"Sometimes as an antidote
To fear of death,
I eat the stars."
Das sind die ersten Zeilen eines Gedichts von Rebecca Elson (Antidotes to Fear of Death)
Rebecca Elson war eine kanadische Astronomin und Dichterin. Im Alter von 29 Jahren stellte man Leukämie bei ihr fest. Der Kampf gegen diese Krankheit führte sie in Bereiche, die von Unsicherheit, Angst und Schmerz gekennzeichnet waren. Ihre Gedichte in dem Band A Responsibility to Awe erzählen davon, aber auch von den Sternen, die sie beruflich erforschte, und der Titel des Buches, spricht einen an und weist uns geradezu hin auf unsere Verantwortung zu staunen. Der Titel ist wie die Aufforderung: Staune über diese Welt, die Sterne, die Bäume, den Tod, die Angst, einen Virus, deine Mitmenschen. Es klingt für mich wie eine Aufforderung, das Leben zu ehren. Nicht, es zu beurteilen.
Vor meinem Bürofenster sind viele Bäume. Sie werden langsam grün, aber noch ist das Laub nicht blickdicht. Also sah ich die beiden Eichelhäher, prächtige, große Vögel, mit ihren blauen Federn an den Flügelrändern. Sie flogen an meinem Fenster vorüber und saßen dann nebeneinander, keckernd, als unterhielten sie sich, auf einem dicken Ast. Vielleicht hatten sie eine Auseinandersetzung? Denn schon nach wenigen Momenten flog der eine entrüstet davon. Der andere folgte ihm sehr schnell.
Unter meinen Bürofenstern ist das Gelände eines Kindergartens.
Die lauten Stimmen der Kinder fehlen mir.
Die Gesänge der Erzieherinnen fehlen mir.
Manchmal als Maßnahme
gegen die Angst vor dem Tod
esse ich die Sterne.
Die gute Nachricht: Die Buchhandlung Kisch & Co darf zunächst einmal drei weitere Jahre in der Oranienstraße 25 bleiben. Es gab wohl, laut taz Artikel von heute, eine Einigung. Obwohl mir immer schon die Hutschnur hoch geht,wenn ich wieder lese, dass die Mieterhöhung dennoch eine Belastung für den Laden darstellen wird. Ich meine: warum muss man die Miete überhaupt erhöhen, wenn man ein Milliardär ist und viele Häuser besitzt außer natürlich, weil man sich bereichern will. Oder gibt es dafür jemals wirklich andere Gründe?
Die schlechte Nachricht: Die Katze meiner Kollegin musste gestern eingeschläfert werden. Sie schrieb mir heute morgen, dass also ihr Tag gestern auch nicht toll war.
Meine Nachbarin hat mir angeboten, ihr Kayak zu leihen und damit auf der Spree und dem Kanal zu fahren. Sie hat mir Fotos geschickt. Wie ruhig das Wasser wirkt, mitten in der Stadt. Als führe sie irgendwo auf der Mecklenburgischen Seenplatte.
Ich war in Mitte, arbeiten. Um die Ecke gibt es einen wunderbaren Laden für Papier, der natürlich geschlossen hat. Dort kaufe ich mir immer meine Notizbücher. Es ist eine besondere Sorte, die es normalerweise nur in den USA gibt, einfach im Supermarkt und die ich mir immer von Freunden habe mitbringen lassen. Aber dann entdeckte ich R.S.V.P. in der Mulackstraße und sie haben diese Mead Composition Books, in denen ich seit über zwanzig Jahren mein Tagebuch führe ( bin jetzt bei Band 197) immer auf Lager. Regelmäßig einmal alle zwei Monate kehre ich dort ein, seit mehreren Jahren und versorge auch meine Töchter mit diesen Schmuckstücken der Notizkultur. Das tolle gerade ist, man kann bei Ihnen bestellen. Da ich quasi um die Ecke arbeite, konnte ich mir meine neuen Notizbücher heute sogar persönlich abholen. Mit Abstand, versteht sich!
Ich kann mir vorstellen, dass sie nächste Woche wieder öffnen. Der Laden ist ja sehr klein.
Bei meinem Gang durch die Mulackstraße wurde ich ein wenig wehmütig. Denn sie ist mit all den geschlossenen kleinen Läden und Restaurants, dem Friseur, bei dem ich noch vor sechs Wochen mit meiner Tochter war, normalerweise eine sehr lebendige Straße.
Im Mamecha, einem japanischen Restaurant, in dem ich mir schon oft in der Mittagspause etwas zu essen geholt habe, wurde renoviert. Das gab mir die Hoffnung, dass es die Krise überstehen wird.
Vorbei am Buchladen Hundt Hammer Stein, wo ein Schild am Eingang verkündet: Sie verlassen die AmaZONE. Sie haben eine große Auswahl auch an englischen Büchern.
Ja, ich bin heute, beim Abholen der Tagebücher, kurz in der Sonne um den Block gelaufen und es ist schon verrückt, wie leer diese sonst bevölkerten Straßen Berlins sind. Ich erwischte mich aber auch bei dem Gedanken, dass ich es ein wenig genieße. Wenn ich sonst dort bin, und alles ist proppevoll, nervt mich das auch manchmal. Man kommt auf den Bürgersteigen kaum durch, weil überall Touristengruppen auf hebräisch, spanisch, englisch, französisch plaudern, an den Fassaden hoch schauen und fasziniert einer Stadtführerin lauschen. Mitte ohne Touristen, ich gebe es zu, ist irgendwie der Hammer.
Im New Yorker gibt es einen wunderschönen Text von Olga Tokarczuk A new world through my window, den ich allen, die Englisch lesen, sehr ans Herz legen möchte. Es handelt davon, wie sie als introvertierte Schreiberin die Quarantäne geradezu genießt und warum. Sie stellt darin Fragen wie diese: Ist diese uns durch den Lock Down "aufgezwungene" Langsamkeit und Ruhe nicht der eigentlich normale und gesunde Rhythmus? Ist die ständige, stressige Geschäftigkeit nicht das unnormale, dem gesunden Leben widerstrebende?
Sie weist uns darauf hin, dass diese Pandemie uns die Grenzen unserer Macht als Mensch und als zivilisiertes Wesen zeigt, indem sich alles verändert. Wir sind nicht die Erschaffer unserer Welt. Wir können nicht machen, was wir wollen, und denken, dass es keine Konsequenzen hat. Diese Welt gehört uns nicht. Wir sind ein Teil von ihr. Alles, was wir tun, strahlt auf alle und alles andere aus.
Womit ich wieder fast am Anfang wäre: Wir haben die Verantwortung, diese Welt zu bewundern, nicht, sie zu beherrschen. Demut. Auch das. Angesichts der Eichelhäher, der Kinder, die schon so lange ohne ihres gleichen die Tage verbringen müssen und angesichts der Sterne. Die ich jetzt essen gehe. Gute Nacht.
May the force be with you 💪
(c) Susanne Becker
To fear of death,
I eat the stars."
Das sind die ersten Zeilen eines Gedichts von Rebecca Elson (Antidotes to Fear of Death)
Rebecca Elson war eine kanadische Astronomin und Dichterin. Im Alter von 29 Jahren stellte man Leukämie bei ihr fest. Der Kampf gegen diese Krankheit führte sie in Bereiche, die von Unsicherheit, Angst und Schmerz gekennzeichnet waren. Ihre Gedichte in dem Band A Responsibility to Awe erzählen davon, aber auch von den Sternen, die sie beruflich erforschte, und der Titel des Buches, spricht einen an und weist uns geradezu hin auf unsere Verantwortung zu staunen. Der Titel ist wie die Aufforderung: Staune über diese Welt, die Sterne, die Bäume, den Tod, die Angst, einen Virus, deine Mitmenschen. Es klingt für mich wie eine Aufforderung, das Leben zu ehren. Nicht, es zu beurteilen.
Vor meinem Bürofenster sind viele Bäume. Sie werden langsam grün, aber noch ist das Laub nicht blickdicht. Also sah ich die beiden Eichelhäher, prächtige, große Vögel, mit ihren blauen Federn an den Flügelrändern. Sie flogen an meinem Fenster vorüber und saßen dann nebeneinander, keckernd, als unterhielten sie sich, auf einem dicken Ast. Vielleicht hatten sie eine Auseinandersetzung? Denn schon nach wenigen Momenten flog der eine entrüstet davon. Der andere folgte ihm sehr schnell.
Unter meinen Bürofenstern ist das Gelände eines Kindergartens.
Die lauten Stimmen der Kinder fehlen mir.
Die Gesänge der Erzieherinnen fehlen mir.
Manchmal als Maßnahme
gegen die Angst vor dem Tod
esse ich die Sterne.
Die gute Nachricht: Die Buchhandlung Kisch & Co darf zunächst einmal drei weitere Jahre in der Oranienstraße 25 bleiben. Es gab wohl, laut taz Artikel von heute, eine Einigung. Obwohl mir immer schon die Hutschnur hoch geht,wenn ich wieder lese, dass die Mieterhöhung dennoch eine Belastung für den Laden darstellen wird. Ich meine: warum muss man die Miete überhaupt erhöhen, wenn man ein Milliardär ist und viele Häuser besitzt außer natürlich, weil man sich bereichern will. Oder gibt es dafür jemals wirklich andere Gründe?
Die schlechte Nachricht: Die Katze meiner Kollegin musste gestern eingeschläfert werden. Sie schrieb mir heute morgen, dass also ihr Tag gestern auch nicht toll war.
Meine Nachbarin hat mir angeboten, ihr Kayak zu leihen und damit auf der Spree und dem Kanal zu fahren. Sie hat mir Fotos geschickt. Wie ruhig das Wasser wirkt, mitten in der Stadt. Als führe sie irgendwo auf der Mecklenburgischen Seenplatte.
Ich war in Mitte, arbeiten. Um die Ecke gibt es einen wunderbaren Laden für Papier, der natürlich geschlossen hat. Dort kaufe ich mir immer meine Notizbücher. Es ist eine besondere Sorte, die es normalerweise nur in den USA gibt, einfach im Supermarkt und die ich mir immer von Freunden habe mitbringen lassen. Aber dann entdeckte ich R.S.V.P. in der Mulackstraße und sie haben diese Mead Composition Books, in denen ich seit über zwanzig Jahren mein Tagebuch führe ( bin jetzt bei Band 197) immer auf Lager. Regelmäßig einmal alle zwei Monate kehre ich dort ein, seit mehreren Jahren und versorge auch meine Töchter mit diesen Schmuckstücken der Notizkultur. Das tolle gerade ist, man kann bei Ihnen bestellen. Da ich quasi um die Ecke arbeite, konnte ich mir meine neuen Notizbücher heute sogar persönlich abholen. Mit Abstand, versteht sich!
Ich kann mir vorstellen, dass sie nächste Woche wieder öffnen. Der Laden ist ja sehr klein.
Bei meinem Gang durch die Mulackstraße wurde ich ein wenig wehmütig. Denn sie ist mit all den geschlossenen kleinen Läden und Restaurants, dem Friseur, bei dem ich noch vor sechs Wochen mit meiner Tochter war, normalerweise eine sehr lebendige Straße.
Im Mamecha, einem japanischen Restaurant, in dem ich mir schon oft in der Mittagspause etwas zu essen geholt habe, wurde renoviert. Das gab mir die Hoffnung, dass es die Krise überstehen wird.
Vorbei am Buchladen Hundt Hammer Stein, wo ein Schild am Eingang verkündet: Sie verlassen die AmaZONE. Sie haben eine große Auswahl auch an englischen Büchern.
Ja, ich bin heute, beim Abholen der Tagebücher, kurz in der Sonne um den Block gelaufen und es ist schon verrückt, wie leer diese sonst bevölkerten Straßen Berlins sind. Ich erwischte mich aber auch bei dem Gedanken, dass ich es ein wenig genieße. Wenn ich sonst dort bin, und alles ist proppevoll, nervt mich das auch manchmal. Man kommt auf den Bürgersteigen kaum durch, weil überall Touristengruppen auf hebräisch, spanisch, englisch, französisch plaudern, an den Fassaden hoch schauen und fasziniert einer Stadtführerin lauschen. Mitte ohne Touristen, ich gebe es zu, ist irgendwie der Hammer.
Im New Yorker gibt es einen wunderschönen Text von Olga Tokarczuk A new world through my window, den ich allen, die Englisch lesen, sehr ans Herz legen möchte. Es handelt davon, wie sie als introvertierte Schreiberin die Quarantäne geradezu genießt und warum. Sie stellt darin Fragen wie diese: Ist diese uns durch den Lock Down "aufgezwungene" Langsamkeit und Ruhe nicht der eigentlich normale und gesunde Rhythmus? Ist die ständige, stressige Geschäftigkeit nicht das unnormale, dem gesunden Leben widerstrebende?
Sie weist uns darauf hin, dass diese Pandemie uns die Grenzen unserer Macht als Mensch und als zivilisiertes Wesen zeigt, indem sich alles verändert. Wir sind nicht die Erschaffer unserer Welt. Wir können nicht machen, was wir wollen, und denken, dass es keine Konsequenzen hat. Diese Welt gehört uns nicht. Wir sind ein Teil von ihr. Alles, was wir tun, strahlt auf alle und alles andere aus.
Womit ich wieder fast am Anfang wäre: Wir haben die Verantwortung, diese Welt zu bewundern, nicht, sie zu beherrschen. Demut. Auch das. Angesichts der Eichelhäher, der Kinder, die schon so lange ohne ihres gleichen die Tage verbringen müssen und angesichts der Sterne. Die ich jetzt essen gehe. Gute Nacht.
May the force be with you 💪
Treppenhaus im Museum Berggruen |
(c) Susanne Becker
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