Direkt zum Hauptbereich

Corona Tagebuch (34)

Die Schulen sollen also wieder aufmachen. Schrittweise. In Berlin bereits ab dem 27. April.
Wenn man Kinder mit, zum Beispiel Asthma hat, können die natürlich nicht in die Schule. Generell können alle, die gefährdet sind, an dieser Lockerung der Regeln gar nicht teilnehmen. Mir war das nicht bewusst, weil es mich nicht betrifft. Also, ich habe darüber noch keinen Augenblick nachgedacht. Weil manchmal klingt es so allgemein verständlich, wenn alle davon sprechen, quasi weltweit, dass jetzt aber endlich die Maßnahmen gelockert werde MÜSSEN. Ist ja klar. Wir haben alle keinen Bock mehr. Persönlich könnten von mir aus sofort alle Maßnahmen abgebrochen werden.

Aber ich sprach heute mit einer Freundin, die es direkt betrifft. Erst da ging es mir auf: Alle Lehrerinnen, alle Kinder, die in irgendeiner Weise vorbelastet sind oder in ihren Familien stark gefährdete Mitglieder haben, sei es durch Asthma, krasse Allergien, Krebs, andere Vorerkrankungen, können daran nicht teilnehmen. Dieses Normal, zu dem alle zurückwollen, was ich verstehe, ich will auch langsam dorthin zurück, das gibt es nicht (mehr) und es kann einfach keiner sagen, mit Sicherheit schon gar nicht, wann es wieder möglich sein wird, ohne zu viele Menschenleben zu gefährden.
Das einfach einsinken lassen.

Heute im Büro: im Grunde dreht sich jedes Gespräch darum, wann es weiter geht. Leute rufen mich an und fragen, wann es weiter geht. Jedes Telefonat dreht sich immer um die Frage: Wann geht es weiter? Oder auch: Wie wird es weitergehen? Manchmal möchte ich zurück bellen: Bin ich die Bundeskanzlerin, oder was? Ich meine: wieso fragt mich jemand, wann es weiter geht? Weder entscheide ich es (Gott sei Dank), noch habe ich eine staatlich geprüfte Ausbildung zur Hellseherin absolviert. Wenn es weiter geht, wird das niemandem entgehen, denn es wird auf jedem Smartphone und Laptop als unaufgeforderte Eil Eil Eil Meldung aufblinken. In der Zwischenzeit try and error. Wie überall. Ist auch meine erste Pandemie. Sorry.

Bis dahin (und vielleicht also bis Oktober? Das Oktoberfest wird ausfallen, das steht schonmal fest und persönlich finde ich das einen herausragenden Hinweis darauf, dass ich auch für die Herbstferien nichts buche) ist Geduld die Tugend der Stunde. Was schwierig ist. Ich bin von Natur aus ein sehr ungeduldiger Mensch. Ich sympathisiere da sehr mit jedem, der die Nerven verliert und mich anruft, um zu erfahren, wann es wie weiter geht.

Man kann sich natürlich auch Schnellfeuergewehre umhängen und vor dem Parlament demonstrieren, weil man glaubt, diese Coronamaßnahmen seien eine von der Regierung geplante Schikane, um uns unsere Freiheit zu rauben. Weil man glaubt, Corona gibt es nicht. Es sei eine perfide Erfindung des politischen Gegners. So geschehen in mehreren Bundesstaaten der USA, gestern. Unter anderem South Carolina. Die Demonstranten trugen Plakate, auf den stand: Trump! Make America great again! und ähnlicher Schwachsinn. Die Demos richteten sich selbstverständlich gegen jene Gouverneure, die strengere Maßnahmen durchziehen. Demokraten halt.
Es ist schwer. Ich finde es gerade auch schwer.
Mein Tag heute war so lala. Ihr merkt es schon.
Ich bin dreimal von abbiegenden Autos auf meinem Fahrrad krass geschnitten worden. Gott sei Dank fahre ich wie eine 80jährige, also so langsam. Deshalb sehe ich solche Attacken kommen und kann schnell genug reagieren. Aber es hat meine Laune nicht gesteigert.
Die Leute sind zwar weniger auf der Straße, aber wenn sie dort Auto fahren, lassen sie ihre schlechte Laune via Fahrstil raus. Klar. Sie können ja auch nicht mal schnell über die Autobahn zur Ostsee und zurück heizen, um sich und den Motor auszulüften.
Fast jede andere Person, die man trifft, ist mies drauf. Es gelingt also nur noch mäßig, sich gegenseitig die Laune zu verbessern.
Tja, so ist das in einer Pandemie.

Also habe ich die nächsten Folgen von Unorthodox auf Netflix geschaut und eine Dokumentation über Maya Angelou.
Beides hervorragend.

Ich habe meinen Kollegen gesagt, dass ich sowieso nicht am 27. April schon wieder voll arbeiten kann. Mein Probeabo läuft bis 13. Mai. Bis dahin bin ich Homeoffice.
Das sage ich auch gleich der Schulsenatorin von Berlin. Ich schreibe ihr eine Mail

Ich habe heute übrigens auch dem Milliardär Nicolas Berggruen eine Mail geschickt, über Instagram, wo er immer sehr tolle Sachen postet, für eine bessere Welt, mit krass viel Tiefgang. Ich like das Zeug ständig, seitdem ich im Museum Berggruen war, das war im Dezember, als man noch in Museen gehen konnte. Dieses Museum ist toll und enthält die Sammlung seines Vaters. Der hatte mal eine kurze Affäre mit Frida Kahlo und war Kunstsammler. Picasso, Klee, Matisse.
Dann las ich in  einem Artikel heute morgen, dass Nicolas Berggruen, Verfechter einer neuen supertollen Welt, derjenige ist, der das Haus Oranienstraße 25 an eine Luxemburger HoldingAktienGesellschaft verkauft hat. Diese will nun den Traditionsbuchladen Kisch & Co raus haben. Der ist da seit 23 Jahren. Es gab eine saftige Mieterhöhung, die der Laden nicht bezahlen kann. Also endet das Mietverhältnis im Mai.
Naja, ich habe Herrn Berggruen, der auf Instagram immer Sachen postet, so von wegen: create a better world und so, auch sehr philosophisch und spirituell daher kommt, gefragt, ob er mir erklären könne, wie das zusammen passt, also diese öffentliche Persona und dass er dann ein Haus jemandem in den Rachen wirft, wo klar ist, der wird mit dem Lebensraum der Menschen dort spekulieren. Wo man generell für Häuser sorgt, weil sie die Heimat von Menschen sind und nicht so eine Art Geldmaschine. Die Mail war höflich formuliert. Ich schwöre.
Es hat mich so geärgert, aber ich habe das nicht mit einer Silbe raushängen lassen. Ihr seht also, mein Tag fing bescheiden an. Herr Berggruen hat mir auch bis jetzt nicht geantwortet. Ich werde ihn entfolgen. Er hatte seine Chance. Aber was lernen wir daraus: Obacht bei Leuten, die ständig supertiefsinnige, kluge, weltbewegende Dinge posten. Ist unter Umständen alles nur Fassade.

Ich gehe jetzt miesepetrig ins Bett und hoffe, morgen ist es wieder besser.
unrealistisches Foto vom derzeitigen Himmel über Berlin
da sieht man ein Flugzeug, gibts zur Zeit doch gar nicht

Schlaft gut, habt bessere Laune als ich, bleibt gesund und may the force be wth you 💪


(c) Susanne Becker

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

100 bemerkenswerte Bücher - Die New York Times Liste 2013

Die Zeit der Buchlisten ist wieder angebrochen und ich bin wirklich froh darüber, weil, wenn ich die mittlerweile 45 Bücher gelesen habe, die sich um mein Bett herum und in meinem Flur stapeln, Hallo?, dann weiß ich echt nicht, was ich als nächstes lesen soll. Also ist es gut, sich zu informieren und vorzubereiten. Außerdem sind die Bücher nicht die gleichen Bücher, die ich im letzten Jahr hier  erwähnt hatte. Manche sind die gleichen, aber zehn davon habe ich gelesen, ich habe auch andere gelesen (da fällt mir ein, dass ich in den nächsten Tagen, wenn ich dazu komme, ja mal eine Liste der Bücher erstellen könnte, die ich 2013 gelesen habe, man kann ja mal angeben, das tun andere auch, manche richtig oft, ständig, so dass es unangenehm wird und wenn es bei mir irgendwann so ist, möchte ich nicht, dass Ihr es mir sagt, o.k.?),  und natürlich sind neue hinzugekommen. Ich habe Freunde, die mir Bücher unaufgefordert schicken, schenken oder leihen. Ich habe Freunde, die mir Bü...

Und keiner spricht darüber von Patricia Lockwood

"There is still a real life to be lived, there are still real things to be done." No one is ever talking about this von Patricia Lockwood wird unter dem Namen:  Und keiner spricht darüber, übersetzt von Anne-Kristin Mittag , die auch die Übersetzerin von Ocean Vuong ist, am 8. März 2022 bei btb erscheinen. Gestern tauchte es in meiner Liste der Favoriten 2021 auf, aber ich möchte mehr darüber sagen. Denn es ist für mich das beste Buch, das ich im vergangenen Jahr gelesen habe und es ist mir nur durch Zufall in die Finger gefallen, als ich im Ebert und Weber Buchladen  meines Vertrauens nach Büchern suchte, die ich meiner Tochter schenken könnte. Das Cover sprach mich an. Die Buchhändlerin empfahl es. So simpel ist es manchmal. Dann natürlich dieser Satz, gleich auf der ersten Seite:  "Why did the portal feel so private, when you only entered it when you needed to be everywhere?" Dieser Widerspruch, dass die Leute sich nackig machen im Netz, das im Buch immer ...

Gedanken zu dem Film Corsage von Marie Kreutzer mit Vicky Krieps

  When she was home, she was a swan When she was out, she was a tiger. aus dem Song: She was von Camille   (s.u.) Ich kenne so viele Frauen, die sich ein Leben lang nicht finden, die gar nicht dazu kommen, nach sich zu suchen, die sich verlieren in den Rollen, die die Welt ihnen abverlangt.  Es gibt so viele Orte, an denen Frauen nicht den Schimmer einer Wahl haben, zu entscheiden, wie sie leben, wer sie sein möchten. Diese Orte werden mehr. Orte, an denen Frauen einmal ein wenig freier waren, gehen uns wieder verloren. Die meisten Frauen leben gefährlich. Gefährlicher als Soldaten in Kriegen.  Aber dennoch hatte ich kein Mitleid mit der Kaiserin, den ganzen Film über nicht ein einziges Mal, weil sie eigentlich nicht als sympathische Person gezeigt wurde. Was ich gut fand. Denn welche Frau kann sich etwas davon kaufen, dass sie bemitleidet wird? Elisabeth ist in diesem Film selbstzentriert, rücksichtslos, narzisstisch. Besessen von ihrem Körper, seinem Gew...