"..., I've felt okay occasionally describing my diary as a "contemporary take on Walden". Like Thoreau, I am pretending, that I wrote this diary over the course of a year, when in fact I wrote it over the course of two years, two months, and two days (give or take). Like Thoreau I wanted to live "deliberately" and was worried that if I did not I might, "when I came to die, discover that I had not lived". Like Thoreau, I wanted to "live deep and suck out all the marrow of life". Unlike Thoreau, I have no fondness for sparse living."
Mein Buch der Woche ist diesmal ein Buch, das es gar nicht auf Deutsch gibt. Es gibt (noch) keine Übersetzung, da das Buch auch noch relativ neu ist. Es ist 2015 bei Anchor Books erschienen. The Folded Clock, von der amerikanischen Schrifstellerin Heidi Julavits. Ein Tagebuch.
Ich habe lange überlegt, ob ich es überhaupt erwähnen soll, in dieser Reihe, oder ob ich die Besprechung auf Englisch verfassen soll. Das wäre aber dann irgendwie der Beginn einer neuen Reihe gewesen Book of the Week, einer englischen Reihe. Ich fühle mich zwei wöchentlichen Rubriken gerade jedoch nicht gewachsen.
Ich könnte schummeln, und ein anderes Buch zum Buch der Woche machen, eines, das diese Woche nicht so dominiert hat wie das Tagebuch von Heidi Julavits, in dem ich jeden Tag ein wenig lese, aber nicht zuviel, weil ich nicht möchte, dass es zu schnell beendet ist. Da ich, gerade in Situationen, wo niemand mit bekommt, dass ich schummele, eine geradezu neurotische Zwanghaftigkeit in puncto Wahrhaftigkeit generieren kann, aus dem Stand quasi, was ich meiner katholischen Kindheit und dem damaligen Zwang, vor allem kurz vor wichtigen Anlässen (Kommunion, Firmung, Weihnachten, Ostern etc.) wöchentlich zur Beichte zu gehen, zuschreibe, ging das auch nicht. Denn The Folded Clock war eindeutig das Buch meiner Woche. Es ist es noch. Ich lese aus vielen Gründen einige andere Bücher parallel, das tue ich immer. Aber sie sind keine Konkurrenz für den Titel Buch der Woche. Da hätte ich faustdick lügen müssen.
Also habe ich beschlossen, dass in der Reihe Buch der Woche auch englische Bücher erwähnt werden dürfen, sogar dann, wenn sie nicht übersetzt sind.
The Folded Clock heißt soviel wie "Die gefaltete Uhr" - ein Titel, der aus einem Missverständnis entstanden ist. Ihre Tochter hatte nämlich den Ausdruck "gefalteter Stoff" (Folded Cloth) falsch verstanden und daraus den Ausdruck Folded Clock gemacht. Das Ganze war übrigens nach einem Besuch des Ägyptischen Museums in Berlin gewesen, wo sie sich nach dem Museumsbesuch ein Buch über Hieroglyphen angeschaut hatten. Julavits hat den Ausdruck sofort "geklaut", da ihr klar war, dass er sich, zum Beispiel als Buchtitel, wunderbar eignen könnte.
Der Titel ist geschickt gewählt für dieses Buch, denn es ist zwar ein Tagebuch aber es listet die Tage nicht chronologisch auf, sondern, wie es beim Lesen erscheint, faltet sie beinahe willkürlich zu einem neuen Muster zusammen. einer frei assoziierenden Ordnung. Was ist Zeit überhaupt, wenn nicht eine relative Ordnung, die wir dem wilden Treiben des Lebens aufoktroyieren?
Vom 21. Juni stammt der erste Eintrag. Er beginnt, wie alle Einträge, mit dem Wort Today... "Today I wondered what is the worth of a Day? Once a day was long. It was bright, and then it wasn't, meals happened, and school happened, and sports practice, maybe, happened,...Days would linger in my nerves,...Days could hurt."
Der nächste Eintrag ist vom 3. März "Today, my friend asked me: Am I crazy?"
Julavits hat alte Tagebücher gefunden, die sie als Kind gefüllt hatte. In der Hoffnung, darin ihr frühes, schriftstellerisches Genie zu finden, den Ursprung ihrer Kreativität, liest sie diese. Sie stellt aber schnell fest, dass in den Seiten weniger ein kreatives Genie, als vielmehr eine Art neurotische Buchhalterin, die langweilige Tage uninteressant und detailliert schildert, zu finden ist. Sie war irgendwie enttäuscht, ein Gefühl bei der Lektüre alter Tagebücher, das ich praktisch 1:1 malen könnte. Es ist das Schicksal alter Tagebücher, total peinlich zu sein. Ich frage mich zwar, ob Anais Nin das auch fand, aber wenn ich ihre Tagebücher lese, habe ich immer das Gefühl dass sie sich sehr ernst nahm. Das tut Heidi Julavits nicht. Sie beschliesst, noch einmal Tagebuch zu führen und zu sehen, was diesmal dabei heraus kommt.
Sie hat Humor, und eine Art, ihre Sachen zu formulieren, die ich in dieser präzisen Eleganz eigentlich nur von amerikanischen Autorinnen kenne. Geschliffene Prosa - diesen Ausdruck las ich mal irgendwo und er passt zu diesem Buch. Ich denke aber auch immer, dass eine bestimmte Persönlichkeit dazu gehört, so zu schreiben, Art Persönlichkeit, die ich auch eher unter meinen amerikanischen Freundinnen finde, als unter den europäischen: selbstbewusst, humorvoll, selbstironisch, ehrlich bis zum Abwinken, mit einem glasklaren Blick auf jede Situation, ihre Protagonisten und Umgebung und der sprachlichen Kompetenz, das Wesentliche sehr unterhaltsam zu formulieren. Nicht weinerlich. Nicht selbstgerecht. Nicht melancholisch.
Auch Julavits Mann ist Schriftsteller und im Verlauf der zwei Jahre, von denen dieses sozusagen gefaltete Tagebuch handelt, sind sie auch für einen längeren Aufenthalt in Berlin Wannsee. Zu ihrem Programm gehört die Besichtigung des Hauses der Wannsee Konferenz. Auf dem Weg dorthin bekommt sie plötzlich sehr schlechte Laune, ein Phänomen, das ich ürbigens kenne. Sie kommentiert den Moment folgendermaßen: "To get to the Conference House my husband and I biked past rowing clubs and yacht clubs and minischlosses, and along the way my mood started to tighten. I could not entirely blame Hitler. This just happens on some days, even when mass murder tourism isn't on the date docket. ... I saw my husband biking ahead of me and decided, because I had no better explanation, that he was somehow to blame for the alienation I'd been vaguely sensing all day and that had finally coalesced into the more solid (and paranoid) beginnings of a depression. By plain virtue of the fact that he existed and he loved me, he was at fault." Diese Art, Dinge zu beschreiben, ohne sich selbst als perfekt und fehlerfrei darzustellen, ist recht selten. Oft verstecken sich Schrifsteller doch hinter einer beeindruckenden, intellektuellen Persona. Vielleicht ist diese down to earth, humorvolle und ehrliche Weise, uns in diesem Tagebuch an ihrem Leben teilnehmen zu lassen, ja auch eine Persona. Aber wenn es so ist, mag ich die Persona. Das Tagebuch zeigt eine Frau, die ich sofort kennen lernen möchte. Im obigen Eintrag kommt sie dann sehr schnell auf den Punkt, dass ihre schlechte Laune damit zusammenhängt, dass sie in Berlin lediglich als Anhängsel ihres Mannes ist. Kein Mensch interessiert sich für ihre Schriftstellerei. Sie ist einfach die Ehefrau.
In allen Einträgen schildert sie irgendein Ereignis des Tages und macht daraus einen runden, einen witzigen, einen zum Nachdenken anregenden Text, eine tägliche Meditation zu irgendeinem Thema: Freundschaft, Liebe, Schreiben, Klatsch und Tratsch, Treue, Namen für Neugeborene, das Haus der Wannsee Konferenz und die eigene Rolle als Ehefrau-Anhängsel. Damit gibt sie uns eine Sammlung von Texten über das Menschsein heute. Ich lese sie abends im Bett und sie sind wie mein persönliches Betthupferl. Ich möchte, das hatte ich schon erwähnt, nicht dass dieses Buch je endet.
Wenn ich nicht schon Tagebuch schreiben würde, seitdem ich denken kann, würde dieses Buch mich vermutlich dazu motiviert haben, mir sofort ein leeres Notizheft zu besorgen und damit zu beginnen.
Ich empfehle es jedem, der Englisch liest. Auf eine deutsche Veröffentlichung zu warten, ist, vermute ich, eine langwierigere Angelegenheit. Soweit ich weiß, ist keines von Julavits vorhergehenden Büchern hier erschienen.
Wenn Ihr nicht englisch lest, tut es mir total leid. Also, dass Ihr dieses Buch erstmal nicht lesen könnt. Ich werde weiter einen bis drei (höchstens!) Einträge pro Tag lesen, damit ich noch ein bisschen was von diesem herrlichen Buch habe.
Hier noch eine tolle Besprechung aus der New York Times
Nachtrag vom 5.12.2016: Durch Zufall (nein, ähem, durch Facebook) erfuhr ich heute, dass es dieses Buch tatsächlich seit dem 23. September auch auf Deutsch gibt. Es heißt dort Dem Leben auf der Spur und ist im Schweizer Atrium Verlag erschienen!! Dessen Seite kann ich leider gerade nicht öffnen.
© Susanne Becker
Mein Buch der Woche ist diesmal ein Buch, das es gar nicht auf Deutsch gibt. Es gibt (noch) keine Übersetzung, da das Buch auch noch relativ neu ist. Es ist 2015 bei Anchor Books erschienen. The Folded Clock, von der amerikanischen Schrifstellerin Heidi Julavits. Ein Tagebuch.
Ich habe lange überlegt, ob ich es überhaupt erwähnen soll, in dieser Reihe, oder ob ich die Besprechung auf Englisch verfassen soll. Das wäre aber dann irgendwie der Beginn einer neuen Reihe gewesen Book of the Week, einer englischen Reihe. Ich fühle mich zwei wöchentlichen Rubriken gerade jedoch nicht gewachsen.
Ich könnte schummeln, und ein anderes Buch zum Buch der Woche machen, eines, das diese Woche nicht so dominiert hat wie das Tagebuch von Heidi Julavits, in dem ich jeden Tag ein wenig lese, aber nicht zuviel, weil ich nicht möchte, dass es zu schnell beendet ist. Da ich, gerade in Situationen, wo niemand mit bekommt, dass ich schummele, eine geradezu neurotische Zwanghaftigkeit in puncto Wahrhaftigkeit generieren kann, aus dem Stand quasi, was ich meiner katholischen Kindheit und dem damaligen Zwang, vor allem kurz vor wichtigen Anlässen (Kommunion, Firmung, Weihnachten, Ostern etc.) wöchentlich zur Beichte zu gehen, zuschreibe, ging das auch nicht. Denn The Folded Clock war eindeutig das Buch meiner Woche. Es ist es noch. Ich lese aus vielen Gründen einige andere Bücher parallel, das tue ich immer. Aber sie sind keine Konkurrenz für den Titel Buch der Woche. Da hätte ich faustdick lügen müssen.
Also habe ich beschlossen, dass in der Reihe Buch der Woche auch englische Bücher erwähnt werden dürfen, sogar dann, wenn sie nicht übersetzt sind.
The Folded Clock heißt soviel wie "Die gefaltete Uhr" - ein Titel, der aus einem Missverständnis entstanden ist. Ihre Tochter hatte nämlich den Ausdruck "gefalteter Stoff" (Folded Cloth) falsch verstanden und daraus den Ausdruck Folded Clock gemacht. Das Ganze war übrigens nach einem Besuch des Ägyptischen Museums in Berlin gewesen, wo sie sich nach dem Museumsbesuch ein Buch über Hieroglyphen angeschaut hatten. Julavits hat den Ausdruck sofort "geklaut", da ihr klar war, dass er sich, zum Beispiel als Buchtitel, wunderbar eignen könnte.
Der Titel ist geschickt gewählt für dieses Buch, denn es ist zwar ein Tagebuch aber es listet die Tage nicht chronologisch auf, sondern, wie es beim Lesen erscheint, faltet sie beinahe willkürlich zu einem neuen Muster zusammen. einer frei assoziierenden Ordnung. Was ist Zeit überhaupt, wenn nicht eine relative Ordnung, die wir dem wilden Treiben des Lebens aufoktroyieren?
Vom 21. Juni stammt der erste Eintrag. Er beginnt, wie alle Einträge, mit dem Wort Today... "Today I wondered what is the worth of a Day? Once a day was long. It was bright, and then it wasn't, meals happened, and school happened, and sports practice, maybe, happened,...Days would linger in my nerves,...Days could hurt."
Der nächste Eintrag ist vom 3. März "Today, my friend asked me: Am I crazy?"
Julavits hat alte Tagebücher gefunden, die sie als Kind gefüllt hatte. In der Hoffnung, darin ihr frühes, schriftstellerisches Genie zu finden, den Ursprung ihrer Kreativität, liest sie diese. Sie stellt aber schnell fest, dass in den Seiten weniger ein kreatives Genie, als vielmehr eine Art neurotische Buchhalterin, die langweilige Tage uninteressant und detailliert schildert, zu finden ist. Sie war irgendwie enttäuscht, ein Gefühl bei der Lektüre alter Tagebücher, das ich praktisch 1:1 malen könnte. Es ist das Schicksal alter Tagebücher, total peinlich zu sein. Ich frage mich zwar, ob Anais Nin das auch fand, aber wenn ich ihre Tagebücher lese, habe ich immer das Gefühl dass sie sich sehr ernst nahm. Das tut Heidi Julavits nicht. Sie beschliesst, noch einmal Tagebuch zu führen und zu sehen, was diesmal dabei heraus kommt.
Sie hat Humor, und eine Art, ihre Sachen zu formulieren, die ich in dieser präzisen Eleganz eigentlich nur von amerikanischen Autorinnen kenne. Geschliffene Prosa - diesen Ausdruck las ich mal irgendwo und er passt zu diesem Buch. Ich denke aber auch immer, dass eine bestimmte Persönlichkeit dazu gehört, so zu schreiben, Art Persönlichkeit, die ich auch eher unter meinen amerikanischen Freundinnen finde, als unter den europäischen: selbstbewusst, humorvoll, selbstironisch, ehrlich bis zum Abwinken, mit einem glasklaren Blick auf jede Situation, ihre Protagonisten und Umgebung und der sprachlichen Kompetenz, das Wesentliche sehr unterhaltsam zu formulieren. Nicht weinerlich. Nicht selbstgerecht. Nicht melancholisch.
Auch Julavits Mann ist Schriftsteller und im Verlauf der zwei Jahre, von denen dieses sozusagen gefaltete Tagebuch handelt, sind sie auch für einen längeren Aufenthalt in Berlin Wannsee. Zu ihrem Programm gehört die Besichtigung des Hauses der Wannsee Konferenz. Auf dem Weg dorthin bekommt sie plötzlich sehr schlechte Laune, ein Phänomen, das ich ürbigens kenne. Sie kommentiert den Moment folgendermaßen: "To get to the Conference House my husband and I biked past rowing clubs and yacht clubs and minischlosses, and along the way my mood started to tighten. I could not entirely blame Hitler. This just happens on some days, even when mass murder tourism isn't on the date docket. ... I saw my husband biking ahead of me and decided, because I had no better explanation, that he was somehow to blame for the alienation I'd been vaguely sensing all day and that had finally coalesced into the more solid (and paranoid) beginnings of a depression. By plain virtue of the fact that he existed and he loved me, he was at fault." Diese Art, Dinge zu beschreiben, ohne sich selbst als perfekt und fehlerfrei darzustellen, ist recht selten. Oft verstecken sich Schrifsteller doch hinter einer beeindruckenden, intellektuellen Persona. Vielleicht ist diese down to earth, humorvolle und ehrliche Weise, uns in diesem Tagebuch an ihrem Leben teilnehmen zu lassen, ja auch eine Persona. Aber wenn es so ist, mag ich die Persona. Das Tagebuch zeigt eine Frau, die ich sofort kennen lernen möchte. Im obigen Eintrag kommt sie dann sehr schnell auf den Punkt, dass ihre schlechte Laune damit zusammenhängt, dass sie in Berlin lediglich als Anhängsel ihres Mannes ist. Kein Mensch interessiert sich für ihre Schriftstellerei. Sie ist einfach die Ehefrau.
In allen Einträgen schildert sie irgendein Ereignis des Tages und macht daraus einen runden, einen witzigen, einen zum Nachdenken anregenden Text, eine tägliche Meditation zu irgendeinem Thema: Freundschaft, Liebe, Schreiben, Klatsch und Tratsch, Treue, Namen für Neugeborene, das Haus der Wannsee Konferenz und die eigene Rolle als Ehefrau-Anhängsel. Damit gibt sie uns eine Sammlung von Texten über das Menschsein heute. Ich lese sie abends im Bett und sie sind wie mein persönliches Betthupferl. Ich möchte, das hatte ich schon erwähnt, nicht dass dieses Buch je endet.
Wenn ich nicht schon Tagebuch schreiben würde, seitdem ich denken kann, würde dieses Buch mich vermutlich dazu motiviert haben, mir sofort ein leeres Notizheft zu besorgen und damit zu beginnen.
Ich empfehle es jedem, der Englisch liest. Auf eine deutsche Veröffentlichung zu warten, ist, vermute ich, eine langwierigere Angelegenheit. Soweit ich weiß, ist keines von Julavits vorhergehenden Büchern hier erschienen.
Wenn Ihr nicht englisch lest, tut es mir total leid. Also, dass Ihr dieses Buch erstmal nicht lesen könnt. Ich werde weiter einen bis drei (höchstens!) Einträge pro Tag lesen, damit ich noch ein bisschen was von diesem herrlichen Buch habe.
Hier noch eine tolle Besprechung aus der New York Times
Nachtrag vom 5.12.2016: Durch Zufall (nein, ähem, durch Facebook) erfuhr ich heute, dass es dieses Buch tatsächlich seit dem 23. September auch auf Deutsch gibt. Es heißt dort Dem Leben auf der Spur und ist im Schweizer Atrium Verlag erschienen!! Dessen Seite kann ich leider gerade nicht öffnen.
© Susanne Becker
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