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Corona Tagebuch (51)

Heute fand ich in meinen Mails einen Gruß von den Azoren, nur diese Zeilen, aber sie begleiten mich jetzt schon den ganzen Tag.

"Setz Dich Meer,
Denn wir müssen über unser
Leben sprechen
Unter dem Licht der Phantasie"

Rafael Alberti

Durch diesen Gruß lernte ich den Schriftsteller Rafael Alberti kennen, einen in Andalusien geborenen spanischen Dichter, der einen großen Teil seines Lebens wegen Franco im Exil verbringen musste. Erst nach Francos Tod kehrte er nach Spanien zurück. 
Er starb 1999 und seine Asche wurde über der Bucht von Cadiz verstreut.
Diese eine kleine Mail von den Azoren hat in mir eine ganze Box der Sehnsucht geöffnet, die im Grunde nie wirklich verschlossen ist. Die Sehnsucht, zu reisen, am Meer zu sein, die Azoren kennen zu lernen, aber vor allem: zurück nach Andalusien zu kehren, wo ich mich zuhause fühle wie nirgends sonst und dort dann auch Cadiz zu besuchen, eine Stadt, von der ein Freund mir im letzten Jahr prophezeite, dass ich sie lieben würde. Mein größter Wunsch? In Andalusien am Meer stehen u d zu ihm sagen: Setz Dich Meer, denn wir müssen über unser Leben sprechen unter dem Licht der Phantasie. 
Das Meer, in Andalusien


Meine Freundin aus Österreich schrieb heute: Was ich mir wirklich wünsche ist, genau zu wissen, wann wir uns wiedersehen.
Ich schrieb zurück, wie sehr ich die Nachrichten verfolge, vor allem jene, die die Grenzöffnung zwischen Österreich und Deutschland betreffen, und dass ich voller Hoffnung sei, in diesem Sommer hinunter kommen zu können. Während ich die Mail schrieb, erinnerten mich meine eigenen in den Laptop getippten Worte plötzlich an die Vergangenheit. An eine Vergangenheit, die ich nur aus Geschichtsbüchern kenne. Als Menschen nicht wussten, wann sie wieder irgendwo hin können, wann die Grenzen sich öffnen, wann sie ihre Freunde und Familie wiedersehen. Für meinen Moment schien mir mein Sein in diesem sonderbaren Moment wie ein Traum, als wäre mein Sitzen auf der Couch, mein Tippen in den Laptop, nicht mehr als ein Produkt meiner Phantasie. Und wer weiß, vielleicht ist es das ja. 

Die jüngste Tochter und ich haben gestern wieder einen Film geschaut, und er war ein weiteres Highlight, das ich schon einmal mit meinen Großeltern gesehen hatte, damals zuhause, in deren Wohnzimmer, wo am Sonntagnachmittag immer die alten Schinken liefen und mein Opa dabei einschlief und meine Oma verschämt nuschelte, wenn ein Paar sich küsste. Sie sagte dann etwas wie: "Muss das denn sein?" woraufhin mein Opa aufschreckte aus seinem Nickerchen und fragte: "Was ist?" und sich eine Zigarette anzündete. Ich vermisse die beiden sehr, obwohl ich damals alles nur peinlich fand, mit ihnen einen Liebesfilm zu schauen, wo meine Gefühle aufgewühlt wurden und sich in Fantasien über meine glorreiche Zukunft verloren, und dann die beiden, die wirklich KEIN VERSTÄNDNIS für die Tragweite meiner Emotionen oder meiner Verehrung für Leute wie Cary Grant, James Stewart und Kathrine Hepburn hatten.

Naja, dies war der Film, sorry, bin abgeschweift.  Die Nacht vor der Hochzeit 




Gestern auch fand ich dieses Gedicht und ich musste beim Lesen sehr an meine Oma denken. Manchmal, wenn ich die Nachrichten lese oder schaue, stelle ich mir ihre Kommentare dazu vor und dann gehts eigentlich wieder. Denn es erinnert mich daran, dass damals auch ständig in ihren Augen alles komplett hoffnungslos war, die Welt, speziell Deutschland, dem Untergang geweiht, die meisten Menschen vollkommen dämlich waren, Hornochsen, um genau zu sein, niemand, aber wirklich niemand eine Ahnung hatte und sie und mein Opa mussten sich dieses Elend jeden Tag anschauen und irgendwie damit klar kommen, dass sie als einzig vernünftige Wesen in diesem Irrenhaus gelandet waren. I feel you, Oma und Opa 💙💚💛💜

My grandmother once gave me a tip:
In difficult times, you move forward in small steps.
Do what you have to do, but little by little.
Don't think about the future, or what may happen tomorrow.
Wash the dishes.
Remove the dust.
Write a letter.
Make a soup.
You see?
You are advancing step by step.
Take a step and stop.
Rest a little.
Praise yourself.
Take another step.
Then another.
You won't notice, but your steps will grow more and more.
And the time will come when you can think about the future without crying.

Elena Mikhalkova

Und dann habe ich noch etwas für Sie bei Twitter geklaut, weil es einfach zu gut ist:

Lockerungsdiskussion 1350: "Die Pest ist auch nicht schlimmer als Fleckfieber" "Warum dürfen Steinmetze öffnen, Hufschmiede aber nicht?" "Hexenverbrennungen können ja ohne Zuschauer stattfinden" "Trinkstuben sind systemrelevant" "Viele Erkrankte über 30 wären eh bald gestorben"

von @nacktmagazin


Und hier noch ein link zu einem Text der Autorin Susanna Crossman, die ich ebenfalls auf Twitter "kenne" und deren Texte und Fotos mich immer wieder begeistern und inspirieren. Hier ein Link zu ihrer Seite. Sie fühlt sich an wie so eine virtulle Soulmate für mich. Der Text handelt von der Bedeutung von Berührungen und was ihr Fehlen seit der Coronakrise für uns bedeutet. Für uns Menschen, die einen Großteil ihrer Erinnerung über die Berührungen des jeweiligen Moments speichern. Erinnerung ist immer physisch, habe ich mal in einem Text geschrieben. Was bedeutet die Abwesenheit von Berührungen dafür, wer wir werden und was wir aus dieser Zeit erinnern?

Aber jetzt muss ich leider auf den Balkon, weil da draußen einige Vögel so toll singen und ich will das Konzert nicht verpassen.
Auf Wiedersehen bis morgen.

May the force be with you 💪 und ich irgendwie immer noch so #haltetabstand #wirbleibenzuhause et cetera

(c) Susanne Becker

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