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#fbm17 & Hannah Arendt

Man hört in den letzten Tagen sehr viel über die Buchmesse in Frankfurt und was da bezüglich Nazis geschehen ist, oder nicht geschehen ist. Mittlerweile gibt es auch eine Petition, die unter anderen von Uwe Tellkamp unterschrieben wurde. In dieser geht es um die Meinungsfreiheit, und dass diese auf keinen Fall eingeschränkt werden darf. Aber damit hat es doch wohl nichts zu tun, oder? Widerstand gegen menschenverachtende Positionen gleichzusetzen mit Einschränkung der Meinungsfreiheit ist per se schon irgendwie eine Verdrehung der moralischen Grundsätze, die ich persönlich ein wenig abenteuerlich finde.

Ich lese gerade ein wunderbares Buch. Eichmann in Jerusalem von Hannah Arendt. Als ich heute beim Zahnarzt saß und auf meine Tochter wartete, las ich das Kapitel, das sich mit jenen Ländern befasst, die dem Naziregime nicht so willfährig zur Hand gegangen sind in Bezug auf die Vernichtung des jüdischen Volkes. Das waren Dänemark, Bulgarien, Italien und Schweden. Sie analysiert die Situationen in diesen Ländern recht genau. Dabei kommt sie in Bezug auf Dänemark, dem einzigen Land, in dem man sich offen den Nazis widersetzte, auch, unter anderem, zu der Erkenntnis, dass Widerstand zu leisten und offen und laut zu sagen, wenn Dinge nicht in Ordnung sind, eher Meinungsfreiheit stützt. Weil sie letztendlich Regime, die diese wirklich einschränken wollen, unmöglich macht. Die funktionieren nämlich nicht, wenn eine Bevölkerung Rückgrat hat. Die Situation in Dänemark zeigte, dass in einem Land, in welchem das Verhalten der Nazis nicht normal gefunden wurde, diese Nazis nicht nur mit ihren Plänen nicht so weit kamen wie in anderen Ländern, sondern dass sogar die in Dänemark stationierten Nazis nach geraumer Zeit unter diesem subversiven Einfluss die Befehle aus Berlin sabotierten. Man könnte sagen: Ihr nationalsozialistischer Elan schmolz ein wenig dahin.

"Ebenso wie Dänemark zeigten sich auch Schweden, Italien und Bulgarien nahezu immun gegen den Antisemitismus, doch von diesen drei in der deutschen Einflusssphäre befindlichen Nationen wagten es nur die Dänen, den deutschen Herrschern gegenüber den Mund aufzumachen. ... Der deutsche Wehrmachtskommandeur proklamierte den Ausnahmezustand und führte das Standrecht ein; das hielt Himmler für den geeigneten Augenblick, um die Judenfrage zu erledigen, deren "Lösung" längst überfällig war. Aber Himmler hatte mit einem wichtigen Faktor nicht gerechnet, nämlich .... dass die deutschen Beamten, die nun jahrelang in diesem Land gelebt hatten, nicht mehr die gleichen waren. .... dass gerade die dort (in Dänemark) eingesetzten Kräfte (der SS) sich sehr häufig gegen Weisungen von Zentralstellen gewendet haben".

Gehorsam, Mitläufertum, das sukzessive Abbauen moralischer Werte funktioniert nur dann reibungslos, wenn es in einem Umfeld geschieht, in welchem dieses Verhalten gutgeheissen oder zumindest nicht offen kritisiert wird.
Sobald man in einem Umfeld ist, in dem man mit offenem Widerstand konfrontiert wird, gerät die Festigkeit ins Schwanken und Täter hinterfragen ihr Verhalten. Opportunismus ist eben doch recht menschlich, auch unter überzeugten Nazis, genauso wie der ausgewachsene Drang zur Konformität.

Auf die Anwesenheit von rechten Verlagen bei der Buchmesse, auf die Anwesenheit rechter Abgeordneter im Bundestag, auf das salonfähig werden rechter, rassistischer, islamophober Positionen passt dies für mich deshalb, weil ich denke, dass ein Klima, in dem all das schon wieder als normal gilt und als im Rahmen der Meinungsfreiheit etc. erlaubtes Verhalten auch von Journalisten und Schriftstellern eingefordert wird, genau das macht: es schafft ein kuscheliges Klima, in welchem dies Tag für Tag ein Stückchen mehr Normalität wird und die Protagonisten sich gemütlich einrichten. Wenn aber das Klima kritisch bleibt und ihre Denkansätze nicht Eingang ins allgemeine Stimmungsbild finden (o.k., ich gebe zu, ich träume jetzt mal ein bisschen auf hohem Niveau!), dann fühlen sie sich nicht so wohl, dann hilft das ihnen, ihre Standpunkte zu hinterfragen. Sie wollen ja dazu gehören. Also sollte man sich ihren Positionen GAR NICHT anpassen, sondern immer weiter massiv Widerstand leisten. Nur das führt dazu, dass sie irgendwann einknicken. Im Moment scheint ja teilweise das Gegenteil zu geschehen: der Drang der Gesellschaft, mit den rechten Positionen zu kuscheln, um nicht unangenehm aufzufallen, nimmt für mich ein wenig Überhand.

Jeder, der offen dagegen anschreibt, spricht oder postet, trägt  aber dazu bei, dass gezeigt wird: Eure Positionen sind nicht normal. Rassistische, menschenverachtende, islamophobe Parolen sind nicht normal. Sie sind auch nicht gewünscht. Sie widersprechen nicht nur unserem gesunden Menschenverstand, sondern auch allem, wofür unsere Gesellschaft steht. Offenheit, Freiheit, Brüderlichkeit, Toleranz. Und da komme ich zum Punkt, der mir sehr wichtig ist: Menschenverachtung und Rassismus zu äußern, das hat mit Meinungsfreiheit in meinen Augen gar nichts zu tun. Da werden Äpfel mit Birnen verglichen und das ist ein toller Trick, den rechte Denker sehr sehr gerne anwenden. Sie greifen Menschen an und wenn man ihnen den Mund verbieten will, sagen sie: "Ej, Alter, Meinungsfreiheit. Ich darf sagen, was ich will."
Menschenverachtende, rassistische Parolen haben aber eher was mit Kriminalität zu tun. Man probiert, wie weit man gehen kann, bevor man Ärger kriegt und man steckt die Grenze stetig ein Stückchen weiter. Es ist deshalb wichtig, sich auch nicht ein Haarbreit so zu verhalten, dass man den Anschein erweckt, man könne diesen Parolen oder ihren Vertretern zustimmen. Das macht sie immer vertrauter. Irgendwann merkt man nicht mehr, dass sie längst eingezogen sind in unser alltägliches Denken und es mit bestimmen. (Oder ist das vielleicht schon längst geschehen?)

Wie Hannah Arendts Buch zeigt, stärkt Widerstand auch im gesamten Umfeld Mut und Rückgrat und den klaren Blick auf das, was moralisch in Ordnung ist und was nicht.
"Dieses einzige uns bekannte Beispiel von offenem Widerstand einer Bevölkerung scheint zu zeigen, dass die Nazis, die solchem Widerstand begegneten, nicht nur opportunistisch nachgaben, sondern gewissermaßen ihre Meinung änderten: unter Umständen haben offenbar auch sie die Ausrottung eines ganzen Volkes nicht mehr so selbstverständlich gefunden."

Uwe Tellkamps Unterschrift hat mich irritiert. Aber jetzt weiß man halt, wo er steht. Ist doch auch o.k. Das schmälert nicht die Tatsache, dass Der Turm ein gutes Buch ist. Aber es schmälert mit Sicherheit ab jetzt mein Interesse an ihm, weil ich dieses relativierende Geschwafele echt nicht mehr hören kann.

(c) Susanne Becker

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