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Corona Tagebuch (39) ist eine Corona #stayathome Leseliste

Mir ist aufgefallen, dass ich meine Bücher seit dem 16. März recht bewusst wähle und sie teilweise thematisch wie geschaffen sind für die momentane Situation.
Daher dachte ich mir, dass ich an dieser Stelle für Euch eine Bücherliste anlege, wo Ihr, wenn Ihr wollt, Inspiration finden könnt. Passende Bücher zum Eingesperrtsein, Literatur zum Ausnahmezustand, zu der Tatsache, dass alles im Wandel ist und dass wir plötzlich viel mehr spazieren gehen, als jemals zuvor. Ich finde Spaziergänge und Radtouren eigentlich erst so richtig attraktiv, seitdem ich zuhause bleiben soll. Weshalb ich im Grunde weniger zum Lesen komme, als ich vor dem Lock Down erwartet hatte. Und dann ist da auch noch Netflix. Reden wir nicht darüber. Ich lese trotzdem fleissig und kann Euch passende Bücher für die Einsamkeit, das beglückende Alleinsein, die Selbstsuche, die Isolation und die Konfrontation mit der kompletten Auflösung dessen, was gerade noch das eigene Leben war, präsentieren.

Ich denke, ich werde die Liste immer mal wieder ergänzen. Corona ist noch nicht vorbei und alles bleibt anders und ich lese ja sowieso. 



  • Joan Didion Blaue Nächte, übersetzt von Antje Rávic Strubel. Joan Didion erinnert sich in diesem Buch an ihre Tochter Quintana, die mit 39 Jahren starb. Es ist ein Buch über den Tod und das Leben. Über die Unvorstellbarkeit von Verlust inmitten eines erfüllten Lebens.
  • Joan Didion Das Jahr des magischen Denkens, ebenfalls von Antje Rávic Strubel übersetzt. In diesem Buch schreibt Didion über den Tod ihres Mannes, der plötzlich eintrat, eines Abends, während sie in der Küche war, das Essen vorzubereiten und er schon am Tisch saß. Sie versucht darin, das Unbegreifliche schreibend zu fassen. Sie hat für dieses Buch den National Book Award in den USA gewonnen. Ihre Tochter und ihr Mann starben sehr kurz hintereinander. Das macht diese beiden Bücher zu etwas sehr Besonderem. Wie ein Mensch es schafft, seine Kunst zur Bewältigung der unermesslichen Trauer einzusetzen, das ist unglaublich berührend. Und jeder, der schon einmal einen Menschen verloren hat, erkennt, wie meisterhaft Didion über Trauer schreibt. Die Trauer ist wie die Tinte, mit denen beide Bücher zu Papier gebracht wurden und die Lebenslinie, an der Didion sich aus diesem Abgrund zurück in ihren eigenen Tag geschrieben hat. Es gibt über sie übrigens auch eine tolle Doku auf Netflix. Sie heißt The center will not hold. (Trailer siehe oben)
  • Judith Schalansky Verzeichnis einiger Verluste Die Weltgeschichte ist voller Dinge, die verloren gegangen sind. Einigen von ihnen widmet sich Judith Schalansky in diesem Buch. Bemerkenswert, wie jedes einzelne Kapitel anders klingt. Bemerkenswert, wie die verlorenen Dinge wieder eine selbstverständliche Lebendigkeit erlangen dadurch, dass sie über sie schreibt. Wie wichtig ist es, sich zu erinnern? Alles, was nicht erinnert wird, ist für immer verloren.
  • Nadja Spiegelman Was nie geschehen ist Eine Mutter-Tochter-Geschichte, eine Familiengeschichte. Eine Tochter versucht, ihre Mutter und deren Geschichte zu verstehen, um so ihr eigenes Verhältnis zu dieser Mutter besser greifen zu können. Eine Geschichte, die zwischen New York und Paris wandert und das gesamte letzte Jahrhundert durchschreitet Ich habe sie innerhalb weniger Tage verschlungen. Faszinierend ist die Subjektivität von Erinnerung, die durch dieses Buch so deutlich wird. Alles, was ich erinnere, könnte genauso gut ganz anders gewesen oder von jemand anders erlebt worden sein. 
  • Rebecca Solnit Wanderlust (Ist auf Deutsch unter dem gleichen Titel bei Matthes & Seitz erschienen!) Ich habe dieses Buch noch nicht begonnen. Aber da ich gerade so viel laufe, spazieren gehe, mir bislang unbekannte Orte in der Stadt erwandere. ziehen mich Titel und Thema sehr an.
  • Rebecca Solnit A Field Guide to getting lost Der Titel sagt eigentlich schon alles. Dies ist ein Buch, das einem dabei hilft, sich zu verlaufen. Was vor allen Dingen bedeutet: die gewohnten Pfade zu verlassen und das Unbekannte zu wagen. So wie Yoko Ono es einmal in einem Gedicht sagte: Mache einen Plan, damit du verloren gehen kannst. Ein Buch über das gute daran, dass man nicht immer weiß, wo man ist.
  • Claire-Louise Bennett, Teich (meine Rezension) Die Ich-Erzählerin führt ein isoliertes Leben in einem abgelegenen Cottage in Irland und schreibt darüber. 
  • Peter Handke Mein Jahr in der Niemandsbucht (meine Rezension) Dies ist im Grunde eine Meditation in Buchform. Es zeigt, dass man das wesentliche nicht dadurch findet, dass man tut, sondern dass es längst in einem ist und auch immer dort war. Man findet es, indem man still wird.
  • Gerbrand Bakker Der Umweg (meine Rezension) Eine Frau verkriecht sich in ein einsames Haus in Wales. Sie kommt eigentlich aus Amsterdam und lehrt an der dortigen Universität. Nach einer Affäre mit einem Studenten flieht sie. Peu à peu erfährt man immer mehr über weitere Gründe für ihre Flucht. Eines meiner Lesehighlights in 2019.
  • Friederike Mayröcker cahier (meine Rezension) Ich habe schon öfter Bilder von Friederike Mayröcker in ihrem Arbeitszimmer gesehen. Sie sitzt zwischen Unmengen an Papier und Büchern glücklich darin, schreibt auf einer alten Schreibmaschine oder mit der Hand, wühlt in ihrem Bewusstsein und zieht einen Edelstein nach dem anderen von dort hervor. Ich finde, wenn eine Person wirklich gerade in die #stayathome Welt passt, dann sie. Cahier ist deshalb auch nur ein Beispiel. Man kann im Grunde alle ihre Bücher jetzt mal schnell lesen. 
  • Céline Minard, Das große Spiel (meine Rezension)  Eine Frau geht alleine in die karge Bergwelt und baut sich dort ein Haus. Man erfährt nicht, warum, wie lange, man liest nur ihre Vorbereitungen für den Winter, ihre exakten Berechnungen bezüglich Wasser, Nahrung, was sie brauchen wird, um einen harten Winter zu überstehen. Bis es zu einer Begegnung kommt. Sie ist dort oben nicht allein. Großartig!
  • A Writer's Diary, Virginia Woolf Dazu gibt es im Grunde nicht viel zu sagen. Das Tagebuch von Virginia Woolf, geführt zwischen 1918 und 1941, nach ihrem Tode gesichtet und heraus gegeben von ihrem Ehemann Leonard Woolf. Ich kann mir persönlich gerade nur wenige Bücher vorstellen, die ich in dieser Zeit gerade lieber lesen würde. 
  • Tomas Espadal, Das Jahr (meine Rezension) Der Norweger Espedal ist ein Eigenbrötler, wie er im Buche steht und daher, genau wie Mayröcker oder auch Handke, für diese Zeit ein wenig prädestiniert, wenn ich das so sagen darf. Sein Buch handelt von seinem Versuch, über eine Liebe hinweg zu kommen. Wenn man wirklich geliebt hat, wie lange dauert es, bis man diese Liebe überwunden hat? Um diese Frage zu beantworten, wandert durch halb Europa, er liest Petrarca, er schreibt. Es ist ganz oben auf der Liste meiner bisherigen Lieblingsbücher für 2020
  • Gerbrand Bakker, Jasper und sein Knecht, (meine Rezension) Ein niederländischer Schriftsteller kauft ein Haus in einem abgelegenen Eifeldorf und beginnt, es zu renovieren. Durch Zufall kommt er an den griechischen Hund Jasper und so leben die beiden gemeinsam, abgeschieden. Das Buch handelt von ihrem gemeinsamen Leben in der Eifel. Ich habe es geliebt!
  • Marion Brasch, Wunderlich fährt nach Norden Zum Schluss noch diese vergleichsweise leichte Lektüre, die aber dennoch so wunderbar passt. Denn ist Wunderlich nicht der Mensch, der davon ausgeht, der unglücklichste Mensch der Welt zu sein? Und wird er nicht zu allem Überfluss auch noch von Marie verlassen? Und fängt dann nicht etwa auch noch sein Handy an, ihm SMS zu schicken, anonym, die ihm Dinge erzählen, die es bzw. er, gar nicht wissen kann, die ihn aber dazu bringen, sich zu bewegen? Dieses Buch lag sehr lange unbeachtet auf meinem Nachttisch. Bis ich letztes Wochenende dachte: Einmal möchte ich beim Lesen nicht nachdenken. Ich möchte einfach nur etwas erzählt bekommen. Ich will mich auch nicht aufregen müssen. Das habe ich ja schon täglich beim Blick in die Nachrichten. Das Buch erfüllt meine Ansprüche zu 100 %. Ich bin zu meiner Überraschung sowohl in Wunderlich, als auch in die Geschichte schockverliebt. Unbedingter Lesebefehl!
  • Christoph Simon, Spaziergänger Zbinden (meine Rezension) Der 87jährige Lukas Zbinden lebt in einem Altersheim und seine Leidenschaft ist das Spazierengehen. Ein Zivildienstleistender begleitet ihn regelmäßig und bekommt so die Lebensgeschichte des alten Herrn erzählt. Eine wunderschöne Geschichte und passend für diese Zeit, in der zumindest ich recht häufig spazieren gehe und dabei auch gar nicht selten über mein Leben nachdenke. 
  • Joachim Meyerhoff, Hamster im hinteren Stromgebiet Meyerhoff erzählt in diesem fünften Band seiner Autobiografischen Reihe Alle Toten fliegen hoch  von dem Schlaganfall, den er mit fünfzig erlitt und der sein Leben jäh ausbremste. Er tut dies, wie immer, mit sehr viel Humor und auch mit sehr viel Liebe. Dass nichts im Leben berechenbar ist, dass man auf nichts zählen kann, dass jederzeit alles aufhören oder anfangen kann und man es oft nicht unter Kontrolle hat, das ist einfach so und wird in diesem Buch herrlich klar gestellt. (Hier eine Besprechung seines Buches Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke, welches ich auch sehr liebe!)
  • Wolfgang Herrndorf, Arbeit und Struktur. Als Herrndorf erfuhr, dass er einen Gehirntumor hatte, begann er einen Blog mit eben diesem Titel und schreibt darin der Krankheit, den Aussetzern, dem Tod, der Angst davor entgegen. Er ist so mutig, so kompromisslos, dass man es manchmal kaum aushält und doch ist es ein Buch, das einem so viel schenkt an Erkenntnissen darüber, was es bedeuten kann, ein Mensch zu sein. Ich glaube, ich kenne kein anderes Buch, in welchem den Tatsachen so unmissverständlich in die Augen geschaut wird. 
  • Gabriel Garcia Marquez, Hundert Jahre Einsamkeit. Ich gebe zu, ich habe es primär wegen des Titels gewählt, weil ich dachte: wenn das nicht passt zu gerade jetzt, dann weiß ichs nicht. Fühlen wir uns nicht alle wie zu 100 Jahren Einsamkeit verdammt mit diesem Gebot, möglichst wenige Menschen zu treffen, der Unmöglichkeit zu reisen und dem ständigen Abstandhalten? Aber dann beginnt man zu lesen und findet sich im kolumbianischen Dorf Macondo wieder, inmitten von aberwitzigen Verstrickungen und Geschichten und man hat das Gefühl, in einem wunderbaren Traum gelandet zu sein, der auf fast jeder Seite die Tendenz hat, sehr schnell ein Alptraum werden zu können, aber das auf eine so phantasievoll erzählte und magische Weise, dass man komplett darin versinkt. Ein wunderbares Buch! 
  • Lauren Elkin, Flaneuse. Women walk the city in Paris, New York, Tokyo, Venice and London Ein Buch darüber, wie Frauen in Städten laufen, also flanieren und wie ungewöhnlich das eigentlich ist, dass sie es lange nicht durften, und dann auch ganz schön angemacht wurden, weil das Gesehenwerden im öffentlichen Raum für Frauen lange auch nicht ungefährlich war oder schlicht als unanständig galt. Ein wirklich reiches Buch, in dem über so viele verschiedene Frauen und Orte etwas spannendes stand. Unter anderem werden erwähnt: Virginia Woolf, Sophie Calle, Agnes Varda, Martha Gellhorn, Olivia Laing. Da ich selbst, wie schon mehrfach erwähnt, sehr viel in der Stadt herum laufe und immer schon gerne in Städten flaniert bin, hat mir das Buch sehr gefallen und mich unglaublich inspiriert. Es gibt das Buch auch auf Deutsch: Flaneuse
  • Olivia Laing, The lonely City. Adventures in the Art of being alone. Ein Buch über Einsamkeit, Kunst und das Leben in einer großen Stadt. Olivia Laing ist eine großartige Schreiberin. Ihr Stil ist klar und sie vermittelt unglaublich viel Wissen über all diese Themen auf einem gleichzeitig sehr hohen Niveau und einer in die Tiefe dringenden Menschlichkeit. Sie schreibt unter anderem über Andy Warhol, Edward Hopper und David Wojnarowicz und es besteht zwischen diesem Buch und dem vorher erwähnten Flaneuse aber auch zu Wanderlust eine große Verbindung. Ich finde es immer noch irre, wie ich diese drei Bücher zufällig zur gleichen Zeit gefunden und nacheinander gelesen habe und dann in allen dreien Verweise auf die je anderen beiden finde. 
  • Otessa Moshfegh, My Year of Rest and Relaxation. Dazu muss ich eigentlich nicht viel mehr sagen, oder? Die Protagonistin nimmt unglaublich viele Schlaftabletten, um ein Jahr ihre Ruhe zu haben und ich gebe es frei heraus zu, ich erlebe derzeit Momente, wo ich das inspirierend fände und furchtbar gerne erst wieder in, sagen wir, Sommer 2022 aufwachen würde. Ein unglaublich tolles Buch. Ich habe es in 2019, als wir noch reisten, ihr erinnert euch, in Andalusien gelesen und da ich nur Bordgepäck hatte und meine Tasche aus allen Nähten platzte, habe ich es in der Damentoilette auf dem Flughafen in Malaga gelassen. Ich dachte, vielleicht freut sich jemand darüber. Diesen Schritt bereue ich seitdem. 

Stand: 02.02.2021
(c) Susanne Becker

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