Heute habe ich den Balkon in meiner Wohnung bepflanzt. Zum ersten Mal, seitdem ich sie habe. Plötzlich sieht der Balkon aus, als wäre die Wohnung bewohnt und nicht eine von diesen Ferienwohnungen. Also, bepflanzt hört sich jetzt doller an, als es erstmal ist. Ich habe nur drei Pflanzen in einen hellblauen Metallbehälter gepflanzt. Ich bräuchte sechs weitere, damit der Balkon rundum bunt wird. Ich habe ja Zeit. Ein Anfang ist gemacht.
Auf dem Weg dorthin, mit meinem Behälter in einer Einkaufstüte, kreuzte ich die Lohmühlenbrücke. Unter ihr, die ja direkt zu einem Spielplatz führt, haben Obdachlose sich eingerichtet. Sie haben Matratzen am Boden ausgebreitet und machen jeden Abend ein Feuer. Es ist noch verdammt frisch, wenn man immer draußen sein muss. Der Spielplatz, auf dem ich gefühlt Jahre meines Lebens mit meinen Töchtern verbracht habe, ist ja seit sechs Wochen mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Deshalb stört die Obdachlosen niemand. Sie haben sich dort einen trockenen, einigermaßen gemütlichen Ort eingerichtet.
Einer von ihnen trägt immer Perücke. Ich frage mich schon seit Jahren, wo er die ganzen Perücken her hat. Blonde, rote, schwarze, braune, grüne. Immer mit langen, sehr verfilzten Haaren, die teilweise über seinen ganzen Rücken reichen. Er macht einen ungemein freundlichen Eindruck. Lustig. Er lebt seit Jahren in meinem Kiez und ich habe noch nie gesehen, dass er irgendwen belästigt hätte. Er stand am Ufer und sang. Schief, sehr laut, aber mit Inbrunst. Auf der gegenüberliegenden Seite saß ein Pärchen auf einer Mauer. Die Frau schrie: "Halt deine Fresse. Das ist ein Kinderspielplatz,"
Der Mann rief: "Du Hurensohn, nimm Rücksicht auf die Kinder, sonst gibs aufs Maul."
Der Sänger hielt erschrocken inne. Ich musste daran denken, wie verletzlich er ist. Dass er im Freien schlafen muss und all die Typen, die ihn Hurensohn nennen und glauben, ihn verachten zu dürfen, an ihn ran können, weil sein #stayathome unter einer Brücke ist und er keinen Schutz vor ihnen hat.
Weit und breit keine Kinder.
Kreuzberg.
At its best.
Ich traf meinen Nachbarn im Treppenhaus. Wir unterhielten uns kurz darüber, was uns am meisten nervt in dieser sonderbaren, aus der Zeit gefallenen Zeit, die aber ja unsere Zeit ist. Tag für Tag. Wie du deine Tage gestaltest, so ist dein Leben. Das gilt ja jetzt genauso wie sonst auch. Wir kamen nach zwei Minuten darin überein, dass es die Aggressivität, die Respektlosigkeit, das unglaublich nervige Verhalten vieler im öffentlichen Raum ist, die ihren stetig wachsenden Druck ungefiltert ausleben. Das ist sehr anstrengend. Ich gehe deshalb weniger raus. Weil es mich ermüdet. Wie muss es sein, niemals rein zu können, egal wie müde man ist?
Heute sah ich mir im ORF ein halbstündiges Interview mit Prof. Christian Drosten an. Hier ist der Link, falls ihr es anschauen möchtet.
Heute demonstrierten wieder hunderte Menschen vor der Volksbühne, Hygiene Demo nennen sie es, und ich frage mich, was das sein soll. Eine Demo für Hygiene? Eine Demo gegen Hygiene?
Die Volksbühne hat sich klar von dieser Demo distanziert, genau wie die Anwohner. #wirsindnichteurekulisse Unter den Teilnehmern, wie schon letzte Woche: AfD Politiker (die sicher dankbar sind, dass sie endlich heraus gefunden haben, was in dieser schon Wochen anhaltenden Krise ihr Standpunkt ist. ES HAT JA NUN WIRKLICH LANGE GENUG GEDAUERT) und Verschwörungstheoretiker, die übliche Mischpoke.
In Stuttgart gab es auch eine Demo. Ähnliches Personal.
Heute habe ich gekocht und dabei folgendes Lied gehört. Rain Clouds von The Arcadian Wild. Unter anderem. Ich habe auch andere Lieder gehört, aber dieses wollte ich Euch nicht vorenthalten, weil es sehr schön ist.
Na gut, eins hab ich noch. Ich habe nämlich auch dieses Lied gehört. Von der Österreicherin Anja Plaschg, auch bekannt als Soap&Skin: Pray
Anja Plaschg ist übrigens auch Schauspielerin und hat in dem großartigen Film Die Geträumten mitgespielt. Er handelt von Ingeborg Bachmann und Paul Celan, ihren Briefen aneinander und der Wichtigkeit der Worte. Sehr sehenswert, falls Ihr mal eine Gelegenheit habt.
Und dann habe ich heute noch entdeckt, dass Nick Cave and the Bad Seed einen 24 Stunden TeeVee Channel gestartet haben, #stayathome. 24 Stunden laufen dort Videos, Filmausschnitte und Musik von ihnen. Damit kann man sich schonmal ein paar Stündchen die Zeit vertreiben. JEDEN TAG!!!
Hier ist der Link
Ich glaube, das wars für heute.
Schlaft gut, #staycalm #stayathome #tuttoandràbene aber nicht sofort. Geduld ist die Mutter der Porzellankiste, pflegte meine Oma immer zu sagen, und wie so oft, lag sie auch mit dieser Aussage goldrichtig. Oma, du warst die Beste 💜 Für sie wäre diese Zeit übrigens kein Problem gewesen. Ihr Lebensstil entsprach schon in den 70ern in etwa den Coronaauflagen von Ländern wie Spanien oder Portugal. Sie fand es irgendwie unnötig, das Haus jemals zu verlassen oder anderen zu nahe zu kommen. Draußen lauerten Gefahren. Ich weiß noch, wie überlegen ich mich ihr fühlte, seinerzeit. Heute denke ich: sie hatte halt ihr Trauma schon in ihrer Jugend und es hieß 2. Weltkrieg. Wer in seiner Jugend nicht unbedarft leben kann, der misstraut dem Leben vermutlich leichter. Wie dankbar ich bin, dass ich das Privileg hatte, 55 Jahre so leben zu können, dass ich eigentlich kaum Gründe hatte, dem Leben zu misstrauen. Ich hatte selten Angst. Es gab auch keinen Grund. Das hilft mir jetzt. Meine Haut ist noch nicht so dünn vom vielen Angst haben müssen.
Also, bis morgen oder so. Kann sein, dass ich jetzt mal seltener schreibe. Will mich nicht wiederholen.
Seid umarmt. May the force be with you 💪
(c) Susanne Becker
Auf dem Weg dorthin, mit meinem Behälter in einer Einkaufstüte, kreuzte ich die Lohmühlenbrücke. Unter ihr, die ja direkt zu einem Spielplatz führt, haben Obdachlose sich eingerichtet. Sie haben Matratzen am Boden ausgebreitet und machen jeden Abend ein Feuer. Es ist noch verdammt frisch, wenn man immer draußen sein muss. Der Spielplatz, auf dem ich gefühlt Jahre meines Lebens mit meinen Töchtern verbracht habe, ist ja seit sechs Wochen mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Deshalb stört die Obdachlosen niemand. Sie haben sich dort einen trockenen, einigermaßen gemütlichen Ort eingerichtet.
Einer von ihnen trägt immer Perücke. Ich frage mich schon seit Jahren, wo er die ganzen Perücken her hat. Blonde, rote, schwarze, braune, grüne. Immer mit langen, sehr verfilzten Haaren, die teilweise über seinen ganzen Rücken reichen. Er macht einen ungemein freundlichen Eindruck. Lustig. Er lebt seit Jahren in meinem Kiez und ich habe noch nie gesehen, dass er irgendwen belästigt hätte. Er stand am Ufer und sang. Schief, sehr laut, aber mit Inbrunst. Auf der gegenüberliegenden Seite saß ein Pärchen auf einer Mauer. Die Frau schrie: "Halt deine Fresse. Das ist ein Kinderspielplatz,"
Der Mann rief: "Du Hurensohn, nimm Rücksicht auf die Kinder, sonst gibs aufs Maul."
Der Sänger hielt erschrocken inne. Ich musste daran denken, wie verletzlich er ist. Dass er im Freien schlafen muss und all die Typen, die ihn Hurensohn nennen und glauben, ihn verachten zu dürfen, an ihn ran können, weil sein #stayathome unter einer Brücke ist und er keinen Schutz vor ihnen hat.
Weit und breit keine Kinder.
Kreuzberg.
At its best.
Ich traf meinen Nachbarn im Treppenhaus. Wir unterhielten uns kurz darüber, was uns am meisten nervt in dieser sonderbaren, aus der Zeit gefallenen Zeit, die aber ja unsere Zeit ist. Tag für Tag. Wie du deine Tage gestaltest, so ist dein Leben. Das gilt ja jetzt genauso wie sonst auch. Wir kamen nach zwei Minuten darin überein, dass es die Aggressivität, die Respektlosigkeit, das unglaublich nervige Verhalten vieler im öffentlichen Raum ist, die ihren stetig wachsenden Druck ungefiltert ausleben. Das ist sehr anstrengend. Ich gehe deshalb weniger raus. Weil es mich ermüdet. Wie muss es sein, niemals rein zu können, egal wie müde man ist?
Heute sah ich mir im ORF ein halbstündiges Interview mit Prof. Christian Drosten an. Hier ist der Link, falls ihr es anschauen möchtet.
Heute demonstrierten wieder hunderte Menschen vor der Volksbühne, Hygiene Demo nennen sie es, und ich frage mich, was das sein soll. Eine Demo für Hygiene? Eine Demo gegen Hygiene?
Die Volksbühne hat sich klar von dieser Demo distanziert, genau wie die Anwohner. #wirsindnichteurekulisse Unter den Teilnehmern, wie schon letzte Woche: AfD Politiker (die sicher dankbar sind, dass sie endlich heraus gefunden haben, was in dieser schon Wochen anhaltenden Krise ihr Standpunkt ist. ES HAT JA NUN WIRKLICH LANGE GENUG GEDAUERT) und Verschwörungstheoretiker, die übliche Mischpoke.
In Stuttgart gab es auch eine Demo. Ähnliches Personal.
Na gut, eins hab ich noch. Ich habe nämlich auch dieses Lied gehört. Von der Österreicherin Anja Plaschg, auch bekannt als Soap&Skin: Pray
Anja Plaschg ist übrigens auch Schauspielerin und hat in dem großartigen Film Die Geträumten mitgespielt. Er handelt von Ingeborg Bachmann und Paul Celan, ihren Briefen aneinander und der Wichtigkeit der Worte. Sehr sehenswert, falls Ihr mal eine Gelegenheit habt.
Und dann habe ich heute noch entdeckt, dass Nick Cave and the Bad Seed einen 24 Stunden TeeVee Channel gestartet haben, #stayathome. 24 Stunden laufen dort Videos, Filmausschnitte und Musik von ihnen. Damit kann man sich schonmal ein paar Stündchen die Zeit vertreiben. JEDEN TAG!!!
Hier ist der Link
Ich glaube, das wars für heute.
Schlaft gut, #staycalm #stayathome #tuttoandràbene aber nicht sofort. Geduld ist die Mutter der Porzellankiste, pflegte meine Oma immer zu sagen, und wie so oft, lag sie auch mit dieser Aussage goldrichtig. Oma, du warst die Beste 💜 Für sie wäre diese Zeit übrigens kein Problem gewesen. Ihr Lebensstil entsprach schon in den 70ern in etwa den Coronaauflagen von Ländern wie Spanien oder Portugal. Sie fand es irgendwie unnötig, das Haus jemals zu verlassen oder anderen zu nahe zu kommen. Draußen lauerten Gefahren. Ich weiß noch, wie überlegen ich mich ihr fühlte, seinerzeit. Heute denke ich: sie hatte halt ihr Trauma schon in ihrer Jugend und es hieß 2. Weltkrieg. Wer in seiner Jugend nicht unbedarft leben kann, der misstraut dem Leben vermutlich leichter. Wie dankbar ich bin, dass ich das Privileg hatte, 55 Jahre so leben zu können, dass ich eigentlich kaum Gründe hatte, dem Leben zu misstrauen. Ich hatte selten Angst. Es gab auch keinen Grund. Das hilft mir jetzt. Meine Haut ist noch nicht so dünn vom vielen Angst haben müssen.
Also, bis morgen oder so. Kann sein, dass ich jetzt mal seltener schreibe. Will mich nicht wiederholen.
Seid umarmt. May the force be with you 💪
(c) Susanne Becker
Ach du Liebe - einfach klasse. Danke für die links.
AntwortenLöschenLove you!!!!
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