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Corona Tagebuch (27)

Heute einen Spaziergang mit der älteren Tochter, zur Halbinsel Stralau. Wir sind am Ufer entlang gelaufen und haben auf all die verglasten Balkone und Terrassen geschaut, die dort in den letzten Jahren entstanden sind, Wasserblick, und entschieden, dass wir dort nicht wohnen wollten.  Es hat doch etwas gewollt modernes, das in der Konsequenz extrem spießig ist. Wobei ich, also, würde mir jemand so eine Wohnung schenken, ich wäre bereit, mich auf eine Testwohnphase dort einzulassen. Man fühlt sich bestimmt ein bisschen wie in Hamburg.

Wir sprachen über die Auswirkungen des Lock Downs. Wir fragten uns, ob die wirtschaftlichen Folgen jemals behoben werden können. Der IWF rechnet mit der größten Wirtschaftskrise seit 1929. Das hat immer den Beigeschmack von: und wir wissen ja, wohin die uns geführt hat. Wir fürchten, dass uns diese von Corona eingeläutete Phase (nein, eigentlich wurde sie für mich mit Trumps Wahl im November 2016 eingeläutet, seitdem habe ich das Gefühl, es geht bergab), also diese Phase, wohin wird sie uns führen? In einen Krieg? In einen wirtschaftlichen Zusammenbruch, in dem wir all das verlieren, was wir uns ein Leben lang so mühsam erarbeitet haben? In den Faschismus?
6,6 Millionen neue Arbeitslose in den USA, in einem Wirtschaftssystem, das komplett auf Leistung und Ego beruht und kein Pardon für Schwache = Arbeitslose oder Kranke kennt.

Auch hier wird es vielen so gehen, unter Umständen. Wenn auch etwas abgefedert durch unser Sozialsystem.
Spanien will übrigens das Grundeinkommen für alle einführen. Hier ein kleiner Artikel dazu aus der taz. Ich hoffe, dass auch Deutschland in diese Richtung geht. Es scheint utopisch, aber eigentlich ist es nur menschlich.

Ich frage mich schon seit einiger Zeit, ob das Geld, das ich mir erspart habe, um im Alter nicht Flaschen sammeln zu müssen für das Pfand, ob ich es in einem riesigen, durch Corona ausgelösten Crash verlieren werde. Also dann doch Flaschen sammeln. Ich habe jetzt fast 30 Jahre in eine Lebensversicherung eingezahlt. Das schien 30 Jahre eine nicht sooo doofe Idee. In vier Jahren wäre sie fällig. Werde ich noch einen Cent bekommen? Ist zur Zeit eine offene Frage, die bislang weder jemand stellt noch beantworten könnte.

Meine Tochter sagte: Berlin wird sich komplett verändern. All die coolen Bars, Cafès, Geschäfte, kleinen Kinos, Buchläden, sie werden vermutlich nie wieder öffnen. Oder ein 25jähriger BWL-Papas-Liebling-Erbe mit genug Knete kauft sich die coolen Locations, wie zum Beispiel den Freischwimmer und zerstört das Ambiente, behält aber den Namen bei. Die Touristen werden dennoch hin strömen. Der Ort ist zu perfekt.

Ich bin insofern nicht so pessimistisch, weil ich denke, Berlin bleibt Berlin und für die alten coolen Orte werden neue aus dem Boden schießen. Denn es wird ja weiterhin diese kreativen, mutigen und wilden Menschen hier geben. Aber, dennoch, für jeden einzelnen Ort, an dem die Träume und in dem das Herzblut von Menschen hängt, die es erschaffen haben, tut es mir unendlich weh, wenn er aufgrund dieser Krise untergeht. Ich hoffe, wider alle Vernunft, dass alle es überleben werden.

Wird es das Badeschiff nach Corona noch geben?
Meine jüngere Tochter und ich arbeiten gerade alte Filme ab. Gestern sahen wir uns French Kiss an. Mein Gott, ich hatte vergessen, wie witzig Kevin Kline und Meg Ryan sind.

Manche von Euch wissen, dass diese jüngere Tochter in einer Fußballmannschaft spielt. Natürlich hatte sie schon seit vielen Wochen kein Training mehr. Deshalb möchte ich Euch heute noch auf Champions ohne Grenzen aufmerksam machen, die interkulturelle Fußballprojekte für Geflüchtete anbieten. Wo es natürlich auch seit Wochen kein Training mehr gab. Was für viele von ihnen sicher schlimmer ist als für die Tochter. Sie benötigen derzeit, genau wie so viele, Unterstützung. Hier ist ein Link, wo Ihr ein wenig spenden könntet. DANKE 😘⚽⚽⚽

Übermorgen, am 11. April,  hat meine jüngere Tochter übrigens Geburtstag. Ihr erster Corona Geburtstag. Bitte, denkt alle an sie. Und wenn Ihr wollt, gratuliert ihr über mich, diesen Blog, mein Handy, oder per Mail. Ich möchte irgendwie, dass sie gerade dieses Jahr in einem Platzregen von Liebe steht. Weil sie diese Krise meistert wie ein wahrer Champion. Noch nicht ein Wort der Klage. Immer gute Laune (na gut, meistens), irgendwie immer mit etwas beschäftigt: Koreanisch lernen, eine Präsentation über Südkorea vorbereiten, Spaziergänge machen, Fotowalks machen, mit einer Freundin joggen, mich danach darüber informieren, dass sie joggen hasst hasst hasst, Filme mit mir schauen, Serien mit ihrem Vater schauen, mit ihrer Schwester kochen und die ganzen Sachen für die Schule..... keine freie Minute, diese Coronakrise :-) Und an dieser Stelle auch mal ein Hoch auf die Lehrer*innen meiner Tochter, die sich wirklich großartig engagieren. Der Stoff geht nicht aus, wird aber gleichzeitig so portioniert, dass er bewältigbar bleibt. Regelmäßig gibt es Rückmeldungen und ab Montag ist sogar für alle, die wollen, per Zoom ein wöchentliches Treffen möglich. Ich weiß, dass dieses Engagement nicht überall selbstverständlich ist. Deshalb danke 🙏

Als meine Tochter vor 14 Jahren zur Welt kam, sie war eine Steißlage und ich musste daher ins Krankenhaus, lag am nächsten Tag Schnee. Ich war mit einem leichten Mantel bei Temperaturen wie jetzt nach Havelhöhe gefahren und im Schneegestöber fuhren wir einen Tag später nachhause. Diesmal wird es wohl keinen Schnee mehr geben.

Soviel für heute. Morgen werde ich übrigens einen Kuchen für das Kind backen und dazu möglicherweise dieses Lied aus dem GROSSARTIGEN FILM The Hours hören.



The Hours, auch so ein Film, den man jetzt mal wieder schauen könnte.




Bleibt gesund, Ragazzi und Companeros. Backt einen Kuchen, schaut einen Film, geht spazieren, lest ein Buch. Lasst es Euch richtig gut gehen! #tuttoandràbene #bleibtzuhause May the force be with you 💪

(c) Susanne Becker

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