"Time passes.
Could it be that I never believed it?
Did I believe the blue nights could last forever?"
- Joan Didion -
Joan Didion gehört zu den Autorinnen, die ich als Vorbild bezeichnen würde.
Ihre beiden Bücher Blaue Stunden und Das Jahr des magischen Denkens gehören zu den besten Büchern, die ich je gelesen haben. Sie dokumentieren einen Verlust, der fast nicht aushaltbar zu sein scheint. Sie verarbeitet darin den Tod ihres Mannes und dann auch noch den Tod ihrer Tochter, literarisch, auf einem Niveau, das einem den Atem raubt.
Sie demonstriert eine Sprachbeherrschung, sowie eine persönliche Stärke, die mich immer wieder, ich habe beide Bücher bereits zweimal gelesen und werde sie vielleicht gerade jetzt zum dritten Mal lesen, unglaublich inspiriert hat, im Schreiben aber auch im Leben.
Joan Didion hatte ein unbeschreiblich glückliches Leben. Sie lebte eine Ehe, die von Liebe geprägt war, über viele viele Jahre hinweg. Sie war und ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der USA, möglicherweise der Welt. Aber auch dieses Leben veränderte sich, radikal, für immer, eines Abends während des Dinners.
Die Zeit vergeht.
Kann es sein, dass ich das niemals geglaubt habe?
Habe ich geglaubt, die blauen Nächte würden ewig andauern?
Glaubt man das nicht immer, wenn es schön ist? Ich kann mich an einen besonders schönen Augenblick in meinem Leben erinnern. Sehr gut kann ich mich daran erinnern, denn dieser Augenblick ist erst elf Monate her. Er fand im letzten Jahr in Andalusien statt. Ich kann mich erinnern, wie ich versucht habe, diesen Augenblick ewig dauern zu lassen. Ich kann mich erinnern, dass ich versucht habe, die Zeit zum Stillstand zu bringen. Mit meiner ganzen Konzentration stemmte ich mich gegen die Zeit und ihr Verrinnen und ich versuchte, jede Nanosekunde dieses Augenblicks ganz genau wahrzunehmen, damit mir ja nichts entgeht, damit ich mich für immer daran erinnern kann.
Ich glaubte wirklich, gegen jede Wahrscheinlichkeit, dass es mir gelingen könnte, die Zeit anzuhalten.
Man glaubt auch, wenn es nicht schön ist, dass man den Verlauf der Zeit durch Willensanstrengung irgendwie beeinflussen kann. Wenn es furchtbar ist, wenn alles über einem zusammen zu brechen droht, glaubt man, dass man die Zeit voran treiben kann, wenn man sich nur genug anstrengt. Dass man diesen Moment, der einem alles abverlangt, der einen zu zerstören droht, mit dem eigenen Willen beschleunigen und seinem Ende entgegen treiben kann.
Natürlich ist beides eine wunderbare Illusion. Die Dinge geschehen. Ohne uns. Wir haben letztendlich so gut wie keinen Einfluss. Wir können wünschen, wir können uns sehnen, wir können verhandeln und bestechen, die Dinge geschehen wie sie geschehen.
Unsere einzige Freiheit besteht darin, unsere Haltung dazu zu beeinflussen. Jammern wir, beklagen wir uns, verlieren wir uns in Selbstmitleid, oder sehen wir jede noch so herausfordernde Situation als Möglichkeit an, etwas zu lernen und uns weiter zu entwickeln.
Und dann noch dies, die Flüchtlinge in Moria. #leavenoonebehind Können wir diese Menschen wirklich nicht retten? Hat Europa keine andere Lösung, als sie ihrem Schicksal zu überlassen, an dem sie absolut unschuldig sind?
Heute habe ich einen langen Spaziergang am Kanal entlang Richtung Neukölln gemacht. Ich bin bis zum Estrell gelaufen.
Dabei habe ich nach Zeichen Ausschau gehalten, die die Berliner von ihren Fenstern und Balkonen baumeln lassen und die etwas darüber aussagen, was sie gerade so bewegt.
Sehr viele Banner und Transparente sagen: Leave no one behind. Oder: What about Moria?
Und dann gab es auch solche, auf denen stand: Danke an die Corona Helfer.
Ich hatte auch eigentlich sehr viele Transparente fotografiert und wollte sie Euch zeigen. Nun muss ich feststellen, dass nur dieses auf dem Handy geblieben ist:
Alle anderen haben sich in Luft aufgelöst. Keine Ahnung. Ich glaube, mein Handy gibt langsam seinen Geist auf. Es ist mir natürlich auch gleich zu Beginn der Coronakrise zum erstenmal in zwei Jahren so derart doof auf den Boden geknallt, dass ich jetzt einen gesprungenen Bildschirm habe.
Noch bevor die Schulen schlossen, ist die Puppe meiner Mutter vom Schrank gefallen. Nach ihrem Tod, beim Auflösen ihrer Wohnung, brachte ich es einfach nicht übers Herz, diese Puppe, mit der meine Mutter als Kind gespielt hatte, wegzuwerfen. Ich nahm sie mit nach Berlin, wo meine Töchter längst viel zu groß waren, um mit Puppen zu spielen. Diese Puppe war auch nicht besonders schön. Aber sie war wie ein lebendiger Teil meiner Mutter. Meine Mutter war einmal ein kleines Mädchen und hat mit dieser Puppe gespielt. Alles ist vergänglich. Aber diese Puppe meiner Mutter verband mich mit der Vergangenheit. Dann, in der Woche vor der Schulschließung, höre ich es im Flur plötzlich knallen und die Puppe ist ohne ersichtlichen Grund vom Schrank, auf dem sie seit sechs Jahren saß und wo ich sie manchmal anschaute und ihr verschwörerisch zunickte, herunter gefallen. Mit zerbrochenem Kopf lag sie dort. Die Beine gespreizt, das rote Strickkleid hochgerutscht, der Kopf in fünfundzwanzig Teile zersprungen. Ich überlegte kurz, zu weinen. Aber dann fühlte ich eine Art Befreiung. Als ließe die Vergangenheit mich los.
Auf Sizilien, im Februar, habe ich die goldene Kette meiner Großmutter verloren. Die gleiche Kette, die ich vor vielen Jahren schon einmal verloren und auf magische Weise wieder gefunden habe, die mich wie an einem goldenen Band über die Generationen hinweg mit meiner Großmutter verband, diesmal ist sie endgültig verschwunden, irgendwo auf dem Weg zwischen Giardini und der Isola Bella.
Keine Ahnung, ich glaube, auch mein Rechner oder Blog gibt langsam seinen Geist auf. Ich kriege diesen weißen Hintergrund nicht weg. Er legt sich hinter jedes Wort, das ich schreibe, ohne dass ich ihn je darum gebeten hätte.
Alles macht, was es will. Die Dinge geschehen. Habe ich wirklich je geglaubt, ich hätte irgendwas unter Kontrolle?
Und hier noch, für alle die englisch lesen, ein Artikel darüber, dass Deutschland von anderen Ländern aus betrachtet als sehr erfolgreich und effektiv im Umgang mit der Coronakrise gesehen wird. Amerikaner zum Beispiel, und das weiß ich aus eigener Quelle, beneiden uns. Um unsere Krankenhäuser, unsere Kanzlerin, unser Krisenmanagement. Ich finde, zu Recht.
Sowie eine Doku auf 3sat über Berlin im Krisenmodus. "Herr Zikanowitz, kannßu bitte mah das Toilettenpapier von hinten holen." Etwas reißerisch aber durchaus realistisch. Unser Leben, aber als 3sat Doku.
"You can't stop the waves,
but you can learn to surf." Joseph Goldstein.
In diesem Sinne, bleibt gesund und gut gelaunt. Haltung ist alles! May the force be with you 💪
Ragazzi und Companeros.
(c) Susanne Becker
Could it be that I never believed it?
Did I believe the blue nights could last forever?"
- Joan Didion -
Joan Didion gehört zu den Autorinnen, die ich als Vorbild bezeichnen würde.
Ihre beiden Bücher Blaue Stunden und Das Jahr des magischen Denkens gehören zu den besten Büchern, die ich je gelesen haben. Sie dokumentieren einen Verlust, der fast nicht aushaltbar zu sein scheint. Sie verarbeitet darin den Tod ihres Mannes und dann auch noch den Tod ihrer Tochter, literarisch, auf einem Niveau, das einem den Atem raubt.
Sie demonstriert eine Sprachbeherrschung, sowie eine persönliche Stärke, die mich immer wieder, ich habe beide Bücher bereits zweimal gelesen und werde sie vielleicht gerade jetzt zum dritten Mal lesen, unglaublich inspiriert hat, im Schreiben aber auch im Leben.
Joan Didion hatte ein unbeschreiblich glückliches Leben. Sie lebte eine Ehe, die von Liebe geprägt war, über viele viele Jahre hinweg. Sie war und ist eine der erfolgreichsten Autorinnen der USA, möglicherweise der Welt. Aber auch dieses Leben veränderte sich, radikal, für immer, eines Abends während des Dinners.
Die Zeit vergeht.
Kann es sein, dass ich das niemals geglaubt habe?
Habe ich geglaubt, die blauen Nächte würden ewig andauern?
Glaubt man das nicht immer, wenn es schön ist? Ich kann mich an einen besonders schönen Augenblick in meinem Leben erinnern. Sehr gut kann ich mich daran erinnern, denn dieser Augenblick ist erst elf Monate her. Er fand im letzten Jahr in Andalusien statt. Ich kann mich erinnern, wie ich versucht habe, diesen Augenblick ewig dauern zu lassen. Ich kann mich erinnern, dass ich versucht habe, die Zeit zum Stillstand zu bringen. Mit meiner ganzen Konzentration stemmte ich mich gegen die Zeit und ihr Verrinnen und ich versuchte, jede Nanosekunde dieses Augenblicks ganz genau wahrzunehmen, damit mir ja nichts entgeht, damit ich mich für immer daran erinnern kann.
Ich glaubte wirklich, gegen jede Wahrscheinlichkeit, dass es mir gelingen könnte, die Zeit anzuhalten.
Man glaubt auch, wenn es nicht schön ist, dass man den Verlauf der Zeit durch Willensanstrengung irgendwie beeinflussen kann. Wenn es furchtbar ist, wenn alles über einem zusammen zu brechen droht, glaubt man, dass man die Zeit voran treiben kann, wenn man sich nur genug anstrengt. Dass man diesen Moment, der einem alles abverlangt, der einen zu zerstören droht, mit dem eigenen Willen beschleunigen und seinem Ende entgegen treiben kann.
Natürlich ist beides eine wunderbare Illusion. Die Dinge geschehen. Ohne uns. Wir haben letztendlich so gut wie keinen Einfluss. Wir können wünschen, wir können uns sehnen, wir können verhandeln und bestechen, die Dinge geschehen wie sie geschehen.
Unsere einzige Freiheit besteht darin, unsere Haltung dazu zu beeinflussen. Jammern wir, beklagen wir uns, verlieren wir uns in Selbstmitleid, oder sehen wir jede noch so herausfordernde Situation als Möglichkeit an, etwas zu lernen und uns weiter zu entwickeln.
Und dann noch dies, die Flüchtlinge in Moria. #leavenoonebehind Können wir diese Menschen wirklich nicht retten? Hat Europa keine andere Lösung, als sie ihrem Schicksal zu überlassen, an dem sie absolut unschuldig sind?
Heute habe ich einen langen Spaziergang am Kanal entlang Richtung Neukölln gemacht. Ich bin bis zum Estrell gelaufen.
Dabei habe ich nach Zeichen Ausschau gehalten, die die Berliner von ihren Fenstern und Balkonen baumeln lassen und die etwas darüber aussagen, was sie gerade so bewegt.
Sehr viele Banner und Transparente sagen: Leave no one behind. Oder: What about Moria?
Und dann gab es auch solche, auf denen stand: Danke an die Corona Helfer.
Ich hatte auch eigentlich sehr viele Transparente fotografiert und wollte sie Euch zeigen. Nun muss ich feststellen, dass nur dieses auf dem Handy geblieben ist:
für meine Cousine, die in einem Krankenhaus in NRW arbeitet |
Alle anderen haben sich in Luft aufgelöst. Keine Ahnung. Ich glaube, mein Handy gibt langsam seinen Geist auf. Es ist mir natürlich auch gleich zu Beginn der Coronakrise zum erstenmal in zwei Jahren so derart doof auf den Boden geknallt, dass ich jetzt einen gesprungenen Bildschirm habe.
Noch bevor die Schulen schlossen, ist die Puppe meiner Mutter vom Schrank gefallen. Nach ihrem Tod, beim Auflösen ihrer Wohnung, brachte ich es einfach nicht übers Herz, diese Puppe, mit der meine Mutter als Kind gespielt hatte, wegzuwerfen. Ich nahm sie mit nach Berlin, wo meine Töchter längst viel zu groß waren, um mit Puppen zu spielen. Diese Puppe war auch nicht besonders schön. Aber sie war wie ein lebendiger Teil meiner Mutter. Meine Mutter war einmal ein kleines Mädchen und hat mit dieser Puppe gespielt. Alles ist vergänglich. Aber diese Puppe meiner Mutter verband mich mit der Vergangenheit. Dann, in der Woche vor der Schulschließung, höre ich es im Flur plötzlich knallen und die Puppe ist ohne ersichtlichen Grund vom Schrank, auf dem sie seit sechs Jahren saß und wo ich sie manchmal anschaute und ihr verschwörerisch zunickte, herunter gefallen. Mit zerbrochenem Kopf lag sie dort. Die Beine gespreizt, das rote Strickkleid hochgerutscht, der Kopf in fünfundzwanzig Teile zersprungen. Ich überlegte kurz, zu weinen. Aber dann fühlte ich eine Art Befreiung. Als ließe die Vergangenheit mich los.
Auf Sizilien, im Februar, habe ich die goldene Kette meiner Großmutter verloren. Die gleiche Kette, die ich vor vielen Jahren schon einmal verloren und auf magische Weise wieder gefunden habe, die mich wie an einem goldenen Band über die Generationen hinweg mit meiner Großmutter verband, diesmal ist sie endgültig verschwunden, irgendwo auf dem Weg zwischen Giardini und der Isola Bella.
Keine Ahnung, ich glaube, auch mein Rechner oder Blog gibt langsam seinen Geist auf. Ich kriege diesen weißen Hintergrund nicht weg. Er legt sich hinter jedes Wort, das ich schreibe, ohne dass ich ihn je darum gebeten hätte.
Alles macht, was es will. Die Dinge geschehen. Habe ich wirklich je geglaubt, ich hätte irgendwas unter Kontrolle?
Und hier noch, für alle die englisch lesen, ein Artikel darüber, dass Deutschland von anderen Ländern aus betrachtet als sehr erfolgreich und effektiv im Umgang mit der Coronakrise gesehen wird. Amerikaner zum Beispiel, und das weiß ich aus eigener Quelle, beneiden uns. Um unsere Krankenhäuser, unsere Kanzlerin, unser Krisenmanagement. Ich finde, zu Recht.
Sowie eine Doku auf 3sat über Berlin im Krisenmodus. "Herr Zikanowitz, kannßu bitte mah das Toilettenpapier von hinten holen." Etwas reißerisch aber durchaus realistisch. Unser Leben, aber als 3sat Doku.
"You can't stop the waves,
but you can learn to surf." Joseph Goldstein.
In diesem Sinne, bleibt gesund und gut gelaunt. Haltung ist alles! May the force be with you 💪
Ragazzi und Companeros.
(c) Susanne Becker
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