Sie waren
einfach drauflos geradelt, durch die Felder, und anstatt links zum See und zur
Badestelle abzubiegen, waren sie geradeaus gefahren, in den Wald, dort dann
irgendwann links, Richtung Fahrenwalde, wo der Wald immer dunkler und dichter
wurde und sie an den Wald an der Ostsee, Preerow, Richtung Weststrand, erinnert
hatte. Auch an Märchen hatte sie gedacht.
Irgendwann
kam ihnen ein in Militaryfarben gesprühter VW-Bus mit Berliner Kennzeichen
entgegen, mitten im Wald, am Steuer saß ein vollbärtiger Typ, der sie dunkel
taxierte. Neben ihm saß ein schmächtiger Typ mit dunklen Haaren und roter
Basecap, der ebenfalls duster durch die Windschutzscheibe glotzte. Sie fuhren
an ihnen vorbei. Sie musste unwillkürlich an die Coen Brothers denken, Fargo oder so. Links lag eine wunderschöne Lichtung. Da hielten sie an und
waren gerade dabei, ihre Fahrräder an einen Baum zu lehnen, um sich die
Lichtung genauer anzuschauen, da kam das Motorengeräusch wieder durch die Kathedrale der alten, riesigen Bäume auf sie zugehallt. Der VW-Bus kam zurück. Die Männer hatten gewendet.
Sie blieben stehen und starrten sie an. Sie starrte zurück. Ihr wurde ein wenig
mulmig. Sie musste an Steven King denken und daran, dass niemand sie je finden
würde, wenn die beiden sie jetzt abknallten oder verschleppten. Es gab so viele
Irre, die irgendwo einen Keller oder eine leer stehende Scheune hatten. Wusste
sie denn, wie viele Menschen verschwunden waren und irgendwo als persönliche
Gefangene von total Irren gehalten wurden? Nicht jeder saß hinterher in TalkShows, um seine Geschichte aufzuarbeiten. Ja natürlich war sie auch ein wenig
neurotisch. Sonst wären ihr solche Gedanken natürlich gar nicht gekommen. Sie
hatte schon immer eine sehr reiche Fantasie gehabt, wenn es um Mord- und
Totschlag ging. Vermutlich, weil sie als Kind immer heimlich Aktenzeichen XY
geschaut hatte, durch die nur angelehnte Wohnzimmertür der Großeltern. Freitagabend. Manche Rituale verbissen sich geradezu in einem. Der Typ starrte sie immer noch an und sie starrte zurück. Da
sagte er: „Ihr könnt ruhig weiter fahren!“ Sie: „Ja, klar. Ihr aber auch.“ Er
lachte unfreundlich und ziemlich genervt, und antwortete: „Nein, wir wollen
hier unser Holz abholen.“ Sie „Ja, dann macht das doch.“ Jetzt war sie langsam sauer auf diese Typen, die sich aufspielten wie Mörder, in Wirklichkeit aber vermutlich heimlich Holz stehlen wollten und dabei keine Zeugen gebrauchen konnten.
Sie gingen
dann trotzdem und schauten sich die Lichtung an, in aller Ruhe. Was so eine richtige Waldlichtung ist, da kann man schon eine Weile schauen. In ihrem Rücken fuhren die
beiden Typen den VW-Bus im Military Look rückwärts in den Wald und packten eine
riesige elektrische Säge aus. So wirklich entspannen konnte sie sich beim Blick
auf die Lichtung nicht.
Sie
radelten weiter zur Heidemühle, die eigentlich ein kleiner Biergarten war, wo
es zwar keine gute Bewirtung gab, aber an dem schönen Ort würde es auch ein
schlechter Kaffee tun und für das Kind ne Limo. Leider war wegen Krankheit
geschlossen. Weit und breit kein Mensch. Nur kleine Kätzchen, wie auch schon
beim letzten Mal vor zwei Jahren und wieder spielte Lilly begeistert mit ihnen.
Der Mann und sie setzten sich auf eine Bank am kleinen See. Da kam wieder eine
Art Bus, mit Ladefläche, und aus stieg ein Typ mit Jagdhund, der auch im Militarystil
gekleidet war. Die ganze Gegend voll mit Typen, die aussahen wie Trumpwähler, nur dass das hier Mecklenburg war und nicht Wisconsin. Seine Augen lachten blau und fröhlich, der Hund
war wunderschön und sprang sogleich ins Wasser. Der Mann stellte sich ans Ufer.
Sie wechselten ein paar Bemerkungen über den Hund aus. Da sah sie, dass seine
Hände vollkommen blutverschmiert waren, seine Unterarme auch. Sie dachte an seinen Keller, seine Scheune, und da wusch er sich die Unterarme im See. Es blieben aber Blutspuren zurück. Das störte keinen großen Geist. Auf der
Ladefläche seines Wagens, abgedeckt mit einer Plane, lagen Tiere, tot. Das kapierte sie aber erst später. Zunächst starrte sie das Blut an und versuchte, die vom Typen ausgehenden Vibes zu interpretieren. Massenmörder? Jäger? Irrer? Der krank
geschriebene Wirt kam irgendwann vor die Tür, holte zwei ausgeleierte
Gartenstühle hervor, solche, auf denen schon ihr Vater vor vierzig Jahren in ihrem
Garten gesessen und Bier getrunken hatte an einem solchen Sonntagmorgen, zwei
Bierflaschen, eine für sich, eine für den Jäger, als Dank zeigte ihm der Jäger
das Haupt eines Rehs. Er holte es von unter der Plane hervor und hielt es stolz in die Höhe. Sie unterhielten sich über Kitze und Rehmütter und welche
sie noch schießen wollten. Alles kam ihr plötzlich ganz normal vor. Der Hund
des Jägers sprang ins Wasser und suchte nach den Stöcken, die Lilly für ihn hineinwarf. Er bellte sie wütend an, wenn sie nicht schnell genug war. Als würden sie sich ewig kennen. Endlos. Endlos können solche Hunde ein solches Spiel spielen. Endlos können solche Tage dauern, in der Uckermark, während die Libellen sich gegenseitig über den See jagen und die Vögel so laut singen, dass man seine eigenen Gedanken nicht mehr hören kann.
(c) Martin von Elm |
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(c) Susanne Becker
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