Was war heute? Heute war die Wirklichkeit in Realität ganz anders.
Ein Spaziergang mit der jüngeren Tochter. Es war kalt. Die Bäume blühen so schön. Es war stürmisch, der Himmel riss auf und die Sonne begann ein wenig zu wärmen. Am Kanal war es relativ leer. Aber wir sind bis nach Neukölln gelaufen und ich möchte sagen: Social Distancing auf der Sonnenallee in Neukölln ist eine Herausforderung. Viele Menschen mit Gesichtsmasken unterwegs.
Beim Einkauf im kleinen Rewe auf der Ecke wird darauf geachtet, dass nur noch fünf Kunden gleichzeitig im Laden sind und Abstand halten. Ich kenne die Leute dort seit immer, seitdem meine älteste Tochter ein Baby war, und das ist 20 Jahre her. Also bleibe ich kurz 2 Meter entfernt von ihr stehen, um mit der Besitzerin ein paar freundliche Worte zu wechseln. Ein anderer Kunde schubst mich fast beiseite und knurrt "mitten im Weg rum stehen" und ich denke so: wie viel angenehmer wäre es, diese Zeit auf dem Land, in der Natur, an einem Ort verbringen zu können, wo es nur wenige Menschen gibt und die haben alle eigene Häuser mit Gärten. Der soziale Sprengstoff an einem Ort wie hier, wo schon an normalen Tagen sehr viel Aggression in der Luft liegt, ist immens.
Gestern überquerte ich als einzige Fußgängerin eine grüne Fußgängerampel und ein links abbiegendes Auto schoss mit großer Geschwindigkeit auf mich zu. Der Fahrer gestikulierte aggressiv, dass ich ihm aus dem Weg gehen solle.
Die Menschen werden durch Corona nicht freundlicher.
Lange mit Robert aus dem Burgenland telefoniert, und wir haben versucht, Dinge zu finden, die in dieser Situation positiv sind. Nicht um sie zu beschönigen, sondern um uns selbst hindurch zu ziehen, um etwas zu haben, an dem man sich festhält, um nicht abzusinken in etwas Tristes.
Robert erzählte von den jungen Menschen in Wien, die für die alten Menschen einkaufen gehen und sich um sie kümmern.
Dann kamen wir beide darauf, wie gut es ist, dass wir dieses Internet haben. Stellt Euch vor, wir müssten all das jetzt durchstehen ohne unsere Smartphones!!!!
Heute hatte ich auch meinen allerersten Videocall, mit meinem Bruder und meiner Schwägerin. Die beiden wären jetzt eigentlich hier. Wir säßen nach Lillys bravourösem Auftritt als Tartuffe in dem Klassenspiel ihrer Schule im Obermaier und würden mit ein paar anderen Freunden feiern. Das Obermaier ist natürlich ebenfalls bis auf weiteres geschlossen.
Der Videocall konnte nichts davon ersetzen und war doch soviel besser als nichts. Thank god for technology!
Dass sich alle im Grunde gerade damit abfinden müssen, dass ihr gesamtes Leben nicht mehr existiert.
Gestern traf ich, 2 Meter Abstand und eine Theke zwischen uns, einen unserer Studenten an meiner Arbeitsstelle. Er ist Libanese und er sagte, dass diese Situation für ihn nicht neu ist. Er ist im Krieg geboren. Wir hingegen, die wir hier geboren sind und unser ganzes Leben lang nur Sicherheit kennen und nie um etwas bangen mussten, wir müssen uns erst hinein finden.
Eine Freundin von mir sitzt mit ihrer Familie in Kathmandu fest. Sie hat einen Moment zu lange gezögert mit der Rückkehr in die USA und kommt jetzt aus Nepal nicht mehr heraus. Ich hoffe, sie findet einen Weg. Ich hoffe, es geht ihr gut.
In Heinsberg wird die Bundeswehr den Krankenhäusern jetzt doch mit Ausrüstungsgegenständen helfen.
In Granada sitzt ein Freund von mir in seiner Wohnung und schreibt mir: Bleib drin, schütze dich. Dieser Virus ist hoch ansteckend. Dont let down your guard.
Ich bin Rheinländerin. #socialdistancing ist für mich gar nicht so einfach. Seit immer arbeite ich daran, kein Sicherheitsschild um mich zu haben und plötzlich muss ich es wieder hochfahren. Ich bin jemand, der schnell anfasst, laut lacht und mit jedem redet. Seit Tagen gehe ich die Straßen entlang und vermeide jeden Augenkontakt. Ich fühle mich so aber nicht wohl. Dann lieber drin bleiben und Videocalls machen.
Durch alle Wände und Decken hört man die Nachbarn. Auch daran wird man sich gewöhnen müssen. Dass alle diese Nachbarn ab jetzt immer zuhause sein werden und mit lauter Musik und Renovierungsarbeiten die Zeit zu überbrücken suchen werden.
Stadt halt.
Dennoch, was für mich im Gespräch mit Robert deutlich wurde auf der Suche nach guten Dingen: dies ist eine Zeit der Wahrheit. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Ich habe in den letzten Tagen schon so viele Menschen ohne ihre sozialen Fassaden und Masken gesehen. Ich bin auch selbst sehr nah an meiner echten Befindlichkeit. Ich spiele keine Rolle. Wäre mir jetzt gerade auch wirklich zu anstrengend. Dies ist eine Zeit, in der wir ganz und gar wir selbst sein sollten. Es bleibt uns nichts anderes. Und wer weiß: vielleicht wird man es hinterher nicht mehr schaffen, in die Maske zurück zu kehren. Und vielleicht würde man das dann auch zu den positiven Auswirkungen dieser ganzen Sache rechnen.
Ich lese gerade Herr Rudi von Anna Herzig und möchte es Euch sehr sehr ans Herz legen. Es ist gerade erst bei Voland & Quist erschienen. Da heute Indiebookday war, könntet Ihr es oder ein anderes tolles Buch aus einem unabhängigen Verlag vielleicht noch schnell online (nein!!! nicht bei Amazon!!!) bei einem kleinen unabhängigen Buchladen in Eurer Umgebung bestellen. Schaut nach! Viele von Ihnen haben Bestellservice und liefern oder verschicken. Die Unabhängigen werden zerrupft aus dieser Krise hervor kriechen. Bitte unterstützt sie! Das ist wirklich eine Herzensbitte von mir.
Herr Rudi ist so schön 💚💛💜Es ist eine Liebesgeschichte, eine Geschichte vom Altern, von Freundschaft, von einem Hexenschuss und der Absicht, sich das Leben zu nehmen. Aber so sanft und tröstlich erzählt. Wie Balsam in diesen anstrengenden Zeiten.
Dann habe ich noch eine neue Playlist fertig. Sie heißt Don't try, just respond. Wenn Ihr sie gehört habt, ist sicher bald ein neuer schöner Tag.
Macht das Beste daraus. Seid umarmt Ragazzi und haltet durch. May the force be with you 💪
(c) Susanne Becker
ein kleiner geschlossener Laden am Weichselplatz, Neukölln In Wirklichkeit ist die Realität ganz anders |
Ein Spaziergang mit der jüngeren Tochter. Es war kalt. Die Bäume blühen so schön. Es war stürmisch, der Himmel riss auf und die Sonne begann ein wenig zu wärmen. Am Kanal war es relativ leer. Aber wir sind bis nach Neukölln gelaufen und ich möchte sagen: Social Distancing auf der Sonnenallee in Neukölln ist eine Herausforderung. Viele Menschen mit Gesichtsmasken unterwegs.
Treptow, Coronazeit |
Beim Einkauf im kleinen Rewe auf der Ecke wird darauf geachtet, dass nur noch fünf Kunden gleichzeitig im Laden sind und Abstand halten. Ich kenne die Leute dort seit immer, seitdem meine älteste Tochter ein Baby war, und das ist 20 Jahre her. Also bleibe ich kurz 2 Meter entfernt von ihr stehen, um mit der Besitzerin ein paar freundliche Worte zu wechseln. Ein anderer Kunde schubst mich fast beiseite und knurrt "mitten im Weg rum stehen" und ich denke so: wie viel angenehmer wäre es, diese Zeit auf dem Land, in der Natur, an einem Ort verbringen zu können, wo es nur wenige Menschen gibt und die haben alle eigene Häuser mit Gärten. Der soziale Sprengstoff an einem Ort wie hier, wo schon an normalen Tagen sehr viel Aggression in der Luft liegt, ist immens.
Gestern überquerte ich als einzige Fußgängerin eine grüne Fußgängerampel und ein links abbiegendes Auto schoss mit großer Geschwindigkeit auf mich zu. Der Fahrer gestikulierte aggressiv, dass ich ihm aus dem Weg gehen solle.
Die Menschen werden durch Corona nicht freundlicher.
Lange mit Robert aus dem Burgenland telefoniert, und wir haben versucht, Dinge zu finden, die in dieser Situation positiv sind. Nicht um sie zu beschönigen, sondern um uns selbst hindurch zu ziehen, um etwas zu haben, an dem man sich festhält, um nicht abzusinken in etwas Tristes.
Robert erzählte von den jungen Menschen in Wien, die für die alten Menschen einkaufen gehen und sich um sie kümmern.
Dann kamen wir beide darauf, wie gut es ist, dass wir dieses Internet haben. Stellt Euch vor, wir müssten all das jetzt durchstehen ohne unsere Smartphones!!!!
Heute hatte ich auch meinen allerersten Videocall, mit meinem Bruder und meiner Schwägerin. Die beiden wären jetzt eigentlich hier. Wir säßen nach Lillys bravourösem Auftritt als Tartuffe in dem Klassenspiel ihrer Schule im Obermaier und würden mit ein paar anderen Freunden feiern. Das Obermaier ist natürlich ebenfalls bis auf weiteres geschlossen.
Der Videocall konnte nichts davon ersetzen und war doch soviel besser als nichts. Thank god for technology!
Dass sich alle im Grunde gerade damit abfinden müssen, dass ihr gesamtes Leben nicht mehr existiert.
Gestern traf ich, 2 Meter Abstand und eine Theke zwischen uns, einen unserer Studenten an meiner Arbeitsstelle. Er ist Libanese und er sagte, dass diese Situation für ihn nicht neu ist. Er ist im Krieg geboren. Wir hingegen, die wir hier geboren sind und unser ganzes Leben lang nur Sicherheit kennen und nie um etwas bangen mussten, wir müssen uns erst hinein finden.
Eine Freundin von mir sitzt mit ihrer Familie in Kathmandu fest. Sie hat einen Moment zu lange gezögert mit der Rückkehr in die USA und kommt jetzt aus Nepal nicht mehr heraus. Ich hoffe, sie findet einen Weg. Ich hoffe, es geht ihr gut.
In Heinsberg wird die Bundeswehr den Krankenhäusern jetzt doch mit Ausrüstungsgegenständen helfen.
In Granada sitzt ein Freund von mir in seiner Wohnung und schreibt mir: Bleib drin, schütze dich. Dieser Virus ist hoch ansteckend. Dont let down your guard.
Ich bin Rheinländerin. #socialdistancing ist für mich gar nicht so einfach. Seit immer arbeite ich daran, kein Sicherheitsschild um mich zu haben und plötzlich muss ich es wieder hochfahren. Ich bin jemand, der schnell anfasst, laut lacht und mit jedem redet. Seit Tagen gehe ich die Straßen entlang und vermeide jeden Augenkontakt. Ich fühle mich so aber nicht wohl. Dann lieber drin bleiben und Videocalls machen.
Durch alle Wände und Decken hört man die Nachbarn. Auch daran wird man sich gewöhnen müssen. Dass alle diese Nachbarn ab jetzt immer zuhause sein werden und mit lauter Musik und Renovierungsarbeiten die Zeit zu überbrücken suchen werden.
Stadt halt.
Dennoch, was für mich im Gespräch mit Robert deutlich wurde auf der Suche nach guten Dingen: dies ist eine Zeit der Wahrheit. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Ich habe in den letzten Tagen schon so viele Menschen ohne ihre sozialen Fassaden und Masken gesehen. Ich bin auch selbst sehr nah an meiner echten Befindlichkeit. Ich spiele keine Rolle. Wäre mir jetzt gerade auch wirklich zu anstrengend. Dies ist eine Zeit, in der wir ganz und gar wir selbst sein sollten. Es bleibt uns nichts anderes. Und wer weiß: vielleicht wird man es hinterher nicht mehr schaffen, in die Maske zurück zu kehren. Und vielleicht würde man das dann auch zu den positiven Auswirkungen dieser ganzen Sache rechnen.
Ich lese gerade Herr Rudi von Anna Herzig und möchte es Euch sehr sehr ans Herz legen. Es ist gerade erst bei Voland & Quist erschienen. Da heute Indiebookday war, könntet Ihr es oder ein anderes tolles Buch aus einem unabhängigen Verlag vielleicht noch schnell online (nein!!! nicht bei Amazon!!!) bei einem kleinen unabhängigen Buchladen in Eurer Umgebung bestellen. Schaut nach! Viele von Ihnen haben Bestellservice und liefern oder verschicken. Die Unabhängigen werden zerrupft aus dieser Krise hervor kriechen. Bitte unterstützt sie! Das ist wirklich eine Herzensbitte von mir.
Herr Rudi ist so schön 💚💛💜Es ist eine Liebesgeschichte, eine Geschichte vom Altern, von Freundschaft, von einem Hexenschuss und der Absicht, sich das Leben zu nehmen. Aber so sanft und tröstlich erzählt. Wie Balsam in diesen anstrengenden Zeiten.
Dann habe ich noch eine neue Playlist fertig. Sie heißt Don't try, just respond. Wenn Ihr sie gehört habt, ist sicher bald ein neuer schöner Tag.
Macht das Beste daraus. Seid umarmt Ragazzi und haltet durch. May the force be with you 💪
(c) Susanne Becker
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