehrere Männer (keine Frau!!! wollte ich nur anmerken, wertfrei versteht sich)  mit sehr vielen Familienpackungen Klopapier, teilweise in blauen Ikeataschen verstaut. Da scheinen vier bis fünf große Pakete locker hinein zu passen, macht bei zwei Ikeataschen schon immerhin zehn Pakete. Na gut, ist jetzt keine Palette, aber dennoch. Sie kamen alle aus der Richtung: Aldi in der Markthalle 9. Ich denke also, in diesem Aldi hat es heute eine größere Klopapierlieferung gegeben. Ich gehe aber davon aus, dass sie gegen 12 auch schon wieder ausverkauft war.

Ist Euch auch aufgefallen, was mir aufgefallen ist? Dass es Männer sind, die scheinbar das Ding mit Klopapier haben? Also, ich kann das statistisch noch nicht dingfest manifestieren, aber von den Auffälligkeiten in Bezug auf Klopapier, die mir bisher begegnet sind, war nur eine weiblich (wir erinnern uns an die Dame gestern, die einen Sitzstreik auf einem Supermarktkassenband veranstaltet hat, weil sie nicht mehr als ein Paket kaufen durfte). Ich werde das weiter verfolgen. Bleibt dran!

East Side Mall
Dann treffe ich eben noch einen Nachbarn, der, das gebe ich zu, generell gewisse cholerische Tendenzen hat. Aber ich merke, wie der Druck der Situation ihn langsam packt. Er stand also mit mir vor der Tür und meinte ohne jeden sichtbaren Grund, also ich hatte ihn beispielsweise nicht um seine Einschätzung zur momentanen Situation gefragt: "Das wird uns direkt in einen Überwachungsstaat führen, das ist meine ganz große Angst. Das wird ja nie wieder aufhören, das wird jetzt für immer so bleiben, und ab jetzt werden wir per Handy überwacht und die privilegierte Gruppe wird die sein, die schon Antikörper hatte. Alle anderen müssen jede Woche getestet werden und wenn Du infiziert hast, ziehen sie Dich aus dem Verkehr. Und die Grenzen, die bleiben für immer dicht, wirste sehen!" Seine Augen waren dabei riesig aufgerissen und es war klar, dass er von mir weder eine Antwort, noch eine Frage, noch irgendwas erwartete. Er stand einfach innerlich so unter Druck, dass er mir das mitteilen musste. Bevor ich überhaupt groß reagieren konnte, war er auch schon wieder weg.

Ich merke, wie ich solche Begegnungen häufiger habe in den letzten Tagen. Der Druck im System wächst. Die Leute geben ihre negativen Einschätzungen ungefiltert weiter, weil sie sonst daran ersticken würden. Ich muss mir überlegen, wie ich es schaffe, dass ich nicht daran ersticke. #socialdistancing kommt mir da, ganz ehrlich, entgegen.

Im Büro habe ich dann lange mit einer Sizilianerin telefoniert. Sie erzählte mir, dass die Menschen in Italien sich in vielen Orten immer noch nicht wirklich an die Ausgangssperre halten. Sie treffen sich zu mehreren, Junge besuchen ihre Großeltern und ähnliches. Sie sagte, wie froh sie sei, in Berlin zu leben, gerade auch in dieser Situation. Sie sprach sehr positiv über Deutschland und wie hier mit der Situation, im Unterschied zu Italien, umgegangen würde.Wir verabschiedeten uns mit #tuttoandràbene. Das Telefonat war irgendwie schön! Und zwar nicht, weil sie Deutschland gelobt hat, sondern weil zwischen uns sofort eine Vertrautheit war. Das ist die andere Seite: wie viele Menschen einem plötzlich nahe kommen, wie schnell man total offen über alles mögliche spricht. Der Druck wächst nicht für alle. Manche machen sich auch ganz weit auf und lassen das, was geschieht, durch sich hindurch fließen. Ehrlich gesagt, bin ich gerade auf der Suche nach denen, sie sind es, die mir helfen, dass ich nicht ersticke.


Heute noch das: ein Lied von REM, einer meiner Lieblingsbands seit immer, live aufgeführt in Köln in 2001 und es könnte glatt sein, dass es das Konzert war, das ich erleben durfte seinerzeit. She just wants to be war auch immer schon einer meiner Lieblingssongs von ihnen. Tanzen, in der Wohnung, ist übrigens auch nicht schlecht.


Und dann noch, von wegen Druckabbau, dieses Video von Adrienne, Anchor in Hope. Das mache ich gleich.

Bleibt gesund. Findet gute Ventile für Eure Angst, damit Ihr nicht am Druck erstickt und 💪 May the force be with you 💜

(c) Susanne Becker








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