Direkt zum Hauptbereich

Monika Zeiner - Die Ordnung der Sterne über Como

Monika Zeiner ist mit "Die Ordnung der Sterne über Como" überraschend auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis gekommen. Es ist das einzige Buch der Shortlist, das ich bislang gelesen habe.

Für mich handelt dieser Roman von drei Dingen:
1. Liebe
2. davon wie die Menschen heute so sind, wie sie leben, wie sie flüchten vor ihren Gefühlen und sich einrichten in irgendeinem Leben, von dem sie hoffen, dass es zu ihnen passt, von ihrem Kampf, sich in dieser komplexen Welt zurecht zu finden. Es zeigt die Sehnsucht, sich treu zu bleiben und wie man sich dennoch verzettelt.
3. Tod
Offiziell handelt es von einer Dreiecksgeschichte, von zwei Männern, die beste Freunde sind, kongeniale Musiker, die sich in die gleiche Frau verlieben, sie lieben, davon, wie eine solche Konstellation tragisch scheitert. So gesehen handelt das Buch auch von Klischees.
Ich las es begeistert bis etwa Seite einhundert. Da gab es dann für circa fünfzig Seiten mehrere Ausrutscher, die mir vielleicht gar nicht aufgefallen wären, wenn das Buch mir nicht an sich so gut gefallen hätte. Auch spürte man beim Lesen den Anspruch der Autorin auf eine gewisse Perfektion. Also irritierten mich plötzlich auftretende unnötige Wiederholungen oder sprachliche Ungenauigkeiten enorm, wo sie mir bei einem anderen Buch womöglich gar nicht aufgefallen wären. Sie hörten aber dann auch wieder auf. Ab Seite einhundertfünftzig etwa fielen mir keine weiteren Störungen auf, was hauptsächlich daran lag, dass mich die Geschichte, die Charaktere wirklich interessierten und ich unbedingt wissen wollte, wie es weiter gehen würde. Ich las überall, sogar im Stehen in der U-Bahn und heimlich im Büro, wenn mich keiner sah.
Womit Monika Zeiner mich überzeugt, ist ihre Fähigkeit, ganz genau Menschen zu schildern, Menschen, die mir alle irgendwie vertraut sind, Typen und auch Situationen. Dabei ist sie nicht gemein oder stellt die Personen bloß - das tun diese schon selbst. Wenn sie zum Beispiel den Besuch Hollers mit Baldur und Morgenthal (o.k. ich gebe es zu, ich finde den Namen Betty Morgenthal prätentiös) bei seinen Eltern an der Rhön schildert, das ist klasse. Da fühle ich mich in meine Heimat im Rheinland zurück versetzt. Da funktionierte Familie in den 70ern auch ziemlich genau so. Das war vermutlich ein allgemeines deutsches Familienprinzip: Vater mit der zigsten Bierflasche auf der Couch, manchmal auch lange und ziemlich besoffen beim Frühschoppen nach der Kirche in der Dorfkneipe, Mutter mit Kittelschürze und für eine Beerdigung in den nächsten Tagen schon mit frisch gelegter Dauerwelle, irgendwie immer in der Küche, sonntagsmorgens aber auch in der Kirche, Sprachlosigkeit, Freudlosigkeit, Lustlosigkeit.
Ohne jede Gegenfrage würde ich ihr auf einer literarischen Weltreise folgen und mir von ihr typische Situationen aus allen möglichen Weltgegenden erzählen lassen, mit typischen Protagonisten. Sie könnte das. Sie würde immer das herauspicken und beschreiben, was einem einen Menschen, eine Situation besonders lebendig und plastisch vor Augen führt. Und sie würde damit ein Bild unserer Zeit malen. Das Buch ist ein Bild unserer Zeit. Es ist kein theoretisches Konstrukt, sondern solche Menschen erleben solche Geschichten heute und hier, auch in Italien, auch an der Rhön oder in der Schweiz und sowieso in Berlin.

Unaufgeräumt, Lesen am Schreibtisch mit Bier
Sehr gut finde ich die verschiedenen Liebesgeschichten. Sie sind überzeugend, spannend, unterhaltsam und man hat das Gefühl, die Autorin kennt Frauen und Männer gleichermaßen, sie steht auf keiner Seite und stellt auch hier wieder niemanden bloß, noch nicht einmal Frau Hermanns, die es ein bisschen verdient hätte und die ich als weiteres Hightlight empfand (genau wie übrigens ihren Mann Volker).
Ich muss gestehen, dass ich mitfieberte, das ganze Buch hindurch, und dass ich sehr hoffte, Betty und Tom würden sich am Ende kriegen, Happy End und so. Ich muss auch zugeben, dass mich das Ende unbefriedigt zurückließ. Ich weiß nicht, ob ein solches Buch so enden sollte.

Fazit: das Buch gefällt mir, ich habe es gerne gelesen, undsoweiter und dennoch bleibt ein Gefühl zurück, dass mich etwas stört. Einmal ist es das Prätentiöse, das mich bereits am Namen der Protagonistin unangenehm berührte. Irgendwie ist das Buch nicht entspannt. Es mag sich verrückt anhören, aber im Grunde hätte ich mir weniger Perfektion oder auch nur Anspruch darauf gewünscht. Da das Buch aber in gewisser Hinsicht etwas perfekt poliertes hat, könnte es gut sein, dass es auch noch den Deutschen Buchpreis gewinnt. Warum nicht? Ich würde es Monika Zeiner gönnen. Ich würde von ihr auch das nächste Buch lesen wollen.
Zum anderen hat mich das Ende gestört. Ich denke schon seit gestern Nacht darüber nach, wie ich das Buch enden lassen würde. Aber vielleicht ist das ja auch gerade ein Zeichen für ein gutes Buch, dass man danach noch ewig darüber nachdenkt und es in Gedanken umschreibt?
Aber dennoch, im Grunde denke ich, sie kann den Buchpreis nicht gewinnen. Denn da sind die Mora und der Meyer, und einer von den beiden wird gewinnen. Es würde jeden zutiefst verwundern, wie die Zeiner ihn gewinnen kann, wo die Mora und der Meyer auf der Shortlist sind und auf der Longlist sowieso einige waren, die ihn auch verdient gehabt hätten. Wieso sind die eigentlich nicht auf die Shortlist gekommen, die Zeiner aber schon? Ja, die Abgründe des Literaturbetriebs, man wird sie nie durchschauen.

© Susanne Becker

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

100 bemerkenswerte Bücher - Die New York Times Liste 2013

Die Zeit der Buchlisten ist wieder angebrochen und ich bin wirklich froh darüber, weil, wenn ich die mittlerweile 45 Bücher gelesen habe, die sich um mein Bett herum und in meinem Flur stapeln, Hallo?, dann weiß ich echt nicht, was ich als nächstes lesen soll. Also ist es gut, sich zu informieren und vorzubereiten. Außerdem sind die Bücher nicht die gleichen Bücher, die ich im letzten Jahr hier  erwähnt hatte. Manche sind die gleichen, aber zehn davon habe ich gelesen, ich habe auch andere gelesen (da fällt mir ein, dass ich in den nächsten Tagen, wenn ich dazu komme, ja mal eine Liste der Bücher erstellen könnte, die ich 2013 gelesen habe, man kann ja mal angeben, das tun andere auch, manche richtig oft, ständig, so dass es unangenehm wird und wenn es bei mir irgendwann so ist, möchte ich nicht, dass Ihr es mir sagt, o.k.?),  und natürlich sind neue hinzugekommen. Ich habe Freunde, die mir Bücher unaufgefordert schicken, schenken oder leihen. Ich habe Freunde, die mir Bücher aufgeford

Und keiner spricht darüber von Patricia Lockwood

"There is still a real life to be lived, there are still real things to be done." No one is ever talking about this von Patricia Lockwood wird unter dem Namen:  Und keiner spricht darüber, übersetzt von Anne-Kristin Mittag , die auch die Übersetzerin von Ocean Vuong ist, am 8. März 2022 bei btb erscheinen. Gestern tauchte es in meiner Liste der Favoriten 2021 auf, aber ich möchte mehr darüber sagen. Denn es ist für mich das beste Buch, das ich im vergangenen Jahr gelesen habe und es ist mir nur durch Zufall in die Finger gefallen, als ich im Ebert und Weber Buchladen  meines Vertrauens nach Büchern suchte, die ich meiner Tochter schenken könnte. Das Cover sprach mich an. Die Buchhändlerin empfahl es. So simpel ist es manchmal. Dann natürlich dieser Satz, gleich auf der ersten Seite:  "Why did the portal feel so private, when you only entered it when you needed to be everywhere?" Dieser Widerspruch, dass die Leute sich nackig machen im Netz, das im Buch immer &q

Writing at the Fundacion Valparaiso in Mojacar, Spain

„…and you too have come into the world to do this, to go easy, to be filled with light, and to shine.“ Mary Oliver I am home from my first writing residency with other artists. In Herekeke , three years ago, I was alone with Miss Lilly and my endlessly talkative mind. There were also the mesa, the sunsets, the New Mexico sky, the silence and wonderful Peggy Chan, who came by once a day. She offers this perfect place for artists, and I will be forever grateful to her. The conversations we had, resonate until today within me. It was the most fantastic time, I was given there, and the more my time in Spain approached, I pondered second thoughts: Should I go? Could I have a time like in Herekeke somewhere else, with other people? It seemed unlikely. When I left the airport in Almeria with my rental car, I was stunned to find, that the andalusian landscape is so much like New Mexico. Even better, because, it has an ocean too. I drove to Mojacar and to the FundacionValparaiso