Sabine Scholl schenkt dem Leser mit ihrem Buch „Früchte des Zorns“ eine Familiengeschichte, ihre Familiengeschichte. Im Mittelpunkt stehen mehr oder weniger ausschließlich die Frauen, die Mütter eigentlich. Es geht also um jene Frauen,
die durch das freiwillige oder gezwungene, das im Grunde unvermeidliche
Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse, der eigenen Träume, der eigenen Räume
zur Selbstentfaltung, oft ein Leben lang, durch das Gebären von Kindern und die ständige Sorge für
diese der Kitt unser aller Gesellschaft sind. Im Guten wie im Schlechten.
Es ist ein Buch, das dem Frust der Frauen, der Wut, der
Entrüstung, der Enttäuschung, der Traurigkeit dieser Frauen nachspürt und eine Stimme gibt.
Auf jeder Seite wird die Trauer darüber spürbar, was alles möglich wäre, wenn
die Frauen ihre Kinder in einer Welt bekämen, in welcher Gleichberechtigung
wahrhaft praktiziert würde. An den Müttern kann man ablesen, ob und inwieweit
es Gleichberechtigung gibt. Das wurde mir in dem Moment klar, als ich selbst
Mutter wurde.
Ich fand die Übung, mein Ego ständig zurück zu stellen,
teilweise sehr spannend. Denn ich beschäftige mich noch viel länger, als dass
ich Mutter bin, mit Buddhismus. Es half mir streckenweise sehr, meine Kinder,
meine ganze Familie als eine Art Klostereinrichtung zu betrachten, wobei die
Kinder ausgezeichnete Zen Meister abgaben. Die Klostereinrichtung bestand einzig
aus dem Grund, mitten in Kreuzberg, um mir die Lächerlichkeit und absolute
Überflüssigkeit meines Egos und seiner lachhaften Bedürfnisse klar zu machen. So
gesehen hatte die Sache sehr viel Gutes. Andere gehen für so manche
Erkenntnis, die mich beim Spülen oder Staubsaugen ansprang auf teure Meditationskurse irgendwo in Asien.
Wir sind die Früchte des Zorns leuchtet den Kampf der Frauen
um ihr eigenes Leben mit so einer sehr starken, kleinen LED Taschenlampe aus. Bis in die hintersten Winkel der Frauenleben leuchtet das Buch und sagt so vieles schnörkellos, was in anderen Büchern poetisiert wurde, also im Grunde irgendwie auch beschönigt. An allen möglichen, im Grunde wunderschönen Orten leuchtet die Taschenlampe herum: ein Dorf in Österreich, Paris, Chicago, New York, Wien, Berlin. Es folgt damit dem Lebensweg der Erzählerin, die viel herum gekommen ist in ihrem Leben. Ein Jahrhundert an Frauenleben, ein Jahrhundert an Versuchen, dem Ganzen
auf die Spur zu kommen: Ist es gerechtfertigt, dass Frauen zornig sind? Ist es ein Wunder, dass sie nicht noch viel zorniger sind und was hält ihren Zorn im Zaum?
Die Mutter der Erzählerin will nicht mehr leben. Immer wieder
unternimmt sie Versuche, sich das Leben zu nehmen. Eine Österreicherin, auf dem
Dorf. Unwillkürlich denkt man an die Mutter Peter Handkes, der in Wunschloses Unglück, wie ich hier schon einmal berichtet habe, ein großartiges Denkmal gesetzt wurde. Ihr und somit allen unglücklichen Müttern, die sich selbst aufgaben, um eine Familie nicht zu zerstören.
Sabine Scholls Buch ist nicht angenehm zu lesen. Es tut weh.
Es ist auch lästig. Obwohl es zum Teil meine eigene Situation ausleuchtet,
hatte ich keine Lust, mir immer wieder klar machen zu lassen, wie trist sie
ist, hoffnungslos womöglich? Zumal ich diese Ansicht so nicht teile. Wenn man aber Trost sucht oder Weichspülerei,
dann ist man bei ihr, das hatte ich hier schon bei Die Füchsin spricht festgestellt,
an der falschen Adresse. Sie spricht eine klare und niemals beschönigende Sprache. Das muss man mögen.
Ich tat dies nicht das ganze Buch hindurch. Die Entrüstung, die ständige Wut, auch das Jammern, sie haben mich zeitweise ermüdet. Man verfängt sich beim Lesen in den Fangseilen
auch der eigenen Entrüstung und, Achtung, jetzt wird es wieder buddhistisch, da
sagte ich mir irgendwann, dass Entrüstung auch nur eine unter vielen Perspektiven ist, die
man dem, was ist gegenüber, einnimmt. Insofern eine freie Wahl. So eingeschnürt
man sich vorkommen mag in einem durch Pflichten eingeengten Alltag, in der Geschichte, die man sich selber von seinem Leben erzählt. Es steht
einem frei, die Perspektive zu wechseln.
Wir sind die Früchte des Zorns. Wenn man eine Geschichte
wieder und wieder mit Entrüstung erzählt, dann wird das bleiben: die
Entrüstung. Sie wird sich einschreiben in uns, in unsere Leben, dann auch wieder
in die Leben unserer Töchter (und Söhne). Ich möchte das nicht. Ich wünsche mir einen Wechsel der Perspektive. Ich würde fast behaupten, dass dies mein persönliches Lebensziel ist. Ich möchte so frei denken, dass sich dadurch alles verändert.
Was ich mochte an dem Buch, neben der Tatsache, dass Sabine Scholl sich diesem Thema gewidmet hat. Denn das möchte ich noch einmal klar sagen: Frauen sind das Servicepersonal dieser Welt. Ob sie es wollen oder nicht. Sie haben nur dann Glück, wenn sie unter Männer fallen, die bereit sind, die Hälfte mit zu tragen, die bereit sind, ihr Ego genauso zurück zu stellen, wie es die Frauen seit Jahrhunderten tun und oft genug daran verzweifeln.
Was ich noch an dem Buch mochte: Diese Vielfalt, diese bunte Familiengeschichte, dieses Eintauchen in so viele unterschiedliche Welten.
Was ich noch an dem Buch mochte: Diese Vielfalt, diese bunte Familiengeschichte, dieses Eintauchen in so viele unterschiedliche Welten.
Ich mochte auch den Einband. Grün. Grün ist die Hoffnung.
Die Farbe der Hoffnung für ein Buch des Zorns. Denn wenn man durch den Zorn hindurch
gegangen ist, ganz und gar, dann ist am Ende vielleicht genau das: die Hoffnung!
Einmal mehr ist es
dem Secession Verlag, dem ich herzlich für das Rezensionsexemplar danke,
gelungen, ein wunderschönes Buch vorzulegen.
Wir sind die Früchte des Zorns ist 2013 erschienen.
(c) Susanne Becker
Wir sind die Früchte des Zorns ist 2013 erschienen.
(c) Susanne Becker
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