Ich bin naiv und unvorbereitet zur Leipziger Buchmesse
gefahren. Im Grunde wusste ich nur, dass ich mich mal ein paar Stunden im Land
der Bücher treiben lassen wollte. Dabei hatte ich nicht eingeplant, dass
zeitgleich zur Buchmesse der Manga Convention stattfand und dass man ständig in
den langen Haaren, Schwertern und Flügeln von irgendwelchen Impersonatern
verloren gehen könnte. Abgesehen davon, dass man zwischen gefühlt 2 Millionen
Menschen seine Tasche, die irgendwann 100 Kilogramm zu wiegen schien, durch die
Hallen und Gänge schleppen würde. Dabei hatte ich nicht ein Buch gekauft oder
sonstiges Material ergattert. Aber, immerhin!, genug Wasser dabei.
Bevor ich nach Leipzig fuhr, stellte ich mir meinen Einsatz
dort folgendermaßen vor: Ich würde die Stände aller mich interessierenden Verlage kurz abklappern, mir ansonsten einfach mal Leipzig anschauen. Der Zoo soll sehr toll sein und auch der Auenwald. Weil: Bücher habe ich
ja auch in Berlin genug und im Grunde benötige ich momentan nichts weniger als
Ideen, welche weiteren Bücher ich noch lesen sollte. Mein SuB ist
unübersichtlich genug. Mitten in der Stadt ein Wald. Welche andere Stadt hat das schon?
Im Zug las ich. Juli Zehs „Die Stille ist ein Geräusch“, in dem sie über ihre Reise nach Bosnien nicht lange nach dem Ende des Jugoslawienkriegs erzählt. Ich
las darin, stehend, denn natürlich war der Zug nach Leipzig voll bis unters
Dach und selbstverständlich hatte ich keinen Platz reserviert, folgenden
Abschnitt: „Ich habe Angst und ich weiß
nicht, wovor. Wenn die Scheißmenschheit sich selbst den Krieg erklärt, gibt
es nichts, was zu sagen oder zu denken übrig bliebe. Hör auf zu suchen. Fahr
nach Hause. Sie haben im Kleinen vorgeführt, was auch im Großen jederzeit
möglich ist. Das will niemand wissen, und auch ich darf es nicht wissen wollen.
Wie sollte ich mich sonst zwischen Menschen bewegen, die hier wie überall ihre
Grausamkeit nicht ahnen lassen, so dass ein Ausbruch von Gewalt nicht nur bis
zur Sekunde, in der er geschieht, sondern auch eine Sekunde nach seinem
Erscheinen wieder völlig ausgeschlossen erscheint?“
Als ich die Stelle las, ahnte ich es nicht, aber es wurde
ein bisschen das Motto meines Messeaufenthalts, wie ein roter Faden, an dem es mich von einer Lesung zur
nächsten treiben ließ und mich immer wieder mit diesem Thema konfrontiert fand: Gewalt,
Krieg, wie die Menschen miteinander umgehen, und dass diese Gefahr, diese Grausamkeit, so viel näher an die Oberfläche auch meines Lebens gerückt ist. Viel näher, als ich es je gedacht hätte.
Meine erste Entdeckung diesbezüglich war der Autor AbbasKhider, der 1973 in Bagdad geboren wurde. Er las am Stand von arte aus seinem Buch „Ohrfeige“ und erzählte von
den Erfahrungen der Flüchtlinge in unserem Land, die in der absurden
Auseinandersetzung mit der Bürokratie oft genug ihre Seele bis zur
Unkenntlichkeit verdrehen müssen. Selbst ein Flüchtling aus dem Irak, der nach
so wenigen Jahren ein perfektes Deutsch spricht (er ist 2000 nach
Deutschland gekommen), brachte er sehr direkt eine Welt an diesen Messestand, die
man normalerweise nur aus zweiter oder dritter Hand kennt, bereits zur Unkenntlichkeit
verbogen durch die Deutungen und Interpretationen, wohl- oder übelmeinend, das
Schicksal von Flüchtlingen gefiltert durch die Wahrnehmungslinse der eigenen Lebenssituation.
„Jedes Asylantenheim ist ein regelrechter Schreibworkshop“,
denn man begegnet Geschichten, die glaubt einem kein Mensch. Alle sind
Geschichtenerzähler, weil sie ihre Realität den bürokratischen Regeln der
deutschen Gesellschaft irgendwie anpassen müssen, um sich eine Chance aufs (Über)Leben
zu erkämpfen.
Es klang witzig, aber es ist natürlich alles andere als das.
Auf dem Weg durch die Hallen sieht man immer wieder Solidaritätsbekundungen für Deniz Yücel, der mittlerweile seit 39 Tagen in der Türkei inhaftiert ist. #freeDeniz Banner und Plakate an vielen Ständen. Auch auf einer Treppen im Glashaus die Worte #freethewords. Es kann einem so vorkommen, als wäre die Worte, die Freiheit, die im Dichten liegt, die Freiheit des Wortes, noch nie so bedroht gewesen wie in den letzten Monaten, und dass diese Bedrohung zunimmt, nicht nur in entlegenen Ecken der Welt, wo es einem dann schon grad egal ist, sondern ganz nah. Kurz durchflutet mich eine Dankbarkeit dafür, dass ich in einem Land lebe, in dem eine solche Buchmesse möglich ist. Eine Buchmesse, auf der es von weltoffenen, empathischen, klugen Menschen nur so wimmelt. Es gibt so viele Länder auf dieser Welt, wo eine solche Messe sofort gestürmt werden würde von uniformierten Soldatenpolizisten, alle Teilnehmenden als Staatsfeinde festgesetzt oder denunziert würden. Deniz Yücel befindet sich übrigens in Einzelhaft, Folter also im Grunde. Und gestern nahmen auf brutalste Manier Polizisten mehrere Hundert Demonstranten in Minsk fest, weil sie für Europa demonstrieren wollten. Heute nahmen russische Polizisten Hunderte Demonstranten in verschiedenen Städten fest, weil sie gegen Korruption auf die Straße gingen und Donald Trump will dem öffentlichen Rundfunk das Geld abdrehen, um noch mehr Urlaub machen zu können und, selbstverständlich, zur Erhöhung des Verteidigungsetats.
Auf dem Weg durch die Hallen sieht man immer wieder Solidaritätsbekundungen für Deniz Yücel, der mittlerweile seit 39 Tagen in der Türkei inhaftiert ist. #freeDeniz Banner und Plakate an vielen Ständen. Auch auf einer Treppen im Glashaus die Worte #freethewords. Es kann einem so vorkommen, als wäre die Worte, die Freiheit, die im Dichten liegt, die Freiheit des Wortes, noch nie so bedroht gewesen wie in den letzten Monaten, und dass diese Bedrohung zunimmt, nicht nur in entlegenen Ecken der Welt, wo es einem dann schon grad egal ist, sondern ganz nah. Kurz durchflutet mich eine Dankbarkeit dafür, dass ich in einem Land lebe, in dem eine solche Buchmesse möglich ist. Eine Buchmesse, auf der es von weltoffenen, empathischen, klugen Menschen nur so wimmelt. Es gibt so viele Länder auf dieser Welt, wo eine solche Messe sofort gestürmt werden würde von uniformierten Soldatenpolizisten, alle Teilnehmenden als Staatsfeinde festgesetzt oder denunziert würden. Deniz Yücel befindet sich übrigens in Einzelhaft, Folter also im Grunde. Und gestern nahmen auf brutalste Manier Polizisten mehrere Hundert Demonstranten in Minsk fest, weil sie für Europa demonstrieren wollten. Heute nahmen russische Polizisten Hunderte Demonstranten in verschiedenen Städten fest, weil sie gegen Korruption auf die Straße gingen und Donald Trump will dem öffentlichen Rundfunk das Geld abdrehen, um noch mehr Urlaub machen zu können und, selbstverständlich, zur Erhöhung des Verteidigungsetats.
Was können Schriftsteller in einer Welt ausrichten, die von
Krieg, Populismus und Demokratiefeindlichkeit immer stärker geprägt zu werden scheint? Als
nächstes fand ich mich in Halle 4 wieder, beim Café Europa, eine Diskussion zum
Thema Rechtspopulismus in Österreich und Deutschland, mit den Schriftstellern
Eva Menasse ( die auch ihr neues Buch Tiere für Fortgeschrittene auf der Messe vorstellte), Robert Misik und Ingo Schulze. Der Grundton blieb hoffnungsvoll:
dass die jungen Leute, vor allem auch durch Beispiele wie Trumps in den USA, derart abgeschreckt und politisiert werden und ein Abdriften nach Rechts, in
faschistoide, autoritäre Strukturen verhindern werden hier bei uns. Aber auch das
Bewusstsein, wie viel Wählerpotenzial hinter den Rechtspopulisten steht, wenn
man bedenkt, dass sie in Österreich 46% geholt haben. Die Hälfte der
Bevölkerung in vielen Ländern findet es mittlerweile wählbar, rassistisch zu
sein.
Als die Diskussion vorüber war, eröffnete sich vor meinen Augen ein Sitzplatz, über den ich mich sehr freute. Wer schon einmal auf der
Buchmesse war, versteht, was ich meine.
Ich blieb also sitzen, ohne zu wissen was als nächstes im
Café Europa kommen würde.
Es war die Vorstellung des Buches „Glückliche Wirkungen“ vom
Propyläen Verlag, einer Anthologie von 57 Autoren aus OSZE-Staaten, die sich in ihren Texten, inspiriert durch das Goethe-Zitat, glücklichen Zuständen annähern sollten. Während ich dort saß, kam mir der Gedanke, dass dieser Messetag im Grunde das für mich ist, was auch die Bücher, die Autoren, das eigene Schreiben immer mehr für mich werden: Lehrerin in Empathie, ein Ort, an dem man Weltdeutungen begegnet, die man selbst im Alltag niemals leisten könnte. Bücher erzeugen bei mir glückliche Wirkungen, indem sie mich öffnen. „Nicht die
Bestätigung dessen, was ich selber denke, sondern eher das Gegenteil“, so
drückte es Dr. Michael Krüger, einer der Herausgeber des Buches, aus. Es geht darum, den Horizont zu öffnen, öffne deinen Geist, damit dein Denken die Richtung ändern kann (ich glaube, so ähnlich hat das mal Frank Zappa gesagt). Darum geht es bei guter Literatur. Darum geht es umgekehrt bei all den unwohlen Gefühlen, die einen befallen angesichts der politischen Situation und ihrer Protagonisten. Diese Protagonisten und ihre Anhänger zeichnen sich aus durch ein verschlossenes Herz und einen engstirnigen Verstand, sie sind kleingeistig, kleinmütig, von Angst besessen, humorlos, trennen zwischen uns und denen und bauen gezielt Feindschaftsszenarien auf, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Ihre Welt ist eine, in der zu leben mich ersticken würde.
„Gerechtigkeit unter den Völkern, diese fantastische Idee,
ist eine Illusion.“ Auch das sagte Michael Krüger, und machte es fest am Beispiel der
Literaturübersetzungen. Wer von uns kann fünf große Schriftsteller aus, sagen
wir Turkmenistan nennen, dessen Seite in dem Buch im Übrigen weiß blieb. Denn
kein Schriftsteller dort hatte den Mut, sich an einem solchen Projekt zu
beteiligen.
Jene, die sich für Literatur interessieren, so Krügers Appell, müssten immer wieder Übersetzungen einfordern, gerade auch aus Sprachen, gerade auch aus Ländern, wo es bislang wenige Übersetzungen gibt. Denn nur so lernen wir Lebenswelten kennen und verstehen, die uns absolut fremd sind. Nur so lernen wir, das Verhalten anderer zu verstehen, das uns, gemessen an unseren Maßstäben, als Affront vorkommen mag oder einfach nur sonderbar. Literatur ist reicher als alle anderen Diskursformen, auch offener. Politik, im Vergleich, repetiert vielmehr immer gleiche Positionen, ohne die Leichtigkeit der Poesie.
Jene, die sich für Literatur interessieren, so Krügers Appell, müssten immer wieder Übersetzungen einfordern, gerade auch aus Sprachen, gerade auch aus Ländern, wo es bislang wenige Übersetzungen gibt. Denn nur so lernen wir Lebenswelten kennen und verstehen, die uns absolut fremd sind. Nur so lernen wir, das Verhalten anderer zu verstehen, das uns, gemessen an unseren Maßstäben, als Affront vorkommen mag oder einfach nur sonderbar. Literatur ist reicher als alle anderen Diskursformen, auch offener. Politik, im Vergleich, repetiert vielmehr immer gleiche Positionen, ohne die Leichtigkeit der Poesie.
Anwesend aus dem Kreis der Teilnehmer an der Anthologie
waren die kroatische Schriftstellerin Ivana Sajko, die sich gerade in Berlin
aufhält im Rahmen eines Aufenthaltsstipendiums am LCB. Ihre Übersetzerin las
einen berührenden Text über Krieg und Gewalt, wie die Menschen miteinander
umgehen, wie man bei den täglichen Nachrichten von im Mittelmeer sterbenden, in
Aleppo getöteten Kinder überhaupt noch einer Depression entgehen kann. Denn sobald man sich auf diese Nachrichten und Bilder einlässt, fällt einen eine unsägliche Trauer an. Dann
schließt sie, dass auch hier wieder, wie schon im Jugoslawienkrieg, ihr
Kindergedanke, ihr naiver Kindergedanke das einzige ist, das sie vor einer
Depression bewahrt: „ Liebe, der Glaube an ihre Kraft und ihre Vernunft. Nur
die Liebe kann die Menschen retten.“
Auf dem Rückweg zur Garderobe, eigentlich schon so ein wenig
ausgetrocknet und stolpernd vor Erschöpfung, kam ich durch die Glashalle und
wer sitzt auf dem Blauen Sofa? Terézia Mora. Das war für mich ein besonderes
Geschenk. Denn ich verehre, und das weiß jeder, der meinen Blog kennt, diese
Schriftstellerin besonders. Sie hat den diesjährigen Preis der Literaturhäuser
gewonnen und las aus ihrem Buch Die Liebe unter Aliens.
Besonders lustig fand ich ihre Antwort auf die Frage des Leiters des Hamburger Literaturhauses, Rainer Moritz, ob Lesungen für sie eigentlich nur eine
unangenehme Verpflichtung seien, wie das ja bei vielen ihrer Kollegen der Fall
sei. Darauf sagte sie, dass sie immer sehr lange an ihren Büchern schreibt. In
diesen Jahren trifft sie selten Menschen, die es überhaupt interessiert, was sie
da macht. Sie trifft zum Beispiel andere Eltern auf dem Spielplatz oder in der
Schule ihres Kindes und die fragen dann: „Und was machst Du so?“ und dann sagt
sie, dass sie immer noch an diesem Buch schreibt und dann antworten diese Eltern: „Ja, ich
habe ja mit dem Lesen aufgehört.“ Ich hätte sie küssen können ob der offensichtlichen Verwirrung, die ihr diese Tatsache immer wieder neu bereitet, dass die Welt von Menschen nur so wimmelt, die nicht lesen.
Deshalb freue sie sich auf Lesungen. Denn dort treffe sie
jene Menschen, die nicht mit dem Lesen aufgehört haben.
Auf der Buchmesse bekommt man den Eindruck, dass sehr viele
Menschen nicht mit dem Lesen aufgehört haben. Das war ein irres Gefühl, in
dieser Welt herum zu laufen, die vollkommen aus Büchern besteht. An jeder Ecke
sieht man berühmte Menschen: am Frühstückstisch saß Lukas Bärfuss praktisch
neben mir, auf der Messe sah ich, unter anderem Jo Lendle, den Herausgeber Klaus Schöffling, den ich ebenfalls am Frühstücksbüffet meines Hotels sah (der Schöffling Verlag und der Guggolz Verlag waren in diesem Jahr im übrigen Preisträger des Kurt Wolff Preises für Verlage), Heiner
Geissler, Feridun Zeimoglu, Nora Bossong, Ronja von Rönne und und und.
Es war für mich wie für andere vielleicht, wenn sie
Fernsehstars sehen. Ich war total geflasht. Schon jetzt freue ich mich auf die Messe im nächsten Jahr, zu der ich sicher wieder fahren werde. Auch, wenn ich wirklich, also ganz bestimmt nicht, Tipps für interessante Bücher brauche. Auch wenn ich bis zum nächsten Jahr mit Sicherheit meinen Stapel neben dem Bett eher vergrößert als verkleinert haben werde.
Auf der Rückfahrt las ich wieder Juli Zeh. Diesmal fand ich diese Stelle: " But literature" fragt sie, "finds the truth? Or is it creating its own?"
"Gute Frage", sage ich. "Die Antwort darauf ist wie ein Haus mit zahlreichen Stockwerken, in denen viele gemischtethnische Familien aus Jas und Neins wohnen."
Mein Fazit: In diesem Haus möchte ich leben!
(c) Susanne Becker
Auf der Rückfahrt las ich wieder Juli Zeh. Diesmal fand ich diese Stelle: " But literature" fragt sie, "finds the truth? Or is it creating its own?"
"Gute Frage", sage ich. "Die Antwort darauf ist wie ein Haus mit zahlreichen Stockwerken, in denen viele gemischtethnische Familien aus Jas und Neins wohnen."
Mein Fazit: In diesem Haus möchte ich leben!
(c) Susanne Becker
Kommentare
Kommentar veröffentlichen