Direkt zum Hauptbereich

Buch der Woche - Jasper und sein Knecht von Gerbrand Bakker


„Gestern habe ich das erste Stück Terrasse gepflastert, und das ist nicht einfach, weil die Steine unterschiedlich groß sind. Heute wieder ein Stückchen, und morgen und übermorgen. Nicht zu eilig, es darf alles nicht zu schnell fertig werden, immer soll etwas liegen bleiben. In gewisser Hinsicht wie beim Schreiben eines Romans: nie am Ende eines Schreibvormittags zu einem glatten Abschluss kommen; lieber ein paar Fäden lose lassen, um am nächsten Tag dort anzuknüpfen.“

Ein niederländischer Schriftsteller, der sich selbst als jemand beschreibt, der mit einer sehr langen Bedienungsanleitung geliefert wird. Ein empfindlicher, verletzlicher Mann, der gerne allein ist und noch nie eine feste Beziehung hatte. Ein Mensch, der sich, so kann man es bei ihm immer wieder lesen, ausgiebig an den anderen Menschen reibt, aufreibt. Aber daraus entstehen vielleicht seine wunderbaren Bücher?

Er kauft 2012 ein Haus in der Eifel, zwischen Bitburg und Prüm. Er findet einen Hund, Jasper, der ursprünglich von einer griechischen Insel stammt und bindungsscheu ist. Immer wieder läuft er davon. Aber eigentlich passt es, denn Bakker ist auch bindungsscheu.
Wenn er nicht auf ihn wartet, ihn sucht, mit ihm lange Spaziergänge unternimmt oder seine täglichen zwei Gläser Wein trinkt, ist er oft damit beschäftigt, im Garten zu arbeiten.
Manchmal schreibt er auch. An dem Buch, das ich gerade lese. Es heißt: Jasper und sein Knecht
Das Tagebuch Gebrand Bakkers aus seinem Eifelhaus. Gartenarbeit, Spaziergänge mit dem Hund, Enttäuschungen, Treffen mit der Familie, seine Brüder, seine Eltern, Lesereisen, die Arbeit an diesem Buch selbst, immer wieder Aufenthalte in Amsterdam. Der Versuch, überhaupt wieder ins Schreiben zu kommen. Aber vor allem auch: die Beschreibung seiner Depression, sein Umgang damit. Es ist ein ungemein aufrichtiges Buch. In Rückblicken erzählt er viel aus seiner Kindheit und Jugend und schont sich nicht. Nicht einmal geht es ihm darum, zu demonstrieren, wie wunderbar und interessant er ist. Er zeigt sich nackt und verletzlich. Das empfinde ich als sehr besonders, als ein Geschenk, das der Autor dem Leser macht.
Das Buch hat mich von Anfang an, vermutlich deshalb, aber auch, weil das Eifeldorf in der Gegend liegt, aus der mein Vater stammt und in welcher ich viele Kindheitssommerwochen verbracht habe, gepackt. Von der ersten Seite an habe ich mich auf jede Gelegenheit gefreut, darin weiterlesen zu können.
Es ist wie ein ganz aufrichtiges Gespräch mit einem wunderbaren Freund, der sich in nichts verstellt. Ein ungemein zartes Buch auch, da es so ungefiltert in die Tiefe eines anderen Menschen führt. Es ist nebenbei ein Einblick in das Leben und den Alltag eines schreibenden Menschen. Etwas, das ich immer unglaublich faszinierend finde. An den Tagen, an denen ich selbst schreibe, lese ich oft ein Weilchen darin, weil es mich inspiriert und eine innere Tür öffnet zu einem kreativen Raum, der sehr weit ist. Es bringt mich dazu, zu schreiben, aber auch, in die Natur zu gehen, in meinen Garten, Spaziergänge zu machen.

Von Gerbrand Bakker sind in Deutschland unter anderem noch die Romane Oben ist es still, (er ist 2013 verfilmt worden  sowie Der Umweg erschienen. Hier die Autorenseitebei Suhrkamp, wo Jasper und sein Knecht 2016 erschienen ist. Seit 2017 gibt es es auch als Taschenbuch. Ich empfehle dieses Buch sehr und freue mich, dass ich noch circa 100 Seiten vor mir habe. Denn auch beim Lesen darf es manchmal nicht zu schnell gehen, es darf ruhig ein paar lose Fäden geben, an die man am nächsten Tag dann wieder anknüpft. Zumindest geht es mir mit diesem Buch so.

(c) Susanne Becker

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Und keiner spricht darüber von Patricia Lockwood

"There is still a real life to be lived, there are still real things to be done." No one is ever talking about this von Patricia Lockwood wird unter dem Namen:  Und keiner spricht darüber, übersetzt von Anne-Kristin Mittag , die auch die Übersetzerin von Ocean Vuong ist, am 8. März 2022 bei btb erscheinen. Gestern tauchte es in meiner Liste der Favoriten 2021 auf, aber ich möchte mehr darüber sagen. Denn es ist für mich das beste Buch, das ich im vergangenen Jahr gelesen habe und es ist mir nur durch Zufall in die Finger gefallen, als ich im Ebert und Weber Buchladen  meines Vertrauens nach Büchern suchte, die ich meiner Tochter schenken könnte. Das Cover sprach mich an. Die Buchhändlerin empfahl es. So simpel ist es manchmal. Dann natürlich dieser Satz, gleich auf der ersten Seite:  "Why did the portal feel so private, when you only entered it when you needed to be everywhere?" Dieser Widerspruch, dass die Leute sich nackig machen im Netz, das im Buch immer ...

Gedanken zu dem Film Corsage von Marie Kreutzer mit Vicky Krieps

  When she was home, she was a swan When she was out, she was a tiger. aus dem Song: She was von Camille   (s.u.) Ich kenne so viele Frauen, die sich ein Leben lang nicht finden, die gar nicht dazu kommen, nach sich zu suchen, die sich verlieren in den Rollen, die die Welt ihnen abverlangt.  Es gibt so viele Orte, an denen Frauen nicht den Schimmer einer Wahl haben, zu entscheiden, wie sie leben, wer sie sein möchten. Diese Orte werden mehr. Orte, an denen Frauen einmal ein wenig freier waren, gehen uns wieder verloren. Die meisten Frauen leben gefährlich. Gefährlicher als Soldaten in Kriegen.  Aber dennoch hatte ich kein Mitleid mit der Kaiserin, den ganzen Film über nicht ein einziges Mal, weil sie eigentlich nicht als sympathische Person gezeigt wurde. Was ich gut fand. Denn welche Frau kann sich etwas davon kaufen, dass sie bemitleidet wird? Elisabeth ist in diesem Film selbstzentriert, rücksichtslos, narzisstisch. Besessen von ihrem Körper, seinem Gew...

Buch der Woche - Wider die Natur von Tomas Espedal

"Er blies seine Trompete, und mich traf der Gedanke, wie falsch ich lebte, so schwach und feige, so still und vorsichtig; ich wollte werden wie dieser Mann mit Hut und Poncho, ich wollte ein aufrichtiger, kompromissloser Mensch werden, ich wollte so schreiben, wie er sang, ich wollte ein schwieriger, ehrlicher Mann sein." In seinem Buch Wider die Natur berichtet Tomas Espedal von der Beziehung eines älteren Mannes, eines Mannes von 48 Jahren, mit einer jungen Frau, einer Frau von Anfang 20. In der Öffentlichkeit werden die beiden nicht selten für Vater und Tochter gehalten. Sie schämen sich, in der Öffentlichkeit zu sein, wegen des Altersunterschiedes, der wider die Natur zu sein scheint. Sie ziehen sich in ihr Haus zurück. Dort ist der Mann, aus dessen alleiniger Sicht alles geschrieben wird, so glücklich wie noch nie zuvor. Er liebt, wie noch nie zuvor. Nach sechs Jahren verlässt die junge Frau ihn. Für sie ist es die erste wirkliche Beziehung und sie möchte jetzt mehr ...