"It was an interesting thought, that stability might be seen as the product of risk; it was perhaps when people tried to keep things the same that the process of decline began."
Nachdem ich In Transit von Rachel Cusk gelesen habe, würde
ich sagen: Liebe ist, einem anderen zuzuhören, ihm die richtigen Fragen zu stellen und genügend Raum zu lassen, allen Raum der Welt, so dass er zu sich selbst findet.
Die Protagonistin, eine Schriftstellerin, frisch geschieden,
ist soeben mit ihren beiden jungen Söhnen vom Land zurück nach London gezogen.
Sie kauft dort ein vergleichsweise günstiges Haus, das aber im Grunde eine
Bruchbude ist und nur bewohnbar nach umfangreichsten Renovierungsmaßnahmen.
Von dieser Übergangsphase vom Leben der verheirateten
Landbewohnerin zum Leben der geschiedenen Stadtbewohnerin, in welcher die Söhne
noch einmal beim Vater sind, solange, bis das Haus bewohnbar ist, handelt das Buch. Oder vielmehr: es zeigt uns
die Begegnungen der Protagonistin in diesem Zeitabschnitt. Friseuse,
Handwerker, Ex-Freund, die hasserfüllten Nachbarn, Kollegen auf einem Literaturfest, ein Cousin und seine neue Frau et
cetera.
In all diesen Begegnungen fungiert die Protagonistin
hauptsächlich als Fragestellerin. Sie erzählt so gut wie nichts von sich. Sie
stellt überaus kluge und geduldige Fragen, welche die Gegenüber mit großer
Offenheit und Freude beantworten. Einmal mehr wird mir bei der Lektüre bewusst,
wie sehr Menschen danach hungern, wahrgenommen zu werden. Mit einer überaus
großen Ruhe und unaufgeregten Neugierde sucht die Schreiberin in den Worten des
jeweiligen Gegenübers nach Wahrheit. Die Fragen, die sie stellt, sind intim.
Manchmal ist das Gegenüber davon überrascht. Aber in der Regel wird auch dann
geantwortet. So erfahren wir viel über Menschen, von denen man annehmen könnte,
sie spielten für die Geschichte eigentlich gar keine Rolle. Sie sind ja nur
Randerschienungen, zufällige Begegnungen. Wann wird die Protagonistin endlich
von sich erzählen? Ihre Trennungsgeschichte zum Beispiel vor dem Leser offenbaren in all ihrer Intensität?
Dann dämmert es mir, wie sehr sie das die ganze Zeit tut.
Die Fragen und Antworten, die große Liebe, die sie jedem Gegenüber mit ihrem
Interesse schenkt, die Geschichten, die durch ihre Fragen nicht zufällig
sondern gezielt ans Licht gelockt werden, sie alle erzählen von ihr und ihrer
Geschichte. Ihre Begegnungen fungieren so als perfekte Spiegel ihres eigenen
Seelenlebens, das am Ende des Buches offen vor dem Leser liegt.
Ich habe das Buch im englischen Original gelesen. In
Deutschland ist es gerade am 18. Januar 2018 als Taschenbuch bei Suhrkamp
erschienen.
Eine wunderbare Lektüre, die ich nur sehr empfehlen kann.
Eine weitere Besprechung des Buches findet sich bei literaturleuchtet
Eine weitere Besprechung des Buches findet sich bei literaturleuchtet
(c) Susanne Becker
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