Es wird sehr viel getrunken. Es wird sehr viel die Frage gestellt: "Werde ich jemals Sex haben?" oder auch: "Kann ich überhaupt Sex haben?" Es ist ein Buch über Knausgards späte Adoleszenz, die Jahre zwischen 16 und 18 etwa - das Ende der Schulzeit und ein Jahr in Nord-Norwegen, wo er als Aushilfslehrer gearbeitet hat.
Dieser vierte Band von Mein Kampf, "Leben", hat mich von Anfang an nicht ganz so intensiv gepackt wie "Lieben" und "Sterben", in denen beiden ich quasi versunken war, die ich praktisch inhaliert habe. Dennoch: niemals wäre es mir in den Sinn gekommen, dieses Buch halb gelesen beiseite zu räumen. Der Suchtfaktor, von dem im Zusammenhang mit ihm so viele Leser sprechen, hat mich definitiv auch hier wieder gepackt. Wie ich es schon in meiner Besprechung nach der Lektüre von Sterben erwähnte: Ich bin ein Fan von Knausgard. Das hat sich nicht geändert. Ich mag seine Art, offen und ohne Maske (zumindest gehe ich davon aus, dass es so ist), über sein gesamtes Leben zu berichten, dabei keine eigene Schwäche (oder solche von anderen) herunter spielend. Er stellt sich selber bloß und gibt jedem anderen Menschen damit die Erlaubnis, zu sein, ohne sich zu verstellen. Das hat schon einen ganz besonderen Reiz in einer Zeit, in der Fassaden und Äußerlichkeiten eine derart immense Wichtigkeit zu haben scheinen.
Also nochmal: es wird sehr viel getrunken, auch durchaus gekotzt. Das hat mich teilweise seltsam berührt. Ich habe diese endlosen Passagen, in denen er Besäufnisse und Parties aller Art beschrieb, teilweise ungeduldig gelesen. Ich bin ein Fan von Lieben und Sterben, ich denke, weil beide mit meiner aktuellen Wirklichkeit oder jener, die noch nicht sehr lange zurück liegt, am meisten zu tun haben. Ich bin eine Leserin, die sich unglaublich gerne identifiziert. In einem Buch über einen jungen Typen, der säuft und darauf wartet, endlich entjungfert zu werden, ist das nur peripher möglich.
Wie in allen bisherigen Knausgard Büchern ging es mir auch in diesem immer wieder so, dass ich damit rechnete, gleich würde etwas schreckliches geschehen. Oft schreibt er in einem Tonfall und mit einer Technik, die wahnsinnige Spannung aufbaut, man gruselt sich beinahe, und dann passiert im Grunde ... nichts. Also, es passieren so Dinge, die einem auch selbst passieren: man geht zurück in seine Wohnung nach einem Spaziergang, macht sich einen Kaffee, legt eine Platte auf, setzt sich an den Schreibtisch und beginnt, seine erste Kurzgeschichte zu schreiben. Mir kam der Gedanke, dass dies einer seiner "Tricks" ist, ohne das ich dies abwertend meine, dass man als Leser nicht wegkommt von ihm: er ist unglaublich gut darin, selbst bei den alltäglichsten Beschreibungen, eine Spannung aufzubauen, die ich sonst nur als Kind bei Aktenzeichen XY erlebt habe.
Leben ist das Buch, in dem Knausgard erzählt, wie er zu schreiben begann. Er geht in das einsame Nord-Norwegen, um sich neben der Tätigkeit als Lehrer ganz ohne weitere Ablenkungen aufs Schreiben konzentrieren zu können. Wir erleben die Reaktionen seiner ersten Leser, seine Besessenheit und seinen Ehrgeiz. Da ist jemand, der wirklich schreiben will und wie wir heute wissen: der dies auch umgesetzt hat.
In diesem Buch umschleicht Knausgard auch die Mädchen. Er möchte endlich entjungfert werden. Er verknallt sich mehrere Male, er hat Freundinnen, er stellt Mädchen erfolglos nach, er fantasiert über sie. Natürlich legt man das Buch nicht aus der Hand, bis man erfahren hat, ob er nun, oder ob nicht. Das ist ja auch klar. Man will es irgendwann circa genauso dringend wissen wie er selbst. In der Zwischenzeit liest man, und das ist durchaus prima und ein vollkommener Genuss sogar an mancher Stelle, von all den alltäglichen Details aus dem Leben des jungen Knausgard. Man erinnert sich an seine eigene Spätpubertät, und fragt sich, wie er es überhaupt mit 18 geschafft hat, einigermaßen den Lehrer zu mimen. Man selbst hat ja auch viel getrunken und hatte relativ häufig irgendeinen Jungen im Kopf, man feierte Parties und lag nachts in den Wupperwiesen mit sehr viel Obstwein, man stellte auch Jungen nach, oder sie stellten einem nach. Die Details und Alltäglichkeiten des eigenen Lebens waren in etwa so spannend wie die von Knausgard. Aber seine liest man, die eigenen würde man noch nicht mal aufschreiben. Und als Lehrerin hätte man in dieser Zeit mit Sicherheit nichts zustande gebracht. Das habe ich bewundert, dass er trotz seiner Jugend und seiner beständigen Trunkenheit möglicherweise kein ganz schlechter Lehrer war.
Was fehlt in diesem Band sind die vielen philosophischen, literarischen und kunstgeschichtlichen Einschübe, die für mich die beiden zuerst von mir gelesenen Bücher bereichert haben. Ich mag es, wenn er anfängt, zu theoretisieren. Im Gegensatz dazu ist dieses Buch pralles Leben. Das hat auch etwas. Wenn es überhaupt theoretische Einschübe gibt, sind sie kurz und prägnant und haben mit einer konkreten Situation zu tun.
"Die Leute waren dermaßen besessen von unwichtigen Dingen, sie suchten so lange, bis sie irgendwas fanden , das nicht funktionierte, und dann schlugen sie zu, statt das große Ganze zu sehen: Hier gehen wir, die Menschen auf der Erde, und sind doch nur eine kurze Weile hier, inmitten all des Fantastischen um uns herum: Gräser und Bäume, Dachse und Katzen, Fische und Meere, ein mit Sternen übersäten Himmel. Und dann regt sich jemand über eine gerissene Gitarrensaite auf? Über einen zerbrochenen Trommelstock? Scheißbettzeug, das man vor langer Zeit verliehen hat? Wirklich, was ist bloß los mit euch?"
Also Fazit: Das Buch hat mich nicht so gepackt wie Lieben und Sterben. Dennoch würde ich es jederzeit noch einmal lesen. Dennoch kann ich es kaum erwarten, Träumen und Spielen in die Hände zu bekommen!
Klar?
Und wie Martina Büttner es am 27.7.2015 so schön bei literaturleuchtet bemerkte: "Man kann getrost mit jedem der Bände beginnen, denn man wird ohnehin noch alle anderen lesen."
Ich danke btb herzlich für die Zusendung des Rezensionsexemplars.
Dieser vierte Band von Mein Kampf, "Leben", hat mich von Anfang an nicht ganz so intensiv gepackt wie "Lieben" und "Sterben", in denen beiden ich quasi versunken war, die ich praktisch inhaliert habe. Dennoch: niemals wäre es mir in den Sinn gekommen, dieses Buch halb gelesen beiseite zu räumen. Der Suchtfaktor, von dem im Zusammenhang mit ihm so viele Leser sprechen, hat mich definitiv auch hier wieder gepackt. Wie ich es schon in meiner Besprechung nach der Lektüre von Sterben erwähnte: Ich bin ein Fan von Knausgard. Das hat sich nicht geändert. Ich mag seine Art, offen und ohne Maske (zumindest gehe ich davon aus, dass es so ist), über sein gesamtes Leben zu berichten, dabei keine eigene Schwäche (oder solche von anderen) herunter spielend. Er stellt sich selber bloß und gibt jedem anderen Menschen damit die Erlaubnis, zu sein, ohne sich zu verstellen. Das hat schon einen ganz besonderen Reiz in einer Zeit, in der Fassaden und Äußerlichkeiten eine derart immense Wichtigkeit zu haben scheinen.
Also nochmal: es wird sehr viel getrunken, auch durchaus gekotzt. Das hat mich teilweise seltsam berührt. Ich habe diese endlosen Passagen, in denen er Besäufnisse und Parties aller Art beschrieb, teilweise ungeduldig gelesen. Ich bin ein Fan von Lieben und Sterben, ich denke, weil beide mit meiner aktuellen Wirklichkeit oder jener, die noch nicht sehr lange zurück liegt, am meisten zu tun haben. Ich bin eine Leserin, die sich unglaublich gerne identifiziert. In einem Buch über einen jungen Typen, der säuft und darauf wartet, endlich entjungfert zu werden, ist das nur peripher möglich.
Wie in allen bisherigen Knausgard Büchern ging es mir auch in diesem immer wieder so, dass ich damit rechnete, gleich würde etwas schreckliches geschehen. Oft schreibt er in einem Tonfall und mit einer Technik, die wahnsinnige Spannung aufbaut, man gruselt sich beinahe, und dann passiert im Grunde ... nichts. Also, es passieren so Dinge, die einem auch selbst passieren: man geht zurück in seine Wohnung nach einem Spaziergang, macht sich einen Kaffee, legt eine Platte auf, setzt sich an den Schreibtisch und beginnt, seine erste Kurzgeschichte zu schreiben. Mir kam der Gedanke, dass dies einer seiner "Tricks" ist, ohne das ich dies abwertend meine, dass man als Leser nicht wegkommt von ihm: er ist unglaublich gut darin, selbst bei den alltäglichsten Beschreibungen, eine Spannung aufzubauen, die ich sonst nur als Kind bei Aktenzeichen XY erlebt habe.
Leben ist das Buch, in dem Knausgard erzählt, wie er zu schreiben begann. Er geht in das einsame Nord-Norwegen, um sich neben der Tätigkeit als Lehrer ganz ohne weitere Ablenkungen aufs Schreiben konzentrieren zu können. Wir erleben die Reaktionen seiner ersten Leser, seine Besessenheit und seinen Ehrgeiz. Da ist jemand, der wirklich schreiben will und wie wir heute wissen: der dies auch umgesetzt hat.
In diesem Buch umschleicht Knausgard auch die Mädchen. Er möchte endlich entjungfert werden. Er verknallt sich mehrere Male, er hat Freundinnen, er stellt Mädchen erfolglos nach, er fantasiert über sie. Natürlich legt man das Buch nicht aus der Hand, bis man erfahren hat, ob er nun, oder ob nicht. Das ist ja auch klar. Man will es irgendwann circa genauso dringend wissen wie er selbst. In der Zwischenzeit liest man, und das ist durchaus prima und ein vollkommener Genuss sogar an mancher Stelle, von all den alltäglichen Details aus dem Leben des jungen Knausgard. Man erinnert sich an seine eigene Spätpubertät, und fragt sich, wie er es überhaupt mit 18 geschafft hat, einigermaßen den Lehrer zu mimen. Man selbst hat ja auch viel getrunken und hatte relativ häufig irgendeinen Jungen im Kopf, man feierte Parties und lag nachts in den Wupperwiesen mit sehr viel Obstwein, man stellte auch Jungen nach, oder sie stellten einem nach. Die Details und Alltäglichkeiten des eigenen Lebens waren in etwa so spannend wie die von Knausgard. Aber seine liest man, die eigenen würde man noch nicht mal aufschreiben. Und als Lehrerin hätte man in dieser Zeit mit Sicherheit nichts zustande gebracht. Das habe ich bewundert, dass er trotz seiner Jugend und seiner beständigen Trunkenheit möglicherweise kein ganz schlechter Lehrer war.
Was fehlt in diesem Band sind die vielen philosophischen, literarischen und kunstgeschichtlichen Einschübe, die für mich die beiden zuerst von mir gelesenen Bücher bereichert haben. Ich mag es, wenn er anfängt, zu theoretisieren. Im Gegensatz dazu ist dieses Buch pralles Leben. Das hat auch etwas. Wenn es überhaupt theoretische Einschübe gibt, sind sie kurz und prägnant und haben mit einer konkreten Situation zu tun.
"Die Leute waren dermaßen besessen von unwichtigen Dingen, sie suchten so lange, bis sie irgendwas fanden , das nicht funktionierte, und dann schlugen sie zu, statt das große Ganze zu sehen: Hier gehen wir, die Menschen auf der Erde, und sind doch nur eine kurze Weile hier, inmitten all des Fantastischen um uns herum: Gräser und Bäume, Dachse und Katzen, Fische und Meere, ein mit Sternen übersäten Himmel. Und dann regt sich jemand über eine gerissene Gitarrensaite auf? Über einen zerbrochenen Trommelstock? Scheißbettzeug, das man vor langer Zeit verliehen hat? Wirklich, was ist bloß los mit euch?"
Also Fazit: Das Buch hat mich nicht so gepackt wie Lieben und Sterben. Dennoch würde ich es jederzeit noch einmal lesen. Dennoch kann ich es kaum erwarten, Träumen und Spielen in die Hände zu bekommen!
Klar?
Und wie Martina Büttner es am 27.7.2015 so schön bei literaturleuchtet bemerkte: "Man kann getrost mit jedem der Bände beginnen, denn man wird ohnehin noch alle anderen lesen."
Ich danke btb herzlich für die Zusendung des Rezensionsexemplars.
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