Ich bin ein großer Fan von Siri Hustvedt. Sie ist für mich eine Lieblingsschriftstellerin und so war es keine Frage, dass ich auch die zitternde Frau lesen würde, ein Buch, das kein Roman ist, sondern eine Art Abhandlung über psychologische, neurologische, psychologiehistorische Themen.
Ausgelöst wurde dieses Buch durch einen Zitteranfall, den Siri Hustvedt bei einer öffentlichen Ansprache zu Ehren ihres verstorbenen Vaters hatte "Meine Arme zuckten. Meine Knie knickten ein. Ich zitterte so stark, als hätte ich einen Krampfanfall. Komischerweise war meine Stimme nicht betroffen." Sie machte sich daraufhin auf die Suche nach der Geschichte ihrer Nerven, "in die Welten der Neurologie, Psychiatrie und Psychoanalyse". Sie wollte heraus finden was mit ihr los war.
Hätte das Buch tatsächlich von ihr, Siri Hustvedt, gehandelt, hätte ich es vermutlich verschlungen.
Aber es handelte verständlicherweise mehr von allen möglichen psychiatrischen, psychologischen und neurologischen Theorien, Ideen und deren Vertretern. Sie wollte ihrem Zittern auf den Grund kommen, sicher auch mit der begründeten Hoffnung, es mit dem Verstehen besiegen zu können. Sie wollte diesem irrationalen Phänomen rational auf die Schliche kommen. Denn es kehrte wieder, verfestigte sich also durch die Wiederholung zu einem Symptom und somit zu etwas, das sich in ihrem Leben breit zu machen schien.
Eigentlich liest sich das Buch wie eine Arbeit für eine Universität, eine Art Forschungsprojekt. Ich hätte es in einer Bibliothek lesen und mir dazu beständig Notizen machen wollen. Es erinnerte mich oft daran, wie ich ein Buch nach dem anderen verschlang, um meine Magisterarbeit dann aus dem akkumulierten Material zusammenstellen zu können.
Siri Hustvedt hat geforscht, um heraus zu finden, was mit ihr los ist. Sie hat es nicht wirklich heraus gefunden, da die Theorien, die Herangehensweise an psychische Phänomene, bis heute geprägt sind von Wissenschaftlern, die in relativ fest gelegten Kategorien denken. Rational. Logisch. Da wird es schwierig, bestimmte Phänomene zu ergreifen, ohne sie in einem Zug zu diffamieren (wie geschehen bei der Hysterie, bei deren Erforschung auch gleich die Frauen mit diffamiert wurden, denn sie galten als diejenigen, die hysterisch sein konnten, bei Männern war das undenkbar, da erfand man für gleiche oder ähnliche Symptome andere Kategorien).
Was hat mich an dem Buch gestört? Dass auch Siri Hustvedt sich hinter wissenschaftlichen Kategorien zu verstecken scheint. Wenn man sie auf der Bühne erlebt, und das habe ich, sogar bei der Lesung zu diesem Buch hier in Berlin, dann wirkt sie sehr beeindruckend. Eine Frau, die sich im Griff hat, die wunderschön und unglaublich klug ist. Beim Lesen der zitternden Frau, in der sie auch von ihrer lebenslangen Migräneerkrankung berichtet, wurde mir klar, welchen Preis es sie kostet, diese Frau zu sein.
Wann hätte ich dieses Buch lieben können? Wenn es wirklich von ihr gehandelt hätte. Also, das ist falsch ausgedrückt, denn natürlich handelt es wirklich von ihr. Sie ist die zitternde Frau, die sich auch ein wenig versteckt vor dem Leben, den Abgründen, den Gefühlen, indem sie wissenschaftliche Bücher ohne Ende wälzt, die Intellektuelle so perfekt gibt, dass ich sie darum beneide. Die sich in ihrer Herangehensweise an Fragen wie die im Buch behandelte durchaus jenen angleicht, die sie hart kritisiert in eben diesem Buch. Wissenschaftler, dem Rationalen und der Logik verschriebenen Forschern, die, und das gebe ich jetzt zu, ist vollkommen meine subjektive Wahrnehmung und Interpretation und mein subjektiver Grund, solche Bücher nicht lieben zu können, eine Theorie wie eine Wand zwischen sich und das Leben stellen.
Ich hätte mir mehr persönliches gewünscht in diesem Buch, das doch eigentlich sehr persönlich hätte sein sollen. Sie spricht auch immer wieder von sich, ihren Zitteranfällen, ihrer Migräne. Das sind die Abschnitte, die mich ergriffen haben und dazu brachten, das Buch auch wirklich zu beenden. Es hat mich betroffen, dass ein Mensch sein Leben lang eigentlich immer Kopfschmerzen haben kann. Es hat mich mit unglaublicher Hochachtung erfüllt, dass sie es dennoch schafft, diese großartigen Bücher zu schreiben, mit dem (schmerzenden) Kopf so heraus ragend zu arbeiten, die Disziplin, die dahinter steckt, das hat mich sehr berührt. Aber kaum dachte ich, sie in dem Buch zu spüren, verschwand sie wieder hinter einem Schwall theoretischer Sätze, seitenlang.
Ich mochte das Buch nicht sehr und dann auch wieder doch, weil ich sie mag und Siri Hustvedt immer noch sehr beeindruckend finde. Sie schimmert hindurch und ist spürbar in dem Buch. Also würde ich es empfehlen all denen, die sich für psychische Phänomene und Erkrankungen und deren Erforschung interessieren, all denen, die wie ich Siri Hustvedt lieben, all denen, die es nicht schwierig finden, Bücher zu verschlingen, in denen Sätze wie diese stehen, die man weiß Gott nicht eben mal so in der U-Bahn oder abends im Bett verstehen kann: "Rechtshemisphärische Schädigungen führen häufig zu den bereits erwähnten Syndromen: Leugnung der Krankheit, Anosognosie - oder was die Neurologen Anasodiaphorie nennen, das Eingeständnis der Krankheit, aber ohne sich Sorgen zu machen: Janets belle indifference, wie bei Todd Feinbergs Patientin Lizzy, die sich keinen Deut um ihre Blindheit zu kümmern schien, selbst nachdem sie sie eingestanden hatte - und Neglect."
Im Nachhinein kann ich nicht sagen, dass mir die Lektüre Erkenntnisse gebracht hätte, warum zum Beispiel Siri Hustvedt Zitteranfälle hat. Es gab viele Vermutungen, warum man Zitteranfälle haben kann, aber keiner drang bei ihr in letzter Konsequenz zum Kern vor. Die Erkenntnis ist, dass sie sich nun, da die Zitteranfälle nicht vollkommen erklärt werden können, aber auch nicht verschwinden, als zitternde Frau akzeptiert, so wie sie sich bereits vor vielen Jahren als Migränekranke akzeptieren musste.
Wissenschaftlich erklären lässt sich das Phänomen nicht befriedigend. Das ist es vermutlich unter anderem auch, was sie zeigen wollte mit ihrem Buch. Dass sie in einer unglaublichen Fleißarbeit sich hindurch gearbeitet hat durch die Geschichte der Neurologie und Psychiatrie und Psychologie und dass doch, bei all den Worten und Forschungen, die diese Disziplinen hervor gebracht haben, ein Symptom wie das ihre nicht erklärt werden kann. Man kann nur damit leben und es annehmen.
In diesem Zusammenhang weist sie auf Wittgenstein hin. "Ich habe nie glauben können, dass irgendein System, egal wie verführerisch, in der Lage wäre, die Mehrdeutigkeiten zu umfassen, welche dem Menschsein in der Welt innewohnen." Und vielleicht scheint es mir nur so, aber Siri Hustvedt hat vielleicht lange in einem Universum gelebt, in dem davon ausgegangen wurde, dass die Dinge erklärbar sind, und es ist nicht zuletzt dieser Teil von ihr, den sie mit "Die zitternde Frau" ein für allemal überzeugen wollte, "dass vieles in der Wissenschaft - wie auch in der analytischen Philosophie - vom Standpunkt des anonymen Beobachters einer erstarrten Welt hergeleitet wird, die sich dann in lesbare Wahrheiten zerlegen lässt." Das dies aber nicht ausreicht, zu erklären, warum wir sind, wer wir sind.
© Susanne Becker
Ausgelöst wurde dieses Buch durch einen Zitteranfall, den Siri Hustvedt bei einer öffentlichen Ansprache zu Ehren ihres verstorbenen Vaters hatte "Meine Arme zuckten. Meine Knie knickten ein. Ich zitterte so stark, als hätte ich einen Krampfanfall. Komischerweise war meine Stimme nicht betroffen." Sie machte sich daraufhin auf die Suche nach der Geschichte ihrer Nerven, "in die Welten der Neurologie, Psychiatrie und Psychoanalyse". Sie wollte heraus finden was mit ihr los war.
Hätte das Buch tatsächlich von ihr, Siri Hustvedt, gehandelt, hätte ich es vermutlich verschlungen.
Aber es handelte verständlicherweise mehr von allen möglichen psychiatrischen, psychologischen und neurologischen Theorien, Ideen und deren Vertretern. Sie wollte ihrem Zittern auf den Grund kommen, sicher auch mit der begründeten Hoffnung, es mit dem Verstehen besiegen zu können. Sie wollte diesem irrationalen Phänomen rational auf die Schliche kommen. Denn es kehrte wieder, verfestigte sich also durch die Wiederholung zu einem Symptom und somit zu etwas, das sich in ihrem Leben breit zu machen schien.
Eigentlich liest sich das Buch wie eine Arbeit für eine Universität, eine Art Forschungsprojekt. Ich hätte es in einer Bibliothek lesen und mir dazu beständig Notizen machen wollen. Es erinnerte mich oft daran, wie ich ein Buch nach dem anderen verschlang, um meine Magisterarbeit dann aus dem akkumulierten Material zusammenstellen zu können.
Siri Hustvedt hat geforscht, um heraus zu finden, was mit ihr los ist. Sie hat es nicht wirklich heraus gefunden, da die Theorien, die Herangehensweise an psychische Phänomene, bis heute geprägt sind von Wissenschaftlern, die in relativ fest gelegten Kategorien denken. Rational. Logisch. Da wird es schwierig, bestimmte Phänomene zu ergreifen, ohne sie in einem Zug zu diffamieren (wie geschehen bei der Hysterie, bei deren Erforschung auch gleich die Frauen mit diffamiert wurden, denn sie galten als diejenigen, die hysterisch sein konnten, bei Männern war das undenkbar, da erfand man für gleiche oder ähnliche Symptome andere Kategorien).
Was hat mich an dem Buch gestört? Dass auch Siri Hustvedt sich hinter wissenschaftlichen Kategorien zu verstecken scheint. Wenn man sie auf der Bühne erlebt, und das habe ich, sogar bei der Lesung zu diesem Buch hier in Berlin, dann wirkt sie sehr beeindruckend. Eine Frau, die sich im Griff hat, die wunderschön und unglaublich klug ist. Beim Lesen der zitternden Frau, in der sie auch von ihrer lebenslangen Migräneerkrankung berichtet, wurde mir klar, welchen Preis es sie kostet, diese Frau zu sein.
Wann hätte ich dieses Buch lieben können? Wenn es wirklich von ihr gehandelt hätte. Also, das ist falsch ausgedrückt, denn natürlich handelt es wirklich von ihr. Sie ist die zitternde Frau, die sich auch ein wenig versteckt vor dem Leben, den Abgründen, den Gefühlen, indem sie wissenschaftliche Bücher ohne Ende wälzt, die Intellektuelle so perfekt gibt, dass ich sie darum beneide. Die sich in ihrer Herangehensweise an Fragen wie die im Buch behandelte durchaus jenen angleicht, die sie hart kritisiert in eben diesem Buch. Wissenschaftler, dem Rationalen und der Logik verschriebenen Forschern, die, und das gebe ich jetzt zu, ist vollkommen meine subjektive Wahrnehmung und Interpretation und mein subjektiver Grund, solche Bücher nicht lieben zu können, eine Theorie wie eine Wand zwischen sich und das Leben stellen.
Ich hätte mir mehr persönliches gewünscht in diesem Buch, das doch eigentlich sehr persönlich hätte sein sollen. Sie spricht auch immer wieder von sich, ihren Zitteranfällen, ihrer Migräne. Das sind die Abschnitte, die mich ergriffen haben und dazu brachten, das Buch auch wirklich zu beenden. Es hat mich betroffen, dass ein Mensch sein Leben lang eigentlich immer Kopfschmerzen haben kann. Es hat mich mit unglaublicher Hochachtung erfüllt, dass sie es dennoch schafft, diese großartigen Bücher zu schreiben, mit dem (schmerzenden) Kopf so heraus ragend zu arbeiten, die Disziplin, die dahinter steckt, das hat mich sehr berührt. Aber kaum dachte ich, sie in dem Buch zu spüren, verschwand sie wieder hinter einem Schwall theoretischer Sätze, seitenlang.
Ich mochte das Buch nicht sehr und dann auch wieder doch, weil ich sie mag und Siri Hustvedt immer noch sehr beeindruckend finde. Sie schimmert hindurch und ist spürbar in dem Buch. Also würde ich es empfehlen all denen, die sich für psychische Phänomene und Erkrankungen und deren Erforschung interessieren, all denen, die wie ich Siri Hustvedt lieben, all denen, die es nicht schwierig finden, Bücher zu verschlingen, in denen Sätze wie diese stehen, die man weiß Gott nicht eben mal so in der U-Bahn oder abends im Bett verstehen kann: "Rechtshemisphärische Schädigungen führen häufig zu den bereits erwähnten Syndromen: Leugnung der Krankheit, Anosognosie - oder was die Neurologen Anasodiaphorie nennen, das Eingeständnis der Krankheit, aber ohne sich Sorgen zu machen: Janets belle indifference, wie bei Todd Feinbergs Patientin Lizzy, die sich keinen Deut um ihre Blindheit zu kümmern schien, selbst nachdem sie sie eingestanden hatte - und Neglect."
Im Nachhinein kann ich nicht sagen, dass mir die Lektüre Erkenntnisse gebracht hätte, warum zum Beispiel Siri Hustvedt Zitteranfälle hat. Es gab viele Vermutungen, warum man Zitteranfälle haben kann, aber keiner drang bei ihr in letzter Konsequenz zum Kern vor. Die Erkenntnis ist, dass sie sich nun, da die Zitteranfälle nicht vollkommen erklärt werden können, aber auch nicht verschwinden, als zitternde Frau akzeptiert, so wie sie sich bereits vor vielen Jahren als Migränekranke akzeptieren musste.
Wissenschaftlich erklären lässt sich das Phänomen nicht befriedigend. Das ist es vermutlich unter anderem auch, was sie zeigen wollte mit ihrem Buch. Dass sie in einer unglaublichen Fleißarbeit sich hindurch gearbeitet hat durch die Geschichte der Neurologie und Psychiatrie und Psychologie und dass doch, bei all den Worten und Forschungen, die diese Disziplinen hervor gebracht haben, ein Symptom wie das ihre nicht erklärt werden kann. Man kann nur damit leben und es annehmen.
In diesem Zusammenhang weist sie auf Wittgenstein hin. "Ich habe nie glauben können, dass irgendein System, egal wie verführerisch, in der Lage wäre, die Mehrdeutigkeiten zu umfassen, welche dem Menschsein in der Welt innewohnen." Und vielleicht scheint es mir nur so, aber Siri Hustvedt hat vielleicht lange in einem Universum gelebt, in dem davon ausgegangen wurde, dass die Dinge erklärbar sind, und es ist nicht zuletzt dieser Teil von ihr, den sie mit "Die zitternde Frau" ein für allemal überzeugen wollte, "dass vieles in der Wissenschaft - wie auch in der analytischen Philosophie - vom Standpunkt des anonymen Beobachters einer erstarrten Welt hergeleitet wird, die sich dann in lesbare Wahrheiten zerlegen lässt." Das dies aber nicht ausreicht, zu erklären, warum wir sind, wer wir sind.
© Susanne Becker
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