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Philipp Weiss, Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen

Ein Roman ist dies, der alle Regeln sprengt, leichtfüßig, selbstverständlich und nicht einmal dachte ich: so geht das nicht, sondern ununterbrochen, bei der Lektüre der gesamten über 1000 Seiten, aufgeteilt auf insgesamt fünf verschiedene Bände, dachte ich immer nur: ja, genau so geht es. Nur so geht es ab jetzt, dass einer einen Roman schreibt. Alles ist erlaubt und das muss auch so sein. Am Weltenrand sitzen die Menschen und lachen war vielleicht die befriedigendste Lektüre im gesamten Jahr 2018 für mich und sie fand mich erst zum Ende hin. Da kam meine Freundin aus dem Burgenland und brachte mir dieses wunderbare Buch mit. Ein Schuber, fünf Bände, jedes eine andere Farbe, jedes ein anderer Erzähler. Ich schreckte zunächst zurück und dachte mir, höflicherweise würde ich es nicht ablehnen, aber lesen würde ich es erst so um 2024 herum, oder sogar später. Dann blätterte ich noch am gleichen Abend den ersten Band im Schuber auf, der schwarz ist und las die ersten Seiten und dana...

Céline Minard, Das große Spiel

Ein Buch, das an die Grenzen zielt, und darüber hinaus, auch die des Verstehens. Das Genre Roman, ich erlebe es in den letzten Monaten immer wieder, wird verändert, es weitet sich. Es geht nicht mehr nur um das Erzählen einer Geschichte. Es geht um das Ausloten innerer Räume. Wie still kann ein Mensch werden? Wie leer kann ein Mensch werden? Was ist, wenn man sein Ego überwindet? Themen, Fragen, die eher in ein Zen Retreat zu gehören scheinen, erobern das literarische Schreiben. Räume werden ausgelotet und Romane werden zu Meditationen. Der Text, das Konstrukt, erinnert weniger an das, was man früher als Roman kannte (und warum kommt mir jetzt Die Buddenbrooks in den Sinn?), als daran, was einem begegnet, wenn man stundenlang auf einem Meditationskissen sitzt. Insofern könnte dies ein Buch sein, das Handke gefällt. Die Protagonistin in gewisser Hinsicht eine seelische Schwester der Abenteurerin im Bildverlust? Es mag mir so erscheinen. Natürlich kann ich mich täuschen. Eine Intuition...

Buch der Woche - Annie Ernaux, Die Jahre

   „…, ein Buch, das das Vergehen der Zeit in ihrem Inneren und außerhalb von ihr, in der großen Geschichte, beschreibt, einen „totalen Roman“, der in völliger Besitzlosigkeit enden würde, damit, dass sie sich von Menschen und Dingen lossagt, bis nichts mehr übrig wäre,…“ Annie Ernaux‘ wunderbares Buch Die Jahre , erschienen im Suhrkamp Verlag , versucht die Jahre, die man gelebt hat, einzufangen. Sie vergehen, aber kann man vielleicht doch etwas halten von ihnen, weiter geben? Bei der Lektüre musste ich oft daran denken, als ich die Schränke meiner Mutter nach deren Tod ausräumte und sich immer wieder die Frage aufdrängte: Was bleibt von einem Menschenleben? Bei der Lektüre kam es mir so vor, als meditiere Annie Ernaux diese Frage bereits vor ihrem Tod, um das, was bleibt, der Nachwelt zu übergeben. Aber auch, um es sich selbst vor Augen zu führen und es dann ganz loszulassen. Das Buch protokolliert die Lebensgeschichte einer Frau, die in den 40er Jahren des letzt...

Leila Slimani - Dann schlaf auch du

"Das Baby ist tot." Die französisch-marokkanische Autorin Leila Slimani hat mit ihrem Buch „ Dann schlaf auch du “, für das sie in Frankreich mit dem höchsten Literaturpreis des Landes, dem Prix Goncourt, ausgezeichnet wurde, den Alptraum einer jeden Mutter in Literatur verwandelt.  Ich glaube, wirklich jede Mutter kennt diese Furcht, dass man die Kinder zur Strafe dafür, dass man sie allein lässt, nie wieder lebend sieht. Ich wollte dieses Buch zunächst nicht lesen. Denn ich kann es, seitdem ich selbst Kinder habe, nur schwer ertragen, wenn in einem Buch oder Film Kindern Leid geschieht. Es fällt mir schwer, davon zu abstrahieren. Dennoch war ich neugierig und las diesen ersten Satz. „Das Baby ist tot.“, der sofort eine unglaubliche Sogwirkung erzeugte. Ich konnte das Buch nicht mehr beiseitelegen. Myriam und Paul sind ein ganz normales Pariser Paar, das so aber auch in New York, Berlin, London leben könnte. Sie hat ein Jurastudium erfolgreich abgeschlossen, er pr...

Ruth Zylberman, die Topographie des Lebens erforschen

Wir befinden uns in einer Schicht über den Vergangenheiten. All das, was bereits geschehen ist, liegt unter uns, gestapelt. Lage für Lage stapelt die Vergangenheit sich unter uns, wie eine geologische Gesteinsformation. All die Leben und Tode, die Taten und Untaten, sind da und bilden das psychische Gelände, auf dem wir unseren Lebensweg zurück legen. Wenn wir aufmerksam sein können, so aufmerksam, wie es uns nur irgend möglich ist, dann können wir diese Schichten erspüren. Das vergangene Wochenende war für mich ein Wochenende der französischen Schriftstellerin und Filmemacherin Ruth Zylberman. Am Freitagabend begann ich ihr Buch Vermisstenstelle zu lesen, das gerade im Secession Verlag erschienen ist. Am Samstag kam sie selbst nach Berlin und stellte im Neuköllner Kino Wolf ihren neuen Dokumentarfilm 209 Rue St. Maur, Paris, 10Ème, The Neighbors – vor. Sowohl in diesem Film als auch in ihrem Buch geht es um Topographie, um das Gelände oder auch den Raum, in dem wir leben,...