Dann las ich in diesen letzten Tagen noch In altre parole /In other words von Jhumpa Lahiri zuende.
Es war wie eine Reise zurück für mich in vielerlei Hinsicht.
Wo beginnen?
Eine Reise zurück in eine Zeit, als ich begann, mich
vollkommen in eine andere Sprache zu stürzen und auch in dieser anderen Sprache
zu schreiben: Englisch.
Das ist dreißig Jahre her und geschah in Virginia. Als ich
dort ankam, konnte ich nicht sehr gut Englisch, obwohl ich es neun Jahre lang
in der Schule gelernt hatte. In den ersten Wochen verstand ich kaum etwas. Ich
schwieg. Was jemandem wie mir, die sich immer darüber definiert hatte, wie
lustig sie labern konnte, extrem schwer fiel.
Ich stürzte mich, sobald ich ein paar Wochen in Virginia
war, so vollkommen in diese andere Sprache, dass ich darin auf der Stelle eine
andere Person fand, die aber auch ich war. Das war beglückend, befreiend,
euphorisierend. Alles auf einmal. Auch beängstigend war es, denn ich wusste
nicht, ob ich die Susanne, die sich im Deutschen findet, überhaupt je würde
wiedersehen wollen. Die englische Susanne gefiel mir umso vieles besser und sie war so wahnsinnig frei und unbelastet von jeder Vergangenheit. Niemand kannte sie. Also konnte sie sein, wer auch immer sie sein wollte.
Ich machte die englische Sprache, genauer, die amerikanische
Sprache zu einem definitiven Teil meiner selbst. Ich machte auch, und das
scheint mir beinahe eine noch profundere Tatsache zu sein, mich zu einem Teil
der amerikanischen Sprache. Ich erweiterte meine Person um jenen Teil, der
amerikanisch lesen, sprechen, schreiben konnte. Sie ähnelte dem Mädchen, das
aus Köln nach Virginia gekommen war, nicht wirklich sehr. Das amerikanische
verlieh diesem Mädchen Flügel auf dem Rücken, den es ihrer Vergangenheit
entschieden zuwand. Sie wollte gar nicht mehr verstanden werden von all jenen,
die ihre Vergangenheit bevölkert hatten und da die meisten kein oder kein gutes
amerikanisch sprachen, war dieses Ziel leicht erreicht.
Das bemerkenswerte an der Geschichte und auch ein Punkt, der
mich noch mehr mit Jhumpa Lahiris Buch verbindet ist die Tatsache, dass ich
eigentlich ein Jahr, bevor es mich eher zufällig nach Virginia verschlug, damit
begonnen hatte, leidenschaftlich italienisch zu lernen. Ich hatte jeden Tag
Unterricht an der Kölner Universität gehabt und plante, für mindestens ein Jahr nach
Rom zu gehen, sobald ich die Sprache ein wenig beherrschte. Leider teilte mir
dann mein Freund, mit dem ich nach Rom gehen wollte mit, dass er sich auch noch
in eine Italienerin verknallt hatte und dass wir zu dritt in Rom sein würden.
Ich drehte mich auf dem Absatz um, rief meine Freunde in
Virginia an, tauschte den Flug nach Rom in einen um, der mich nach Washington brachte und damit war mein Schicksal besiegelt. Dies war einer der Punkte, an denen mein weiteres Leben sich entschieden hat. Wohin hätte es mich verschlagen, wäre ich damals nach Rom gegangen?
Erst im vergangen Oktober, dreißig Jahre später, betrat ich
zum ersten Mal wieder italienischen Boden. Ich flog mit meiner Tochter dorthin. Dass ich in der Zwischenzeit nie mehr wieder dorthin reiste, war
wieder nur Zufall und nichts weiter, denn im Laufe der letzten dreißig Jahre
gab es so viel anderes zu tun und so viele Orte, an die ich reisen musste, dass
es sich einfach nicht mehr ergab.
Dann stieg ich in Roma Termini aus und fragte mich, wie mir das
hatte passieren können? Wo das Italienische um mich herum mir erklang wie ein
Heimathafen. Ich plauderte auch sofort mit und sagte so viel auf Italienisch,
wie mir einfiel. Ich war überrascht, wie viel mir noch einfiel. Zwar sagte meine
Tochter irgendwann: „Dir fällt schon auf, dass Dir alle in Englisch antworten,
oder?“ Aber das war mir, ehrlich gesagt, wurscht. Ich war auf einer Mission. Ich
wollte den Faden wieder aufnehmen, den ich mit Anfang 20 fallen gelassen hatte. Denn ich ahnte, dass es noch eine weitere Susanne gab, jene, die sich im Italienischen behausen konnte. Glücklicherweise sind die Römer nicht Pariser, weshalb ich ständig gelobt und ermutigt wurde.
Seitdem lerne ich Italienisch wieder und habe mir gleich nach
der Rückkehr dieses wunderbare Buch besorgt, welches zweisprachig ist;
italienisch und englisch.
Im Inneren des Museo di Terme di Diocleziano |
Genau diese Tochter übrigens sah im Buchladen der Terme di Diocleziano ein Buch mit Zeichnungen von Matisse. Sie berichtete mir begeistert darüber. Zu Weihnachten bekam sie es. Wenige Stunden nach der Bescherung las ich wieder in Jhumpa Lahiris Buch und es schien mir wie Magie, als ich dort las: "Last year, as I was finishing In other words, I saw a show in London, devoted to Matisse`s final creative stage. I encountered a series of lyrical, bold, wild-ranging images. I observed a surprising dialogue between negative and positive space. I understood how white space, like silence, can have a meaning."
" Lo scorso anno , mentre ultimativo di scrittura di In altre parole, ho visitato, a Londra, una mostra dedicato a quest'ultima tappa creativa di Matisse. Ho incontrato una serie di immagini liriche, ardite, di grande respiro. Ho notato un dialogo, sorprendente tra spazio negativo e positivo. Ho capito come lo spazio bianco, come il silenzio, possa avere anche una significato."
Ich verstand, dass weißer Raum, dass Stille, eine Bedeutung hat. Lahiri identifizierte sich in vieler Hinsicht mit diesem Spätwerk Matisse`s, nicht zuletzt, weil er wie sie das Wagnis unternahm, noch einmal eine vollkommen neue Richtung einzuschlagen. Etwas, das man automatisch immer dann tut, wenn man sich darauf einlässt, eine neue Sprache ganz zu erlernen.
Es ist das erste Buch, das Jhumpa Lahiri auf Italienisch geschrieben
hat. Es handelt von ihrer Sehnsucht nach dieser Sprache, die ihr etwas gibt,
das ihre beiden anderen Sprachen, bengalisch als Muttersprache und englisch als
Sprache ihres Aufwachsens, ihr nicht geben können. Denn beide Sprachen
konnte sie sich nicht aussuchen und zwischen beiden fühlt sie sich oft genug
wie zerrieben. Sie meditiert in diesem Buch, in welchem sie ihre
Liebesbeziehung zu ihrer Wahlsprache Italienisch erforscht und erzählt, nicht
nur über die Sprache, die Rolle der Sprache für eine Schriftstellerin, sondern
auch über das Schreiben. Es ist nicht nur das erste Buch, das Lahiri auf
Italienisch geschrieben hat, sondern auch ihr erstes autobiografisches Buch.
Man erhält wunderbar intime Einblicke in ihr neues Leben in Rom, wohin sie mit
Mann und Kindern gezogen ist, um ihrer Sprache so nah wie möglich zu sein. Man
begleitet sie tagtäglich in die Bibliothek, wo sie mit einem Gedichtband von
Emily Dickinson (auf italienisch) sitzt, Italienisch lernt und in einem
Notizbuch neue Worte einerseits, ihre Gedanken andererseits notiert. Damit
schaffte sie die Grundlage für In altre parole. Es entstand aus diesen Notizen.
Es gibt auch eine deutsche Ausgabe des Buches, es heißt hier
Mit anderen Worten und ist bei Rowohlt erschienen. Leider ist dies keine
zweisprachige Ausgabe, sondern die deutsche Übersetzung. Das zielt für mich,
auch wenn man natürlich in einer deutschen Ausgabe all die wunderbaren Gedanken
Lahiris nachlesen kann, dennoch am Punkt des Buches vorbei, der für mich in der
zweisprachigen Ausgabe spürbar wird: die Räume, die sich auftun, sobald eine
Person eine andere Sprache in sich hinein lässt und sich in dieser Sprache
geradezu einrichtet, sie kann man wunderbar erfahren, wenn man englisch und
italienisch zu lesen vermag, wenn man anhand zweier Sprachen die überbrückten und zu überbrückenden Abgründe ermessen kann.
Für mich war dieses Buch eine wunderbare Reise in das
Bewusstsein eines anderen Menschen und gerade deshalb vielleicht so
befriedigend, weil ich darin so viele Parallelen fand zu eigenen Erfahrungen
und Gedanken, so viele Zufälligkeiten auch, die mich an mein eigenes Leben rückkoppelten und es sehr direkt bereicherten.
Eine großartige Lektüre für mich, um dieses Jahr lesend abzuschließen, 2018, das mir das Italienische und Italien zurück in mein Leben gebracht hat. Wunderbarerweise stellt sich der Effekt ein, der mich beim Sprachen lernen so unglaublich fasziniert: Das Italienische eröffnet mir eine weitere Facette meiner selbst, es ist ein neuer Raum, in dem ich einmal mehr jemand sein kann, die mir bislang fremd ist, die ich aber mag und die mir aus Kölner Jahren irgendwie seltsam bekannt vorkommt.
Sich selbst noch einmal neu kennen lernen, indem man sich in eine andere Sprache ausbreitet. Dieses Phänomen hat Jhumpa Lahiri intensiv, poetisch und psychologisch äußerst feinsinnig eingefangen. Ich möchte Euch die Lektüre des Buches sehr empfehlen!! Und dann möchte ich Euch noch empfehlen, eine neue Sprache zu erlernen. Ciao Ragazzi!!
am Fontana die Trevi mit ein paar anderen Touristen |
(c) Susanne Becker
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