„Ich mußte nach Hause in die Bucht, ohne meine Anwesenheit
da, all das Jahr durch, verlöre das Buch seinen Ort und seinen Grund.“
Ein Buch wie eine Meditation.
Ein Schriftsteller schreibt über sieben Freunde, darunter
sein Sohn, alle in irgendeiner Form auf Reisen. Er schreibt über die Frau, die
er liebt, mit der er lebt, mit der er den Sohn hat und doch verlassen sie sich
immer wieder, kann er das Leben mit einem Alltag kaum ertragen, denn alles ist
eigentlich auf diese Meditation, die sein Schreiben ist, ausgerichtet. Alles
andere stört den Fluß und die Konzentration.
Er lebt in einem alten Haus in der Nähe von Paris,
absichtlich in einer klaren Entfernung zu dieser hektischen, auch
wichtigtuerischen Metropole, in welcher das Wesentliche unter Hyperaktivitäten
vieler Art verschüttet ist.
Aus diesem Haus und seinem Garten heraus unternimmt er
tägliche Spaziergänge, im Grunde Wanderungen in die Umgebung.
Wer beginnt, dieses Buch zu lesen, wird sehr schnell in die
Umhüllung der Worte gezogen, die Handkes Schreibkunst Seite um Seite entrollt.
Ein säuselndes Beschreiben der Welt, die aus dem Haus besteht, seinem Garten,
der Umgebung, der Häuser, der Bäume, der Tiere, der Freunde….
In seiner langsamen Genauigkeit konzentriert sich Handke
darauf, das Wesentliche zu finden, welches dem alltäglichen Leben da draußen
diametral entgegensteht und ihm doch an jeder Stelle eingewoben ist wie ein unsichtbarer Faden.
Der Schreiber beschreibt sein Jahr in der Niemandsbucht, in
dieser Landbucht außerhalb von Paris, die niemand kennt, die niemandem etwas
bedeutet, wo außer ihm und den Alteingesessenen, die wirklich zum größten Teil
alt sind, älter als er, niemand hin möchte. Selten nur verirrt sich ein Fremder
dorthin. Selten nur besucht ihn ein Freund.
Dieses Jahr in der Niemandsbucht ist wie ein weißes Blatt,
das er mit seinem Leben, behutsam, Tag für Tag, füllen (beschreiben) kann.
Behutsam denn, es sollte nichts hinein gelassen werden, das nicht wesentlich
ist. Wesentlich ist die Verwandlung, die geschieht, die unvermeidlich geschehen
muss, wenn man so hochkonzentriert bei der Sache bleibt.
„Jede Epoche meines Lebens wurde bestimmt von dem täglichen
Hin und Her zwischen Ausweglosigkeit und seelenruhigem Weitermachen. Weder
vorher noch nachher habe ich je Stunden einer solch vollkommenen Ruhe erlebt.
Und indem die Tage andauerten und ich, ob panisch oder seelenruhig, bei der
Sache blieb, erschien mit der Zeit immer kräftiger an der Stelle des
zwischendurch mich weiterwürgenden „Ende“ das Ding Verwandlung.“
Dass man das Wesentliche im Leben nicht durch irgendwelches
Tun finden kann, sondern nur durch Lassen – indem man zum Beispiel an seinem
Ort in der Niemandsbucht verweilt, der ein weißes Blatt ist, das aber auf gar
keinen Fall gefüllt werden soll mit klugen Bewertungen, Urteilen, Meinungen
oder Schlussfolgerungen. Es soll vielmehr gefüllt werden mit Beobachtungen. Der
Schreiber in der Niemandsbucht beobachtet aus seinem Fenster und auf seinen
Wanderungen das Geschehen in der Bucht, auch das Geschehen in sich, er fängt
die Augenblicke ein und bringt sie auf die Seite.
Man wird sich der Dinge um einen, der Gedanken in einem
kristallklar bewusst und zumindest ich habe beim Lesen immer wieder den
unbändigen Impuls, mit aller Sinnlosigkeit aufzuhören, um mein Jahr in der
Niemandsbucht zu beginnen. Denn nur dort kann Verwandlung stattfinden.
Mein Jahr in der Niemandsbucht von Peter Handke ist eines der wenigen Bücher, die ich bislang in diesem Jahr gelesen habe, welches mich wirklich glücklich machte. Sehr große Leseempfehlung!
Und da wir schon beim Empfehlen sind, möchte ich noch einmal auf den wunderbaren Film hinweisen, Bin im Wald, kann sein, dass ich mich verspäte, durch den ich verspätet, aber Gott sei Dank nicht zu spät, erst Handke für mich enteckt habe. Am Anfang des Jahres habe ich noch sein Wunschloses Unglück besprochen. Auch dies ein für mich herausragendes Buch.
(c) Susanne Becker
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