Es gab Momente, da verstand ich nichts und wollte das Buch einfach
beiseite legen.
Das Buch! Das Glasperlenspiel von Hermann Hesse, sein letzter und umfangreichster Roman, sein Alterswerk, erschienen 1943, in zwei Bänden (ja, das Buch ist sehr dick!). Es lag in meinem Stapel ungelesener Bücher, seitdem ich circa 20 war. Ich habe noch die alte, dunkelgrüne Suhrkamp Ausgabe. Gekauft in einer Buchhandlung am Opladener Markt, die es schon lange nicht mehr gibt. Begonnen habe ich das Buch gefühlt zehnmal, und immer wieder beiseite gelegt, weil ich einfach nichts verstand. Einmal bin ich bis Seite 100 gekommen, weiter nie. Ich beschloss dann, dass man vermutlich doch alt sein müsste, um es zu verstehen, Alterswerk eben! Jetzt bin ich einigermaßen alt und ich kann den Erfolg vermelden: Diesmal hab ichs geschafft. Ich bin durch!
Das Buch! Das Glasperlenspiel von Hermann Hesse, sein letzter und umfangreichster Roman, sein Alterswerk, erschienen 1943, in zwei Bänden (ja, das Buch ist sehr dick!). Es lag in meinem Stapel ungelesener Bücher, seitdem ich circa 20 war. Ich habe noch die alte, dunkelgrüne Suhrkamp Ausgabe. Gekauft in einer Buchhandlung am Opladener Markt, die es schon lange nicht mehr gibt. Begonnen habe ich das Buch gefühlt zehnmal, und immer wieder beiseite gelegt, weil ich einfach nichts verstand. Einmal bin ich bis Seite 100 gekommen, weiter nie. Ich beschloss dann, dass man vermutlich doch alt sein müsste, um es zu verstehen, Alterswerk eben! Jetzt bin ich einigermaßen alt und ich kann den Erfolg vermelden: Diesmal hab ichs geschafft. Ich bin durch!
„Versenkung und Weisheit waren gute, waren edle Dinge, aber
es schien, sie gediehen nur abseits, am Rande des Lebens, und wer im Strom des
Lebens schwamm und mit seinen Wellen kämpfte, dessen Taten und Leiden hatten
nichts mit der Weisheit zu tun, sie ergaben sich, waren Verhängnis, mussten
getan und erlitten sein.“
Ist es möglich, ein Leben, das der Meditation und dem Wissen
gewidmet ist, in einem normalen, menschlichen Alltag zu leben, oder muss man
dazu nach Kastalien oder in den Wald gehen? Wenn ich die Weisheit entdeckt
habe, die letztlich darin bestehen muss, dass all das, was im Alltag eine Rolle
spielt, nicht mehr ist als eine Illusion, werde ich dann noch schreiben wollen?
Worüber sollte ich dann schreiben? Vielleicht war alles, um das man sich im
Leben sorgte und mit dem man sich verstrickte, nicht mehr, als eine Illusion,
ein Traum. Wir träumen unser Leben und nehmen es ernst. Aber in Wahrheit ist es
nur das Instrument, die Weisheit zu erlangen, die darin besteht zu erkennen, dass dieses Leben nur ein Traum ist. Wir können uns für immer in den Wald
setzen oder an dem Ort, an den das Leben uns gestellt hat, das tun, was
ansteht, ohne noch damit zu hadern.
Das Buch beginnt bei Josef Knecht, einem Jungen, der nach
Kastalien berufen wird, einem Hort der Wissens- und Weisheitspflege, an den nur
die besten (männlichen) Schüler geladen werden, um Kastalier zu werden. Einmal ein Kastalier, bleibt
man dort für immer. Man kehrt nicht in das normale Leben zurück. In Kastalien
studiert man die einzelnen Wissenschaften, ein Schwerpunkt liegt bei der Musikwissenschaft. Ein weiterer Schwerpunkt ist das
Glasperlenspiel, welches auf höchster Ebene die verschiedenen Wissenschaften
und ihre Erkenntnisse miteinander unter immer neuen Überschriften verbindet und verknüpft, somit das Wissen auf immer höhere Ebenen treibt. Einmal im Jahr findet das
große Glasperlenspiel statt, zu dem aus allen Gegenden des Reiches die Gäste und Zuschauer angereist kommen. Das Spiel wird angeleitet vom Magister Ludi, dem Glasperlenspielmeister, einem der höchsten
Würdenträger Kastaliens. Josef Knecht wird als noch verhältnismäßig junger Mann,
er muss so um die 40/50 Jahre gewesen sein, zu diesem Magister Ludi ernannt und
erfüllt sein Amt vorbildlich, so wie er auch in jeder anderen Hinsicht ein
vorbildlicher Kastalier ist, der das Zeug dazu hat, ein ganz großer Kastalier zu
werden. Allerdings treiben ihn Zweifel um und die Sehnsucht nach dem Leben
außerhalb Kastaliens, dessen elfenbeinturmartige Begrenzung er sieht. Er möchte am wirklichen Leben außerhalb Kastaliens teilhaben. Geschult durch Kastalien glaubt er nun, dem Leben draußen etwas zurück geben zu können, zu müssen. Er möchte seine Weisheit und seine Begabung nicht im Elfenbeinturm belassen. So tut er, was noch kein Magister vor ihm
getan hat: er verlässt Kastalien, um als Hauslehrer in der Welt zu leben.
Am Ende der Lebensbeschreibung dieses außergewöhnlichen Josef Knecht finden sich dann noch
Texte von ihm, Gedichte, sowie drei Lebensläufe, die er einst,
als Junge, für die Schulleitung hat schreiben müssen. Sie stehen im Buch wie
beinahe eigene Geschichten, sind aber aufs engste mit den Gedanken und Ideen
Josef Knechts verwoben und geben weiteren Aufschluss über ihn.
Das Buch handelt von Menschen, die sich von der
Allgemeinheit abheben, weil sie das Verlangen und die Fähigkeit haben, tiefer
in das Leben und seine Bedeutung einzudringen, weil sie nach Wissen und
Erleuchtung streben. Josef Knecht, auch die in seinen Lebensläufen zentralen
Figuren: der Regenmacher, Josephus Famulus und Dasa, alle zeichnen sich aus
durch eine besondere Fähigkeit und den starken Wunsch, Wahrheiten zu erkennen,
den Sinn und die Bedeutung des Lebens zu durchdringen. Alle sind sie somit
Alter Egos von Josef Knecht. Diese Fähigkeit sondert sie ab von den, wenn man
sie so nennen mag, normalen Menschen. Sie werden von diesen auch durchaus als
Sonderlinge wahrgenommen, beziehungsweise nehmen an einem normalen Alltag mit
Arbeit, Brot verdienen oder ähnlichem so gut wie nicht teil. Wenn sie daran
teilnehmen, wie Dasa, oder auch Josef Knecht, nachdem er Kastalien verlassen
hat, führt dies nicht zu Erfüllung oder Frieden – im Gegenteil. Die Verknüpfung der beiden Regionen: Geistiges und Materielles, scheint zum Scheitern verurteilt.
„Man musste lernen, den Menschen als ein schwaches,
selbstsüchtiges und feiges Wesen zu sehen, man musste einsehen, wie sehr man
selbst an allen diesen üblen Eigenschaften und Trieben teilhabe, und durfte
dennoch daran glauben und seine Seele davon nähren, dass der Mensch auch Geist
und Liebe sei, dass etwas in ihm wohne, das den Trieben entgegensteht und ihre
Veredlung ersehnt.“
Ich habe das Buch an vielen Stellen genossen, weil es sich
mit Themen beschäftigt, die mich selbst ins Nachdenken bringen, die für mich auch durchaus Lebensthemen sind.
Fragen wie: Ist die Wahrheit tatsächlich in Worten
vermittelbar? Kann man im Alltag funktionieren, wenn man im Grunde den Wunsch
hat, sich intellektuell und/oder spirituell in höchste Höhen zu begeben?
Es gab Momente, da wollte ich das Buch dennoch wieder beiseite
legen, diesmal endgültig, weil ich nichts verstand. Aber auf den letzten Seiten, am Ende der Geschichte Dasas, fiel alles für mich an seinen Platz und ich hatte das Gefühl, sehr viel gelernt zu
haben. Dies ist ein Buch wie eine lange Meditation. Ein Buch im Grunde wie das ganze Leben, und das Erwachen aus diesem Traum.
Hesse postuliert eine strikte Trennung zwischen den beiden
Welten des Geistigen und des Materiellen. Ich sehe diese Trennung grundeigentlich
nicht so scharf. Für mich sind beide eins. Es gibt kein Leben, das der
geistigen Welt unwert wäre. Wenn ich an die Lehren von berühmten Zen-Meistern
des letzten Jahrhunderts denke, (Charlotte-Joko Beck, Suzuki Roshi z.B.) dann
kommt da immer wieder die Aufforderung, Erleuchtung beim Abwaschen des
schmutzigen Geschirrs oder beim Windeln wechseln der Kinder anzustreben. Zen imAlltag ist ein bekanntes Buch von Beck.
Ich glaube, dass die Trennung auch eine sehr männliche
Sicht ist, vielleicht auch eher war. In einer Zeit, als in der Regel Männer
sich dazu entschließen konnten, allem weltlichen den Rücken zu kehren und sich
ganz Bereichen wie Philosophie, Spiritualität oder Kunst zu widmen, kümmerten
sich die Frauen dennoch um die Kinder und den Haushalt. Den Frauen stand der
Weg nach Kastalien auch in Hesses Buch so wenig offen, dass sich darin noch
nicht einmal jemand darüber wundert, dass das ganze Kastalien nur aus Männern besteht. Die Frauen von Hesse haben die Männer eher
behindert oder aus der Fassung gebracht. Im besten Fall haben sie den Männern
Söhne geboren, niemals eine Tochter. Eine gute Mutter konnten sie den Söhnen selten sein, dazu bedurfte es dann wieder eines Meisters, per se eines Mannes.
Das Glasperlenspiel ist ein Männerbuch, es ist frauenlos. Ich dachte dies sehr
oft bei der Lektüre. Es ist ein vollkommen aus Männerperspektive geschriebenes
Buch, in dem Frauen praktisch gar nicht vorkommen. Dies hat mich, so wunderbar
ich das Buch auch fand, doch immer wieder irritiert. Es ist ein Buch der
Männerbündelei, in welchem Frauen nur die verschiedenen Rollen der Störerin von
geistiger Ruhe übernehmen, also auf der niedrigen Seite des Materiellen stehen, während Männer mehr oder weniger überzeugend das Geistige verkörpern.
Das Glasperlenspiel ist auch das Buch eines zutiefst an
östlicher Spiritualität und Buddhismus interessiertem westlichen Autors, der die
Zeit nicht mehr erleben durfte, in der der Buddhismus den Westen regelrecht
eroberte, vor allen Dingen Nordamerika, und dort eine Integration in den Alltag
erfuhr, beziehungsweise es müsste eher umgekehrt heißen: der Alltag wurde in
die Zen Lehre integriert. Denn die meisten westlichen Buddhismus-Schüler
konnten es sich nicht leisten, oder wollten es nicht, ihren Alltag für ein Klosterleben zu
verlassen. So handelten die Dharmavorträge plötzlich von Liebeskummer,
Kinderkrankheiten oder stressigen Situationen im Job, von Haustieren, Angst vor
Arbeitslosigkeit, von allem, dem ganzen normalen Leben. Irgendwie denke ich,
das hätte ihm gefallen. Er hätte erfahren, dass die Trennung, die er solange
fühlte, mit der er kämpfte und an der er litt, gar nicht notwendig ist. Die
Trennung ist im Grunde Teil des Dualismus, der im Buddhismus keinen Bestand
mehr hat und also überwunden werden muss.
„Wie Ihr Leben auch aussehen mag, ich möchte Sie ermutigen,
es zur Übung werden zu lassen.“ Charlotte Joko Beck
Denn: wer im Strom des Lebens schwimmt, der kann in diesem
Strom zur Weisheit vordringen.
Seine Taten und Leiden sind nicht Verhängnis, sondern das
Instrumentarium, an dessen Hand man das Leben verstehen lernt, an dessen Hand
man mit großer Ausdauer lernt, seine Perspektive so zu öffnen, dass man die
Weisheit erblickt.
„Der inneren Öffnung, die einem Menschen möglich ist, sind
keine Grenzen gesetzt.“ Charlotte Joko Beck
Das Buch ist ein großes Buch, eines jener Bücher, die man,
wenn man ist wie ich, gelesen haben sollte in seinem Leben. Leicht liest es
sich nicht. Es ist ein Buch, das Konzentration und auch ein wenig Mühen
abverlangt. Aber das ist gut. Ich mag solche Bücher! Am Ende fühlt man sich
immer reich beschenkt und hat noch Wochen danach Stoff zum Nachdenken. Es ist ein Buch, das nach all den Jahren immer noch dazu beiträgt, den Menschen von innen zu öffnen.
(c) Susanne Becker
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