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Corona Tagebuch (30)


Whatever waiting means in this new place
I am waiting for you  #MichaelStipe

Es stimmt. Man wartet. Oder?
Aber worauf?
Dass alles wieder normal wird?
Was ist normal überhaupt?
Ich glaube nicht, dass wir jemals zu dieser Welt zurückkehren, die wir am 16. März verlassen haben.
Wir warten darauf, was die Regierung entscheidet.
Wir warten darauf, wie es weiter gehen wird.
Macht es Sinn, Urlaub zu buchen? Frau van der Leyen sagt: nein. Denn niemand kann sagen, wie es im Juli und August sein wird. Das ist eine sehr klare Aussage.
Niemand weiß, wie es im Juli und August sein wird. Bucht besser keine Reisen für die Sommerferien. Denn möglicherweise müsst ihr die, genau wie die Osterferien, social distanced zuhause verbringen.
Diese Aussage kommt im Grunde nicht überraschend.
Was immer Warten in dieser Zeit bedeutet.
Ich warte.
Darauf, dass ich endlich nochmal eine Zugkarte kaufen und eine Reise planen kann.
Ich warte darauf zu sehen, wer noch da sein wird nach diesen langen Wochen oder Monaten der Stille. Welche Läden werden wieder öffnen?
Ich habe Sehnsucht nach meinem Lieblingsladen Modulor. Ich weiß nicht, wie lange ich es noch ohne neue Glitzerstifte und Notizbücher schaffen kann. Nicht zu Modulor zu können, neben der Tatsache, dass ich kein Zugticket buchen darf, das sind die beiden Sachen, die mir eventuell das Genick brechen werden in dieser Phase. Alles andere ist für mich mehr oder weniger Okay.
Werde ich in einem See baden in diesem Jahr? Heute war der erste Sommertag. Ich bin über zwei Stunden mit dem Fahrrad gefahren, bis nach Köpenick, über die Nalepastraße, an der Wuhlheide vorbei. Dort hätte ich langsam ahnen sollen, dass ich falsch bin. Eigentlich wollte ich zu der Badestelle, an der wir seit Jahren immer schwimmen gehen. Sie ist in der Nähe vom Müggelturm. Auf der Karte sah es sehr leicht aus. Aber ich habe mich total verfahren. Das war egal. Denn auf keinen Fall wollte ich den langweiligen Weg nehmen, den wir früher immer mit dem Auto dorthin gefahren sind. Der ging praktisch immer geradeaus. Ich wollte Schleichwege fahren. Ja, okay, ich habe mich verfahren. Aber dafür habe ich neue Ecken entdeckt, einen Teil von Berlin, in dem ich noch nie vorher war. Zum Beispiel habe ich den Campus der HTW Berlin, der Hochschule für Technik und Wirtschaft, zufällig gefunden. Und das, ohne ihn jemals gesucht zu haben!! Ich hätte gar nicht danach suchen können, weil ich bis zum heutigen Nachmittag nicht wusste, dass es sie gibt. Quasi einen neuen Kontinent habe ich da für mich entdeckt. Ab jetzt kann mich jeder fragen, wo der Campus der HTW Berlin ist, oder die Wuhlheide und ich werde beides 1a erklären können. Wie die Entdecker, die ich im letzten Post erwähnt hatte. Ich bin nie dort angekommen, wo ich ursprünglich hin wollte. Aber es spielte nicht die geringste Rolle.
Mein Gesicht glüht jetzt. Ich habe Farbe bekommen und bin so müde, dass ich hier am Schreibtisch einschlafen könnte. Jetzt auf der Stelle.

Werde ich in diesem Jahr in einem See schwimmen?
Ich warte auf die Antwort. Aber ich weiß, wo ich mich verfahren habe, was bedeutet, das nächste Mal werde ich meiner Badestelle mit dem Fahrrad sicher schon ein Stück näher kommen.
Werde ich in einem See schwimmen in diesem Jahr?
Bleibt gesund, ragazzi und companeros. Bin gespannt, was die nächste Woche bringen wird. Wie ich höre, fordert Christian Lindner (wer war das nochmal? etwa der, der letztens zu feige zum regieren war?) auf jeden Fall schon mal einen Ausstieg aus den Einschränkungen. Das freut mich. Seitdem ich begonnen habe, dieses Tagebuch zu führen, warte ich auf den Tag, an dem Christian Lindner nichts sagt. Werde ich diesen Tag erleben? Ich warte auf die Antwort. Solange ich warte, bin ich froh, dass er und Friedrich Merz gerade nicht regieren.

May the force be with you 💪 und habt weiterhin ein erholsames, langsames Osterfest.

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