Heute Geburtstag gefeiert, danach einen langen Spaziergang nach Stralau und um die ganze Halbinsel gemacht.
Es war voll voll voll. So viele Menschen unterwegs.
Es gibt dort Hausboote. Mitten in der Rummelsburger Bucht gibt es eine ganze Insel aus Booten, von denen Musik herüber schallte. Queen, um genau zu sein. Sah aus wie ein besetztes Haus, aber als Bootlandschaft. Es heißt Neu-Lummerland und wird bewohnt von einer Gruppe von Aussteigern, deren einzige Regel lautet: Keine Nazis. (Das habe ich irgendwo gelesen, keine Ahnung, ob es stimmt. Vielleicht gibt es auch noch andere Regeln.)
Eine Spaziergängerin schaute rüber und meinte kopfschüttelnd zu ihrem Begleiter: Also ein schöner Anblick ist das aber wirklich nicht.
Ich dachte: Doch, irgendwie finde ich schon, dass es ein schöner Anblick ist. Es wirkt anarchisch und wild. Obwohl ich persönlich keine Lust habe, so zu leben, finde ich, dass es Lebensmodelle geben muss, die wild sind und anarchisch. Es können nicht alle in glatt gemähten Gärten hinter blanken Glasfassaden leben. Alle diese Häuser auf Stralau sehen gleich aus. Da habe ich mich über die Musik und die bunte Bootslandschaft wirklich gefreut.
Die Sonne schien und ich setzte mich auf eine Bank am Ufer, um das Buch A Field Guide to getting lost von Rebecca Solnit zu beginnen.
Die Autorin erforscht darin auf verschiedenen Ebenen die Kunst, verloren zu gehen. Ich hatte ja bereits im Tagebuch 13 über meine Faszination mit dem Thema geschrieben. In Tagebuch 25 habe ich von Dingen erzählt, die ich in den letzten Monaten verloren habe. Der Verlust fühlte sich beinahe an wie eine grundlegende Veränderung meiner DNA, denn beide Verluste verbanden mich mit meiner Familie mütterlicherseits sehr stark. Verlust als Befreiung. Sich verlaufen als sich finden. Wer kann ich sein, wenn ich in einer Umgebung bin, die ich nicht kenne, in der mich niemand kennt? Wer kann ich sein, wenn alles von mir abfällt, was mich äußerlich definiert?
Wie orientieren wir uns überhaupt im Raum? Können wir modernen Menschen, ausgestattet mit Handy und Googlemaps, uns eigentlich noch orientieren? Können wir uns noch anständig verlaufen? Sie erzählt in dem Buch von einem kalifornischen Indianerstamm, die kein rechts und links kannten, sondern ihren nach Westen zeigenden Arm eben den Westarm nannten. Wenn sie später in die andere Richtung gingen, war dieser selbe Arm der Ostarm. Nicht der Körper ist die Konstante, sondern der Raum, die Welt. An ihr richtet man sich aus.
Sie erzählt auch von früheren Entdeckern, die sich nie verlaufen haben, weil sie es nicht so nannten. Wenn sie mal drei Tage nicht wussten, wo sie waren, dann war das eben ein Teil der Entdeckung. Verlaufen, verloren sein, das sind auch Definitionsfragen und wenn man es als etwas negatives definiert, dann heißt das: es ist gut, immer genau zu wissen, wer und wo man ist. Bloß keine Unsicherheiten aufkommen lassen.
Ich bin in dem Buch noch nicht so weit, aber gleich im Bett möchte ich es weiter lesen. Denn es dreht sich um mein Thema, das damit zu tun hat, inwiefern der Zustand des sogenannten Verlorenseins ein Zuhause sein kann. Unser wirkliches Zuhause. Wenn wir uns hingeben, anstatt kontrollieren, wissen, uns auskennen wollen, ist etwas möglich, das niemals möglich wäre in der Kontrolle.
Dieses Thema hat natürlich auch sehr viel mit diesem Moment zu tun, in dem die vertraute Welt sich extrem verändert. Alles scheint sich aufzulösen und ein großer Drang ist da, sich immer noch am Ufer festzuhalten, weil es ja sehr bald wieder sein wird wie immer.
Wird es sein wie immer? Wäre das wünschenswert? Wäre es gut? Oder könnte diese kollektive Verirrung, die gerade in den Wirren einer Pandemie stattfindet, nicht auch eine Chance sein, für die Menschheit, irgendwie nochmal von vorn anzufangen. Also wenigstens ein paar Dinge anders zu machen?
Als ich die Treppe hoch zur Brücke über die Spree ging, drückte sich eine mir entgegen kommende Frau ins Geländer, bedeckte ihr Gesicht mit ihrem Schal und murmelte: Überall diese Dreckschleudern.
Es war voll voll voll. So viele Menschen unterwegs.
Es gibt dort Hausboote. Mitten in der Rummelsburger Bucht gibt es eine ganze Insel aus Booten, von denen Musik herüber schallte. Queen, um genau zu sein. Sah aus wie ein besetztes Haus, aber als Bootlandschaft. Es heißt Neu-Lummerland und wird bewohnt von einer Gruppe von Aussteigern, deren einzige Regel lautet: Keine Nazis. (Das habe ich irgendwo gelesen, keine Ahnung, ob es stimmt. Vielleicht gibt es auch noch andere Regeln.)
Eine Spaziergängerin schaute rüber und meinte kopfschüttelnd zu ihrem Begleiter: Also ein schöner Anblick ist das aber wirklich nicht.
Ich dachte: Doch, irgendwie finde ich schon, dass es ein schöner Anblick ist. Es wirkt anarchisch und wild. Obwohl ich persönlich keine Lust habe, so zu leben, finde ich, dass es Lebensmodelle geben muss, die wild sind und anarchisch. Es können nicht alle in glatt gemähten Gärten hinter blanken Glasfassaden leben. Alle diese Häuser auf Stralau sehen gleich aus. Da habe ich mich über die Musik und die bunte Bootslandschaft wirklich gefreut.
Die Sonne schien und ich setzte mich auf eine Bank am Ufer, um das Buch A Field Guide to getting lost von Rebecca Solnit zu beginnen.
Die Autorin erforscht darin auf verschiedenen Ebenen die Kunst, verloren zu gehen. Ich hatte ja bereits im Tagebuch 13 über meine Faszination mit dem Thema geschrieben. In Tagebuch 25 habe ich von Dingen erzählt, die ich in den letzten Monaten verloren habe. Der Verlust fühlte sich beinahe an wie eine grundlegende Veränderung meiner DNA, denn beide Verluste verbanden mich mit meiner Familie mütterlicherseits sehr stark. Verlust als Befreiung. Sich verlaufen als sich finden. Wer kann ich sein, wenn ich in einer Umgebung bin, die ich nicht kenne, in der mich niemand kennt? Wer kann ich sein, wenn alles von mir abfällt, was mich äußerlich definiert?
Wie orientieren wir uns überhaupt im Raum? Können wir modernen Menschen, ausgestattet mit Handy und Googlemaps, uns eigentlich noch orientieren? Können wir uns noch anständig verlaufen? Sie erzählt in dem Buch von einem kalifornischen Indianerstamm, die kein rechts und links kannten, sondern ihren nach Westen zeigenden Arm eben den Westarm nannten. Wenn sie später in die andere Richtung gingen, war dieser selbe Arm der Ostarm. Nicht der Körper ist die Konstante, sondern der Raum, die Welt. An ihr richtet man sich aus.
Sie erzählt auch von früheren Entdeckern, die sich nie verlaufen haben, weil sie es nicht so nannten. Wenn sie mal drei Tage nicht wussten, wo sie waren, dann war das eben ein Teil der Entdeckung. Verlaufen, verloren sein, das sind auch Definitionsfragen und wenn man es als etwas negatives definiert, dann heißt das: es ist gut, immer genau zu wissen, wer und wo man ist. Bloß keine Unsicherheiten aufkommen lassen.
Ich bin in dem Buch noch nicht so weit, aber gleich im Bett möchte ich es weiter lesen. Denn es dreht sich um mein Thema, das damit zu tun hat, inwiefern der Zustand des sogenannten Verlorenseins ein Zuhause sein kann. Unser wirkliches Zuhause. Wenn wir uns hingeben, anstatt kontrollieren, wissen, uns auskennen wollen, ist etwas möglich, das niemals möglich wäre in der Kontrolle.
Dieses Thema hat natürlich auch sehr viel mit diesem Moment zu tun, in dem die vertraute Welt sich extrem verändert. Alles scheint sich aufzulösen und ein großer Drang ist da, sich immer noch am Ufer festzuhalten, weil es ja sehr bald wieder sein wird wie immer.
Wird es sein wie immer? Wäre das wünschenswert? Wäre es gut? Oder könnte diese kollektive Verirrung, die gerade in den Wirren einer Pandemie stattfindet, nicht auch eine Chance sein, für die Menschheit, irgendwie nochmal von vorn anzufangen. Also wenigstens ein paar Dinge anders zu machen?
Als ich die Treppe hoch zur Brücke über die Spree ging, drückte sich eine mir entgegen kommende Frau ins Geländer, bedeckte ihr Gesicht mit ihrem Schal und murmelte: Überall diese Dreckschleudern.
Lilly und ich haben dann noch Lady Bird geschaut, einen wirklich tollen Film über eine Mutter und eine Tochter. Aber es geht mehr um die Tochter, und ihren Wunsch, von Kalifornien an die Ostküste zu kommen. Eigentlich geht es um ihren Wunsch, sich selbst zu finden und sie selbst zu sein.
Ich gehe jetzt weiter lesen. Passt auf Euch auf. Feiert schön Ostern. Möget Ihr gesund und stark bleiben 💪
(c) Susanne Becker
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