Wer ist Martha?, ein Buch der gebürtigen Ukrainerin Marjana Gaponenko, war mir beim Blättern durch Vorschauen im letzten Jahr aufgefallen. Es hatte 2013 u.a. den renommierten Adelbert-von-Chamisso-Preis gewonnen Für eine geraume Zeit befand es sich auf der Liste der Bücher, die ich lesen wollte. Da diese Liste immer sehr sehr umfangreich ist, purzelte es irgendwann unbemerkt hinunter. Dann fuhren wir am 18. Oktober in die Türkei, in ein Haus, in dem nach Angaben der Vermieterin über 100 Bücher seien. Ich nahm vorsichtshalber mal nur drei eigene mit, weil ich mir erhoffte, dort auf Bücher zu stoßen, die ich nicht besaß, aber immer schon gerne lesen wollte.
Unwichtige Randbemerkung: Das Haus war wunderschön, gelegen in einem wilden Garten mit Mandarinenbäumen. Die Mandarinen waren gerade reif, so dass ich jeden Morgen vor dem Frühstück hinaus ging und mir frische Mandarinen für mein Müsli pflückte. Wenn man diese Mandarinen gegessen hat, kann man im Grunde keine mehr kaufen. Der Geschmack ist 200% besser und hat mich für immer verdorben für alle Mandarinen in hiesigen Geschäften.
Die über 100 Bücher befanden sich alle in meinem Schlafzimmer. Man kann gar nicht glauben, wie wenig über 100 Bücher wirken. Zwei kleine Regale, und die noch nicht mal voll! Mehr nicht! Wenn ich jetzt an meine Regale denke, also klein sind die nicht aber dafür voll, dann könnte es sein, dass ich über 1000 Bücher habe, eher mehr.
Ich zählte nach. Es waren tatsächlich über 100. Fast alle waren von männlichen Autoren. Ich möchte da jetzt gar nicht kleinlicher wirken, als ich in Wahrheit bin. Ich hatte selbst ein Buch von Ken Follett dabei. Ich lese häufig Männer. Aber sowas fällt mir dennoch auf. Die einzigen Bücher von Frauen waren von Isabell Allende und Marja Gaponenko!! Und das fand ich dann natürlich einen großartigen Zufall. Ich angelte es sofort aus dem Regal, beendete so schnell wie möglich Meg Wolitzers The Interestings (das ich übrigens extrem gut fand!) und stürzte mich dann auf die Gaponenko.
Ich war fest entschlossen, das Buch zu mögen. Mich spricht die Thematik an: dass ein alter Herr, Luka Lewadski, 96, Zoologe, Verfasser der bahnbrechenden Studie Über die Rechenschwäche der Rabenvögel, erfährt, dass er nicht mehr lange zu leben hat und beschließt, dem Tod in einem Wiener Luxushotel zu erwarten und es sich bis dahin noch einmal so richtig gut gehen zu lassen, mit Butlerservice und allem. Das hat meine Erwartungen ziemlich in die Höhe geschraubt. Besonders der Titel der bahnbrechenden Studie sprach mich an, auch der Klappentext, der ihn in Vergleich setzte zu den beiden Opas in der Muppets Show.
Aber diese Erwartungen erfüllte das Buch für mich nicht.Ehrlich gesagt quälte ich mich ein wenig hindurch, immer hoffend, dass es noch besser werden könnte. Die Voraussetzungen waren ja da.
Was hat mich gestört? Zunächst fand ich den Ton gestelzt. Es fiel mir schwer, das Buch zu lesen, da mir dieser Ton einfach nicht angenehm war. Er strengte mich an. Die Formulierungen waren oft ungemein konstruiert. So spricht kein Mensch. Scharfzüngig, aber ohne dass diese Scharfzüngigkeit einen Sinn für die Geschichte gemacht hätte. Scharfzüngigkeit um ihrer selbst willen finde ich langweilig.
Der alte Luka Lewadski ist also in diesem Wiener Luxushotel. Er beobachtet dort die Gäste, er erinnert sich an sein Leben, das, liegt in der Natur seiner Lebensjahre, turbulent und verlustreich war, von Fluchten aufgrund zweier Kriege gezeichnet. Unter anderem wanderte er mit seiner Mutter nach Tschetschenien und lebte dort eine Weile, um dem 2. Weltkrieg zu entgehen. Ich frage mich, zwei Wochen nach der Lektüre, immer noch, wie mich ein solch spannendes Thema derart langweilen konnte. Aber in mein Tagebuch notierte ich: Bin auf Seite 113. Das Buch langweilt mich und Luka Lewadski ist mir immer noch vollkommen egal.
Das Buch fand in einer künstlich gewollten Distanz vom Leser statt. Es gab für mich keine Berührung. Ich lebe beim Lesen von der Berührung. Das ist vielleicht meine Leseschwäche. Ich möchte emotional engagiert werden. Dies geschah bei Wer ist Martha? nicht. So wie der Titel letztlich nichts essentielles mit der Geschichte zu tun hat, hat das Buch nichts essentielles mit dem Leser zu tun. Das ist vielleicht für viele Leser in Ordnung. Für mich nicht.
Die Geschichte eines letztlich zum Tode verurteilten Menschen, der abschließen will und muss mit seiner 96jährigen Geschichte und seinem Leben und einem möglicherweise schmerzhaften Sterben entgegen sieht, sollte den Leser emotional berühren und verzaubern. Es sollte nicht vergeudet werden für das Herumschleudern scheinbarer Klugheiten, die oft im Verlauf der Geschichte kaum etwas Kontinuierliches oder gar Einsichten erzeugen.
Das Buch kam mir vor wie ein schlecht lektoriertes Debüt. Es ist aber nicht ihr Debüt. Es enthält Fehler, die ich selbst als Schreibende begehe und wieder erkenne und mir nicht durchgehen lasse, wenn ich sie bemerke. Allen voran missachtet es auf fast jeder zweiten Seite den sehr guten Rat: "Kill all your Darlings!" Auch verlässt es den Fluss der Geschichte immer wieder und weckt den Leser, der gerade dabei ist, abzutauchen, unsanft auf. Es ist nicht möglich, sich in den tieferen Sog der Geschichte zu verlieren.
Wäre ich Lektorin, jetzt nur mal so zum Spaß angenommen, wäre ich dann sogar ihre Lektorin, dann würde ich ihr raten: Kill all your Darlings, all diese netten Sprüche, klugen Tändeleien, die scharfzüngigen Randbemerkungen und erzähl die Geschichte noch einmal von vorn, ohne sie. Tauche ab in Luka Lewadski und erzähl mir, wie es ihm wirklich geht und wie sein Leben wirklich war. Denn das interessiert mich sehr!
Ich glaube, ich habe selten einen solchen Verriss geschrieben. Mich würde interessieren, ob andere dieses Buch gelesen und anders empfunden haben. Bitte gerne Feedback!
© Susanne Becker
Unwichtige Randbemerkung: Das Haus war wunderschön, gelegen in einem wilden Garten mit Mandarinenbäumen. Die Mandarinen waren gerade reif, so dass ich jeden Morgen vor dem Frühstück hinaus ging und mir frische Mandarinen für mein Müsli pflückte. Wenn man diese Mandarinen gegessen hat, kann man im Grunde keine mehr kaufen. Der Geschmack ist 200% besser und hat mich für immer verdorben für alle Mandarinen in hiesigen Geschäften.
Die über 100 Bücher befanden sich alle in meinem Schlafzimmer. Man kann gar nicht glauben, wie wenig über 100 Bücher wirken. Zwei kleine Regale, und die noch nicht mal voll! Mehr nicht! Wenn ich jetzt an meine Regale denke, also klein sind die nicht aber dafür voll, dann könnte es sein, dass ich über 1000 Bücher habe, eher mehr.
Ich zählte nach. Es waren tatsächlich über 100. Fast alle waren von männlichen Autoren. Ich möchte da jetzt gar nicht kleinlicher wirken, als ich in Wahrheit bin. Ich hatte selbst ein Buch von Ken Follett dabei. Ich lese häufig Männer. Aber sowas fällt mir dennoch auf. Die einzigen Bücher von Frauen waren von Isabell Allende und Marja Gaponenko!! Und das fand ich dann natürlich einen großartigen Zufall. Ich angelte es sofort aus dem Regal, beendete so schnell wie möglich Meg Wolitzers The Interestings (das ich übrigens extrem gut fand!) und stürzte mich dann auf die Gaponenko.
Ich war fest entschlossen, das Buch zu mögen. Mich spricht die Thematik an: dass ein alter Herr, Luka Lewadski, 96, Zoologe, Verfasser der bahnbrechenden Studie Über die Rechenschwäche der Rabenvögel, erfährt, dass er nicht mehr lange zu leben hat und beschließt, dem Tod in einem Wiener Luxushotel zu erwarten und es sich bis dahin noch einmal so richtig gut gehen zu lassen, mit Butlerservice und allem. Das hat meine Erwartungen ziemlich in die Höhe geschraubt. Besonders der Titel der bahnbrechenden Studie sprach mich an, auch der Klappentext, der ihn in Vergleich setzte zu den beiden Opas in der Muppets Show.
Aber diese Erwartungen erfüllte das Buch für mich nicht.Ehrlich gesagt quälte ich mich ein wenig hindurch, immer hoffend, dass es noch besser werden könnte. Die Voraussetzungen waren ja da.
Was hat mich gestört? Zunächst fand ich den Ton gestelzt. Es fiel mir schwer, das Buch zu lesen, da mir dieser Ton einfach nicht angenehm war. Er strengte mich an. Die Formulierungen waren oft ungemein konstruiert. So spricht kein Mensch. Scharfzüngig, aber ohne dass diese Scharfzüngigkeit einen Sinn für die Geschichte gemacht hätte. Scharfzüngigkeit um ihrer selbst willen finde ich langweilig.
Der alte Luka Lewadski ist also in diesem Wiener Luxushotel. Er beobachtet dort die Gäste, er erinnert sich an sein Leben, das, liegt in der Natur seiner Lebensjahre, turbulent und verlustreich war, von Fluchten aufgrund zweier Kriege gezeichnet. Unter anderem wanderte er mit seiner Mutter nach Tschetschenien und lebte dort eine Weile, um dem 2. Weltkrieg zu entgehen. Ich frage mich, zwei Wochen nach der Lektüre, immer noch, wie mich ein solch spannendes Thema derart langweilen konnte. Aber in mein Tagebuch notierte ich: Bin auf Seite 113. Das Buch langweilt mich und Luka Lewadski ist mir immer noch vollkommen egal.
Das Buch fand in einer künstlich gewollten Distanz vom Leser statt. Es gab für mich keine Berührung. Ich lebe beim Lesen von der Berührung. Das ist vielleicht meine Leseschwäche. Ich möchte emotional engagiert werden. Dies geschah bei Wer ist Martha? nicht. So wie der Titel letztlich nichts essentielles mit der Geschichte zu tun hat, hat das Buch nichts essentielles mit dem Leser zu tun. Das ist vielleicht für viele Leser in Ordnung. Für mich nicht.
Die Geschichte eines letztlich zum Tode verurteilten Menschen, der abschließen will und muss mit seiner 96jährigen Geschichte und seinem Leben und einem möglicherweise schmerzhaften Sterben entgegen sieht, sollte den Leser emotional berühren und verzaubern. Es sollte nicht vergeudet werden für das Herumschleudern scheinbarer Klugheiten, die oft im Verlauf der Geschichte kaum etwas Kontinuierliches oder gar Einsichten erzeugen.
Das Buch kam mir vor wie ein schlecht lektoriertes Debüt. Es ist aber nicht ihr Debüt. Es enthält Fehler, die ich selbst als Schreibende begehe und wieder erkenne und mir nicht durchgehen lasse, wenn ich sie bemerke. Allen voran missachtet es auf fast jeder zweiten Seite den sehr guten Rat: "Kill all your Darlings!" Auch verlässt es den Fluss der Geschichte immer wieder und weckt den Leser, der gerade dabei ist, abzutauchen, unsanft auf. Es ist nicht möglich, sich in den tieferen Sog der Geschichte zu verlieren.
Wäre ich Lektorin, jetzt nur mal so zum Spaß angenommen, wäre ich dann sogar ihre Lektorin, dann würde ich ihr raten: Kill all your Darlings, all diese netten Sprüche, klugen Tändeleien, die scharfzüngigen Randbemerkungen und erzähl die Geschichte noch einmal von vorn, ohne sie. Tauche ab in Luka Lewadski und erzähl mir, wie es ihm wirklich geht und wie sein Leben wirklich war. Denn das interessiert mich sehr!
Ich glaube, ich habe selten einen solchen Verriss geschrieben. Mich würde interessieren, ob andere dieses Buch gelesen und anders empfunden haben. Bitte gerne Feedback!
© Susanne Becker
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