„dass du nichts erschaffen oder fühlen kannst,
das niemand zuvor gefühlt hat“
Eine Bekannte überreichte mir vor ein paar Tagen ein Buch mit
Gedichten mit den Worten: „Ich kann damit nichts anfangen. Das hört sich an wie
meine alten Tagebucheintragungen aus Teenagertagen. Vielleicht magst Du es ja.“
Ich war mir nicht sicher, ob ich das nun als Kompliment verstehen sollte im
Sinne von: „Du bist ja so literarisch. Vielleicht kapierst du, wie die Autorin
das meint, ich nicht.“
Oder ob es eher eine Art desillusionierter Feststellung über mich war war, frei nach dem
Motto: „Du bist ja dafür bekannt, dass du Teenagertagebücher gerne liest.“
Das Buch hieß „Ich werde niemals schön genug sein, um mitdir schön sein zu können“ von einer offensichtlich in den USA gerade sehr angesagten
Autorin, Mira Gonzalez. Ich hatte von ihr noch nie gehört. Das Buch heißt im
Original „I will never be beautiful enough to make us beautiful together“.
Das ist wichtig. Denn in dieser sehr schönen, kleinen
Ausgabe von Hanser stehen die englischen Originale und die deutschen
Übersetzungen sich auf jeder Seite gegenüber. So kann man die Güte der
Übersetzung Jo Lendles, der ja auch der Herausgeber bei Hanser ist, sogleich überprüfen. Er hat die Gedichte in aller Regel
sehr wortwörtlich übersetzt. Ich finde, das ist ihm bei sehr vielen auch gut gelungen. Obwohl mir manchmal andere Übersetzungen spontan durch den Kopf schossen beim
Lesen, gebe ich doch auch zu, dass ich nicht mit Sicherheit sagen könnte,
welche besser wäre und ob das wirklich wichtig ist. Denn in jedem Fall ist der
Geist der Gedichte wunderbar eingefangen worden. Sie haben Titel wie „Ich habe
einen Roman über dich geschrieben und unter Entwürfe gespeichert“ oder „auch
Unter Menschen fühle ich mich einsamer, als wenn ich mir alleine das Internet
angucke“. Die Gedichte sind schön in einer ruppigen Härte, mit der sie einem
das Leben zuweilen beinahe um die Ohren klatschen.
„…Du tröstest Dich selbst mit dem Gedanken
„ich bin näher am Tod als jemals zuvor“…“
Deshalb hat es mir riesigen Spaß gemacht, sie zu lesen. Da
entfaltet sich eine Welt, die teilweise fremd, teilweise unglaublich vertraut
ist
„In sozialen Situationen verberge ich bestimmte Teile meiner
Persönlichkeit
von denen ich glaube, dass sie
anderen unattraktiv erscheinen
Ich habe nicht das Gefühl, so zu tun, als wäre ich etwas anderes
Tatsächlich habe ich nicht das Gefühl, etwas zu sein
Ich bin die ganze Zeit sehr müde…“
Hier schreibt jemand Gedichte, die sich in dieser Welt,
unter Menschen, ziemlich fremd fühlt und ihre Orientierungsversuche ohne jede
Beschönigung, ohne jede Selbsterhöhung (was per se schon wieder eine
Selbsterhöhung sein könnte, wenn es mit Berechnung geschieht, was ich nicht
weiß, ich kenne Mira Gonzalez ja nicht persönlich) gnadenlos beschreibt. Da passt es auch, dass sie in einem Interview antwortete: dass was sie am Leben am wenigsten möge sei sie selbst. Das
hat Tragik, aber auch sehr viel Humor, das ist eine wunderbare Sprache, so
knapp, so klar, so aus dem Alltag genommen und doch überaus lyrisch, poetisch,
dass ich wirklich vor jedem einzelnen Gedicht begeistert in die Knie sinken
möchte.
„…Vielleicht können wir diese besondere Art von
Gleichgültigkeit verstehen
die man manchmal auf der rauen Oberfläche eines Kühlschranks
bemerkt…“
Ein wirklich wunderbares Buch. Ich
danke meiner Bekannten ausdrücklich und ich rate ihr, wenn ihre Tagebücher aus
Teenagertagen tatsächlich so sind, wie diese Gedichte, dann sollte sie a) ihre
Maßstäbe, was gute Literatur angeht, noch einmal überarbeiten, und b) ihre
Tagebücher unbedingt zu Hanser schicken, vielleicht hat sie Chancen auf eine
literarische Karriere.
Zum Abschluss noch eines meiner Lieblingsgedichte, es hat
einen sehr langen Titel und ist sehr kurz:
Worüber ich nachdenke, wenn ich
über die Zombieapokalypse nachdenke
Ich würde mich sofort umbringen
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