Auf einer Party in London lernt die Amerikanerin Margaret
John kennen. Er mixt einen Gin Tonic für sie. Sie beginnen zu reden.
Das Buch „Stellt Euch vor, ich bin fort“ erzählt von all den Dingen, die nach dieser Begegnung geschehen sind: eine Liebesgeschichte, eine Ehe, gemeinsame Kinder.
Aber davor gibt es einen Zusammenbruch. Eines Tages ist John nämlich verschwunden. Margaret findet ihn in einem psychiatrischen Krankenhaus wieder,
wo der Arzt ihr mitteilt, dass John manisch-depressiv ist und ein solcher Zustand bei ihm immer wieder auftauchen
kann. „Lieben Sie ihn?“
Margaret bejaht die Frage und stürzt sich in das Abenteuer
einer Ehe mit ihm, der sie bei aller Schwere immer wieder zu überraschen versteht.
Sie bekommen drei Kinder: Michael, der älteste, ist schon
als Baby angespannt. Sein kleiner Körper scheint so unter Druck zu stehen, dass
es Margaret oft nicht gelingt, ihn zu entspannen.
Celia ist die vernünftige, Verantwortung früh übernehmende
einzige Tochter und Alec das Nesthäckchen, von den Großen, vor allem Michael,
um dessen Anerkennung er buhlt, gehänselt.
Die Familie lebt in den USA, siedelt dann aber zurück nach
England, wo es John allerdings nicht gelingt, einen zuverlässigen Job zu
finden. So ziehen sie erneut zurück nach Amerika. Aber auch dort bleibt seine
Arbeitssuche glücklos. Die Familie taumelt einer Katastrophe entgegen.
Nach Johns Tod gelingt es auch den erwachsenen Kindern nur
sehr schwer, sich ein eigenes, ein glückliches Leben aufzubauen. Michael
scheint die psychischen Probleme seines Vaters „geerbt“ zu haben und wird bald
schon von dem gleichen Therapeuten mit verschiedenen Psychopharmakamischungen „behandelt“. Er versucht, ein Studium abzuschließen, verliebt sich besessen in Frauen, die ihn letztlich nicht wollen und gerät immer tiefer in die Spirale von Abhängigkeit. Celia wird Psychologin, Alec Journalist. Beide stehen in ständigem Kontakt mit Michael, dessen Leben eine einzige Krise ist. Es scheint, als könnten die Geschwister niemals frei sein, solange Michael nicht gerettet ist.
Ich habe in diesem Buch von Adam Haslett sehr viel über die
USA heute gelernt. Es ist ein Land, in dem 80 Millionen Menschen regelmäßig
Psychopharmaka nehmen, darunter mehr als eine Million Kinder zwischen 0 & 5
Jahren.
Nie zuvor gab es eine USA, die so stark unter Drogen stand.
Wenn man das weiß, dann ahnt man, das die Geschichte, die
Haslett erzählt, nicht einfach ein trauriger Einzelfall ist, sondern eine
Geschichte, die so oder ähnlich zum amerikanischen Alltag gehört.
Menschen, die sich vom Leben überfordert fühlen, mit ihren Ängsten und Problemen nicht zurecht kommen, freigebig verschreibende Psychiater, eine geldgierige
Pharmaindustrie, die sich an den Süchtigen dumm und dämlich verdient, für jemanden, der wirklich leidet, der krank ist, ist dies eine ausweglose Situation. Das ganze Buch hindurch hatte ich den Eindruck, dass Menschen mit Ängsten oder Depressionen in den USA wirklich verloren gehen.
Ein Viertel des Landes steht unter legalen Drogen, da sind
noch nicht die Alkoholiker, die Junkies, die Kiffer, die Spiel- und
Kaufsüchtigen mit eingerechnet.
Das Buch zeigt, was es bedeutet, in den USA psychisch krank
zu sein. Man ist dem System hilflos ausgeliefert. Vor allem, wenn man nicht reich ist. Niemand treibt
die Schulden der Menschen so gnadenlos ein, wie die Krankenhäuser und
medizinischen Einrichtungen.
Die Familiengeschichte wird einfühlsam und schmerzhaft
erzählt. Man kann sich ihrer Logik, ihrem Sog nicht entziehen. Dabei gibt es fünf
Erzähler: Margaret, John, Michael, Celia und Alec. Der Aufbau ist chronologisch. Jeder hat eine eigene Stimme, auch eine eigene Sicht auf die Dinge. Das macht das Buch noch vielschichtiger. Der Leser erkennt sehr schnell, dass eine Wahrheit immer nur
Gültigkeit hat für den, der sie für wahr hält und jede Situation hat so viele
Perspektiven und Dimensionen, wie sie Protagonisten hat. Wer eine Familie hat,
weiß, dass die Geschichte dieser Familie von jedem Mitglied anders erzählt
wird. Er weiß vielleicht auch, dass die Geschichte jedes einzelnen Mitglieds
von dem dysfunktionalsten Familienmitglied am meisten bestimmt wird. Alle
anderen passen sich ihm oder ihr an. Auf starke Weise zeigt die Geschichte, wie unmöglich es ist, dieser Logik zu entkommen.
Wir werden durch die Schmerzen und die Liebe dieser Familie
geführt, wie durch ein Labyrinth. Da ist so viel Mutterliebe, so viel Geschwisterliebe. Am Ende winkt ein kleines Licht.
Wenn man bedenkt, dass alles damit anfing, dass Margaret und John gemeinsam einen Gin Tonic tranken. Wenn man bedenkt, wie viele Geschichten so oder ähnlich beginnen und welche Kraft sich entrollen kann, wenn zwei Menschen aufeinander treffen. Wie viele Geschichten durch eine einzige Begegnung zum Leben erweckt werden. Dann ist das schon auch ein Wunder.
Keine leichte Lektüre, aber ich würde das Buch unbedingt empfehlen. Ich fand es wunderbar!
(c) Susanne Becker
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