Dies ist mein erstes Buch von Amos Oz und hätte es mir nicht
vor ein paar Wochen eine Freundin bei einem Treffen unaufgefordert mitgebracht
und vor mir auf den Tisch gelegt, hätte ich es vielleicht nie gelesen. Ich war
gerade in der wunderbaren Ausstellung Welcome to Jerusalem im hiesigen
Jüdischen Museum gewesen und hatte ihr ausführlich davon erzählt. „Dann musst
Du dieses Buch lesen.“ (Die Ausstellung läuft übrigens noch bis Ende April
2019 und ist sehr empfehlenswert! Eine wahre Wissens- und Inspirationsquelle.)
Eine Geschichte von Liebe und Finsternis ist die autobiografische, mit unglaublicher Phantasie
erzählte Geschichte von Amos Oz und seiner Familie, sowie deren Freunden und Bekannten, Überlebende der Pogrome und
des Holocausts, die sich im Jerusalem der 30er und 40er Jahre einfinden.
Minutiös verfolgt er die Geschichten zurück, derjenigen die
überlebten, derjenigen, die nicht überlebten, wie der Bruder seines Vaters, der
mit seiner Familie, auch dem kleinen Sohn Daniel, in Wilna von den Nazis ermordet wurde, weil er sich entschied, zu bleiben. Weil er sich nicht vorstellen konnte, als Professor für deutsche Literatur, dass die Brutalität über den gesunden Menschenverstand triumphieren könnte. (Beim Schreiben muss ich manchmal schlucken, weil solche Sätze gar nicht mehr klingen, wie aus einer fernen Zeit, so wie sie es für mich so lange taten) oder das polnische Dorf der
Mutter, welches heute in der Ukraine liegt, das kurz nach ihrer Flucht beinahe vollkommen ausgelöscht wurde. 25000 Menschen wurden im Wald von den Nazis, unterstützt von Litauern und Ukrainern, erschossen.
"Und dort, im Sossenki-Wald, zwischen Zweigen und Vögeln und Pilzen und Waldbeeren, erschossen die Deutschen am Rand von Gruben, innerhalb von zwei Tagen, an die fünfundzwanzigtausend Menschen. (So viele wie Arad Einwohner hat. Und mehr Juden, als in hundert Jahren Krieg mit den Arabern umgekommen sind.)"
Es ist die Geschichte seiner Mutter, die an einem Januartag 1952 Selbstmord beging, Amos war damals 12 Jahre alt. Der Versuch,
diesen Selbstmord zu erklären.
Mittlerweile selbst ein alter Mann, kommen die Erinnerungen
und er webt sie zu einem Bild, welches zum einen seine Familie zeigt, zum
anderen die Geschichte Jerusalems und des israelischen Staates.
Wie dieser Staat aufgrund des Votums einer
UNO-Vollversammlung in Lake Success am 29. November 1947 entstand, wie schon am
nächsten Morgen ein Krieg ausbrach, in welchem fünf arabische Länder,
unterstützt von England, dieses neue Land angriffen.
Wie es ist, in einem Land zu leben, dessen Existenz ständig
bedroht wird, dessen Bewohner aber auch nirgendwo sonst ein wirklich
gesichertes Existenzrecht haben. (Die aktuellen Diskussionen zum Antisemitismus
in Berliner Schulen ließen mich erahnen, was es auch heute heißen könnte,
Jüdin zu sein. Antisemitismus ist kein historisches Phänomen, sondern etwas, welches jüdisches Leben immer bestimmt hat und noch bestimmt. Ein Ressentiment, das unter dem dünnen Eis der Zivilisation lauert, und jederzeit wieder hervorbrechen kann.)
Amos Oz selbst ist 1939 als Amos Klausner in Jerusalem
geboren. Er wuchs in einer rechtszionistischen Gelehrtenfamilie auf, in der
viel diskutiert wurde, vor allem über Politik. Vor allem von den Männern. Die
Familie des Vaters stammte ursprünglich aus Odessa, war vor Pogromen nach Wilna geflüchtet
und 1933 nach Jerusalem eingewandert.
Zwei Jahre nach dem Tod seiner Mutter zog Amos Oz in den Kibbuz Hulda, wo er über dreißig Jahre seines Lebens verbrachte. Von 1960 bis 1963
ging er an die hebräische Universität Jerusalem und studierte Philosophie und
Literatur, kehrte danach als Schriftsteller zurück in den Kibbuz. Heute lebt
er in Arad, in der Negev Wüste und hat ein Apartment in Tel Aviv.
Während er die Geschichte von Liebe und Finsternis erzählt, die
seine Familiengeschichte ist und auch die Geschichte Israels, die Geschichte
der Juden, die Geschichte seiner Mutter, erzählt er dem Leser nebenbei von seinem
Leben als Schriftsteller an diesem Ort in der Wüste. Ich mochte diese Stellen sehr. Denn sie verankern die in der Vergangenheit spielende Geschichte im Hier und Jetzt und darüber hinaus bin ich, auch wenn es profan sein mag, immer gespannt auf den Alltag von Schriftstellern, auf das Darstellen des Schreibprozesses.
Eine Geschichte von Liebe und Finsternis ist eines dieser
Bücher, wenn
man einmal anfängt, es zu lesen, kann man nicht mehr damit aufhören. Ein
wunderbares Buch, geschrieben von einem Meister. Ich empfehle es sehr.
Übrigens ist das Buch 2015 unter der Regie von Natalie Portman, die auch die Rolle der Mutter spielt, verfilmt worden. Hier ist der Trailer. Ich habe keine Ahnung, wie dieser Film ist. Aber möglicherweise schaue ich ihn mir einfach an.
Beim Stöbern fiel mir dann noch dieses Interview in die Hände, welches aus Anlass der Veröffentlichung von Oz' Buch Judas 2015 ausgestrahlt wurde und noch bis 2020 online sein wird.
(c) Susanne Becker
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