Den Stillstand verwalten.
Das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch.
Dort, wo ich arbeite, steht seit Wochen vieles bis alles still. Dennoch müssen wir irgendwie den Menschen, die bei uns eine Ausbildung machen, in diesen Stillstand hinein, dessen Regeln sich immer wieder ändern, weiterhin einen Ausbildungsstrang anbieten, ohne sie zu überfordern.
Den Stillstand verwalten, ohne zu wissen, wie und wann es weiter gehen kann.
Wenn es weiter gehen sollte, werden viele daran gar nicht teilnehmen, weil ihre Kinder immer noch unbetreut sind, sie zu Risikogruppen gehören oder sie schlichtweg Angst haben, sich anzustecken und lieber vorsichtig sein möchten.
In einen Nebel hinein klare Pläne entwerfen.
Die am nächsten Tag ihre Gültigkeit wieder verlieren.
Der Wunsch nach Planungssicherheit.
Geschenkt.
Die Ängste.
Die eigenen und die aller anderen. Sie erfüllen die Luft wie das Surren von einem riesigen Schwarm Insekten.
Deutlich spürt man die Zerbrechlichkeit von allem und von uns allen. Manchmal taucht am Horizont die Frage auf, wie lange wir das noch aushalten können, bevor die Ungeduld, die Angst, einen Knall erzeugen, der alles noch schlimmer machen wird.
Das eigene Wollen und Wünschen wurde noch nie vorher so straff in ein Sozialgefüge gespannt, in dem selten etwas so läuft, wie man es sich wünscht. Das haben wir nicht so gut gelernt. Denn wir gehören ja zu denen, wo es anfing, dass man eigentlich alles machen konnte, alles haben konnte. Jeder Wunsch war irgendwie erfüllbar. Also materiell. Das Gefühl, dass einem auch im Grunde die Welt offensteht. Verzicht, eine hohe Frustrationstoleranz, das sind Dinge, die beherrschen wir nicht so gut. Die Generationen, die nach meiner kommen, noch weniger, weil sie noch viel leichter alles haben konnten, was sie wollten.
Man fütterte seine Begierden. Das war nichts anstößiges. Unsere Gesellschaft baute zu weiten Teilen darauf auf, dass wir haben wollen und losgehen, um es zu kaufen. Die Wunscherfüllungsmöglichkeiten wurden immer exorbitanter.
Dann dieser Stillstand.
Die eigene Ungeduld.
Hier in Kreuzberg klingt es, als fänden überall Parties statt. Was genau wird gefeiert? Wir haben doch noch gar nichts hinter uns? Es ist nicht vorbei. Nur die Geduld vielleicht.
Vor ein paar Tagen las ich auf Facebook von einem Bekannten, dass er endlich wieder Freunde treffen, feiern, ausgehen möchte. Er findet es unnormal, dass er wegen einer hochgespielten Grippe all das nicht darf. Die meisten widersprachen ihm vehement. Was mich ein wenig wunderte. Er kündigte dann gestern an, dass er Facebook verlassen werde.
Der eigene Wille, unerfüllt, kann eine mächtige Kraft entwickeln.
Wenn es also Politiker gibt, die sagen, wir müssen jetzt sehen, wie wir Sicherheit und Freiheit unter einen Hut bringen, dann meinen sie genau das. Aber ich denke, sie haben eine Menge nicht verstanden.
Für mich geht es auch darum, die Freiheit in dieser Begrenztheit zu erkennen und zu leben. Weil sie etwas in einem selbst ist. Ein innerer Zustand.
Einer meiner Kollegen teilte mir gestern mit, dass er seit drei Wochen kein Fleisch mehr isst. Weil alles mit allem zusammen hängt, und so wie wir mit Tieren umgehen, so kommt dieser Virus über uns, und nach ihm andere, so wie vor ihm andere, die alle ihren Ursprung nahmen in der simplen Tatsache, dass wir Tiere essen und wie wir sie halten, wie wir mit ihnen umgehen. Er, ein begeisterter Fleischesser, ist seit drei Wochen Vegetarier. Weil: "Jeder muss jetzt sehen, an welcher Stelle er was tun kann. Das ist meine Stelle."
Ich bin mir noch nicht sicher, was meine Stelle ist. Vielleicht habe ich darüber auch noch gar nicht nachgedacht. Ich könnte damit anfangen. Jetzt.
Eine Freundin aus den USA ist voller Angst, sich zu infizieren, in einem Wirtschaftscrash alles zu verlieren, lange nicht mehr aus den USA heraus zu kommen. Sie schickte ihren Freunden in Europa "seid froh, dass ihr nicht hier seid gerade", den Link zu einem Artikel in The Atlantic. Für alle, die englisch lesen, hier ist er In ihm geht es darum, wie sehr der Virus in Amerika die Symptome einer zerstörten Nation bloßlegt und dabei täglich Menschenleben kostet, aus Dummheit, aus Gleichgültigkeit, aus Profitgier. Die Lektüre hat mir einmal mehr gezeigt, wie vergleichsweise intakt unser System hier immer noch ist. Betonung liegt auf "noch".
Der Berliner Türsteher (Berghain) und Fotograf Sven Marquardt hat einen kleinen Film gemacht über den Corona Shutdown, in dem sagt er unter anderem, dass jeder diese Zeit anders wahrnimmt und dass es wichtig ist, jedem diese, seine eigene Perspektive zuzugestehen. Weil man dann voneinander lernen kann. Und das macht stark.
Das hat mir sehr gefallen. Hier der Link
Und hier noch ein Zitat von einem Politiker, der heute gestorben ist und der einer jener Politiker war, der die Zeit meiner Jugend geprägt hat (damals fand ich ihn natürlich vollkommen blöde!) Angsichts der 47 Kinder, die jetzt hier sind und der unzähligen, die noch in griechischen Lagern hängen, passt es ja noch genauso gut wie damals, als er es sagte.
„Wenn 500 Millionen Europäer keine fünf Millionen oder mehr verzweifelte Flüchtlinge aufnehmen können, dann schließen wir am besten den Laden 'Europa' wegen moralischer Insolvenz.“
Danke, Norbert Blüm
R.I.P.
Das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch.
Dort, wo ich arbeite, steht seit Wochen vieles bis alles still. Dennoch müssen wir irgendwie den Menschen, die bei uns eine Ausbildung machen, in diesen Stillstand hinein, dessen Regeln sich immer wieder ändern, weiterhin einen Ausbildungsstrang anbieten, ohne sie zu überfordern.
Den Stillstand verwalten, ohne zu wissen, wie und wann es weiter gehen kann.
Wenn es weiter gehen sollte, werden viele daran gar nicht teilnehmen, weil ihre Kinder immer noch unbetreut sind, sie zu Risikogruppen gehören oder sie schlichtweg Angst haben, sich anzustecken und lieber vorsichtig sein möchten.
In einen Nebel hinein klare Pläne entwerfen.
Die am nächsten Tag ihre Gültigkeit wieder verlieren.
Der Wunsch nach Planungssicherheit.
Geschenkt.
Die Ängste.
Die eigenen und die aller anderen. Sie erfüllen die Luft wie das Surren von einem riesigen Schwarm Insekten.
Deutlich spürt man die Zerbrechlichkeit von allem und von uns allen. Manchmal taucht am Horizont die Frage auf, wie lange wir das noch aushalten können, bevor die Ungeduld, die Angst, einen Knall erzeugen, der alles noch schlimmer machen wird.
Das eigene Wollen und Wünschen wurde noch nie vorher so straff in ein Sozialgefüge gespannt, in dem selten etwas so läuft, wie man es sich wünscht. Das haben wir nicht so gut gelernt. Denn wir gehören ja zu denen, wo es anfing, dass man eigentlich alles machen konnte, alles haben konnte. Jeder Wunsch war irgendwie erfüllbar. Also materiell. Das Gefühl, dass einem auch im Grunde die Welt offensteht. Verzicht, eine hohe Frustrationstoleranz, das sind Dinge, die beherrschen wir nicht so gut. Die Generationen, die nach meiner kommen, noch weniger, weil sie noch viel leichter alles haben konnten, was sie wollten.
Man fütterte seine Begierden. Das war nichts anstößiges. Unsere Gesellschaft baute zu weiten Teilen darauf auf, dass wir haben wollen und losgehen, um es zu kaufen. Die Wunscherfüllungsmöglichkeiten wurden immer exorbitanter.
Dann dieser Stillstand.
Die eigene Ungeduld.
Hier in Kreuzberg klingt es, als fänden überall Parties statt. Was genau wird gefeiert? Wir haben doch noch gar nichts hinter uns? Es ist nicht vorbei. Nur die Geduld vielleicht.
Vor ein paar Tagen las ich auf Facebook von einem Bekannten, dass er endlich wieder Freunde treffen, feiern, ausgehen möchte. Er findet es unnormal, dass er wegen einer hochgespielten Grippe all das nicht darf. Die meisten widersprachen ihm vehement. Was mich ein wenig wunderte. Er kündigte dann gestern an, dass er Facebook verlassen werde.
Der eigene Wille, unerfüllt, kann eine mächtige Kraft entwickeln.
Wenn es also Politiker gibt, die sagen, wir müssen jetzt sehen, wie wir Sicherheit und Freiheit unter einen Hut bringen, dann meinen sie genau das. Aber ich denke, sie haben eine Menge nicht verstanden.
Für mich geht es auch darum, die Freiheit in dieser Begrenztheit zu erkennen und zu leben. Weil sie etwas in einem selbst ist. Ein innerer Zustand.
Einer meiner Kollegen teilte mir gestern mit, dass er seit drei Wochen kein Fleisch mehr isst. Weil alles mit allem zusammen hängt, und so wie wir mit Tieren umgehen, so kommt dieser Virus über uns, und nach ihm andere, so wie vor ihm andere, die alle ihren Ursprung nahmen in der simplen Tatsache, dass wir Tiere essen und wie wir sie halten, wie wir mit ihnen umgehen. Er, ein begeisterter Fleischesser, ist seit drei Wochen Vegetarier. Weil: "Jeder muss jetzt sehen, an welcher Stelle er was tun kann. Das ist meine Stelle."
Ich bin mir noch nicht sicher, was meine Stelle ist. Vielleicht habe ich darüber auch noch gar nicht nachgedacht. Ich könnte damit anfangen. Jetzt.
Eine Freundin aus den USA ist voller Angst, sich zu infizieren, in einem Wirtschaftscrash alles zu verlieren, lange nicht mehr aus den USA heraus zu kommen. Sie schickte ihren Freunden in Europa "seid froh, dass ihr nicht hier seid gerade", den Link zu einem Artikel in The Atlantic. Für alle, die englisch lesen, hier ist er In ihm geht es darum, wie sehr der Virus in Amerika die Symptome einer zerstörten Nation bloßlegt und dabei täglich Menschenleben kostet, aus Dummheit, aus Gleichgültigkeit, aus Profitgier. Die Lektüre hat mir einmal mehr gezeigt, wie vergleichsweise intakt unser System hier immer noch ist. Betonung liegt auf "noch".
Der Berliner Türsteher (Berghain) und Fotograf Sven Marquardt hat einen kleinen Film gemacht über den Corona Shutdown, in dem sagt er unter anderem, dass jeder diese Zeit anders wahrnimmt und dass es wichtig ist, jedem diese, seine eigene Perspektive zuzugestehen. Weil man dann voneinander lernen kann. Und das macht stark.
Das hat mir sehr gefallen. Hier der Link
Und hier noch ein Zitat von einem Politiker, der heute gestorben ist und der einer jener Politiker war, der die Zeit meiner Jugend geprägt hat (damals fand ich ihn natürlich vollkommen blöde!) Angsichts der 47 Kinder, die jetzt hier sind und der unzähligen, die noch in griechischen Lagern hängen, passt es ja noch genauso gut wie damals, als er es sagte.
„Wenn 500 Millionen Europäer keine fünf Millionen oder mehr verzweifelte Flüchtlinge aufnehmen können, dann schließen wir am besten den Laden 'Europa' wegen moralischer Insolvenz.“
Danke, Norbert Blüm
R.I.P.
Lass es Euch gut gehen. May the force be with you 💪
(c) Susanne Becker
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