„Vielmehr Schritt für Schritt sich selber den Weg spuren.“
In die Tiefe dringen, ohne Ablenkung. Es geht nicht darum,
sich im Raum auszubreiten. Dabei ein Glas Wein trinken, wie Handke. Allerdings
bevorzuge ich weißen Wein. Handke trinkt sicher lieber roten, vermute ich.
Handke, der mich immer wieder so sehr inspiriert, dass ich davon glücklich werde.
Obwohl ich sein Buch Der Bildverlust vermutlich nicht verstehe. Dennoch ist es
für mich wie eine Meditation. Ich lese es seit Monaten. Die Lektüre nähert sich
dem Ende. Der Abschied fällt mir schon jetzt schwer. Wird aber erleichtert
durch die Tatsache, dass auf meinem SuB noch drei weitere Handke-Bücher meiner
harren. Kali, Vor der Baumschattenwand nachts und Die Obstdiebin. Glück hat einen Namen. Für
mich: Handke lesen. Also, es gibt noch eine Reihe andere Dinge, die mich
glücklich machen. Aber Handke lesen ist eine zuverlässige Glücksquelle und ich
weiß gar nicht, ob ich seine Bücher hier empfehlen kann. Denn manchmal fürchte
ich, den meisten geht es mit Handke wie meiner Kollegin. Sie sagte letztens:
„Handke??? Ist der nicht unheimlich kompliziert?“
„Ja“, erwiderte ich. „Genau!“ Oder auch nicht. Überhaupt
nicht.
Gott sei Dank habe ich mehrere Kollegen und, ich weiß, das
ist ein Privileg: drei von ihnen lieben Handke. Drei von 10 Kollegen lieben
Handke! Vermutlich ist das überdurchschnittlich. Wir tauschen seine Bücher aus. Einer hat mir vor kurzem Kali geliehen. Ich
habe einem anderen Die Obstdiebin geschenkt, weil ich sie zum Geburtstag
zweimal bekommen habe. Er liest seit Monaten darin, steht in meinem
Büro und zitiert oder berichtet. Es ist, als würden wir gemeinsam meditieren.
Ich weiß, ich habe eine wirklich privilegierte Arbeitsstelle. Und es ist noch
nicht einmal ein Buchladen oder eine Bibliothek.
Während ich Der Bildverlust lese, öffnen sich innere Räume
in mir, die eine Weite haben. Ich finde dafür keine Worte. Selbst, wenn ich
lange suche, finde ich keine Worte dafür.
Eine Reise in eine vollkommen neue Welt, für mich. Die
Protagonistin kehrt zurück. Eine Reisebeschreibung einer Reise in die Sierra de
Gredos, Hondareda, Pedrada. Eine Frau verlässt ihr Haus in der Flußhafenstadt
und reist in diese Gegend, in der sie schon einmal gewesen ist. Damals
schwanger mit ihrer Tochter, verlor sie dort den Geliebten.
Sie war einmal Schauspielerin.
Sie war einmal Bankfrau.
Sie hat ihre Tochter verloren. Zweimal. Auch ihren
Liebhaber. Ihr Bruder ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden.
Eine Reise in eine fremde Landschaft, die doch vollkommen
vertraut ist und dazu anregt, sich zu entspannen, selbst da, wo die Gefahr
lauert. Und die Gefahr lauert. Nichts, was so ganz es selbst ist, kann
unbehelligt unter Menschen existieren. Es wird in seiner Besonderheit
unvermeidlich irritieren und also angegriffen werden.
Das Buch ist voller Poesie.
Ein Reisebuch, das eine innere und eine äußere Reise
beschreibt.
Die Protagonistin wird unter anderem auch Die Obstdiebin
genannt. Was mich mit großer Vorfreude auf dieses gleichnamige Buch erfüllt,
das schon seit meinem Geburtstag auf meinem SuB auf mich wartet, und welches
mein Kollege bereits meditiert. Denn eigentlich liest man Handke nicht. Man meditiert
Handke.
Vielleicht ist dieses Buch ein Koan? Es enthält Sätze, die
mich aufleuchten lassen, weil ich sie mit meinem ganzen Sein sofort begreife. Ähnlich
geht es einem doch mit Koans, oder nicht?
„Ich kann nichts Besseres für dich tun, als bei dem zu
bleiben, was ich tue. Indem ich das, was ich tue, rhythmisch tue, gewissenhaft
rhythmisch, ohne Nachlässigkeit, immer weiter den mir entsprechenden Rhythmus
erfüllend und ihn zum Vibrieren, Oszillieren und Vorspuren bringend, tue ich
für mich und für dich das Beste, was ich für mich wie für dich tun kann.“
Niemand, kein anderer Autor schreibt wie Handke über Frauen.
Für Frauen. In einer Weise, dass die Gegensätze der Geschlechter zu einer
Einigkeit verschmelzen, als gäbe es nur die Liebe als Möglichkeit, oder aber
die vollkommene Getrenntheit, wobei eines nicht schlechter ist als das andere.
Was gar nicht geht, ist das Mittelmaß, der unlautere Kompromiss. Wenn die Liebe
nicht möglich ist, dann bleibt man allein. Dann geht man kompromisslos auf den
Berg, in die Wüste, und wirft sich auf sich selbst zurück.
Ich liebe Handkes Bücher. Sie sind für mich wie Handbücher zur Erforschung
meines eigenen Seelenraums. Allerdings weiß ich nicht, ob ich sie empfehlen
kann. Ich fürchte, nicht jeder wird sie mögen.
„Was ist für dich Rhythmus?“ ---- „Bestärkung des
Vorhandenen.“
Niemand schreibt sich selbst, wie Handke, so konsequent in seine Bücher hinein. Alle lese ich sie auch als Autobiographie seiner Innenwelt. Denn natürlich gibt es in dem Buch nicht nur eine Obstdiebin, eine Abenteurerin, eine Bankerin. Es gibt auch einen Autor. Er schreibt, im Auftrag der Frau, die Geschichte ihrer Reise und ihres Bildverlusts, somit das vorliegende Buch. Eine Liebesgeschichte.
"Und schließlich hielt der Autor noch eine Rede über die heutigen Bleistifte, die kaum mehr etwas taugten; vor allem brächen die Minen, oft von ungleich beschaffenen Holzhälften eingefasst, beim Spitzen immer wieder ab;...."
Niemand schreibt sich selbst, wie Handke, so konsequent in seine Bücher hinein. Alle lese ich sie auch als Autobiographie seiner Innenwelt. Denn natürlich gibt es in dem Buch nicht nur eine Obstdiebin, eine Abenteurerin, eine Bankerin. Es gibt auch einen Autor. Er schreibt, im Auftrag der Frau, die Geschichte ihrer Reise und ihres Bildverlusts, somit das vorliegende Buch. Eine Liebesgeschichte.
"Und schließlich hielt der Autor noch eine Rede über die heutigen Bleistifte, die kaum mehr etwas taugten; vor allem brächen die Minen, oft von ungleich beschaffenen Holzhälften eingefasst, beim Spitzen immer wieder ab;...."
© Susanne Becker
Kommentare
Kommentar veröffentlichen